V.l.n.r. Oberhaupt der selbsternannten Donezker Volskrepublik Alexander Sachartschenko, ehermaliger Präsident der Ukraine Leonid Kutschma, Russlands Botschafter in der Ukraine Michail Surabow, Ukraine-Beauftragte der OSZE Heidi Tagliavini und der Chef der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Leonid Plotnizkij während der Verhandlungen in Minsk am 5.September 2014. Foto: Reuters
Das erneute Aufflammen der Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine muss mit einem weiteren Waffenstillstandsabkommen beendet werden. Die einzige reale Basis für ein solches bleibt das sogenannter Minsker Protokoll, das am 19. September 2014 von Regierungsvertretern aus Kiew und Vertretern der aufständischen Provinzen unter Vermittlung der Russischen Föderation und der OSZE unterzeichnet wurde.
Heute gilt das Minsker Protokoll als Grundlage zur Lösung der Krise in der Ukraine. „Die dort festgehaltene Formel bleibt die Basis für Gespräche", stellt Andrej Suschenzow von der Analyseagentur "Wneschnjaja politika" (zu Deutsch - "Außenpolitik") klar. „Ihr gemäß verbleiben Donezk und Lugansk in der Ukraine und werden innerhalb von drei Jahren unter für sie akzeptablen Bedingungen wieder integriert."
Doch unter den heutigen Umständen sind die Minsker Vereinbarungen quasi nicht umsetzbar. Direkt nach der Unterzeichnung des Protokolls behauptete man in den umkämpften Gebieten, Kiew habe den ersten Punkt der Vereinbarung gebrochen und begonnen, von den Aufständischen kontrollierte Städte zu beschießen. Dann wurde eine Blockade des Donezbeckens eingeführt, was dem achten und elften Punkt widerspricht. Diese sehen Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation und ein Programm zur wirtschaftlichen Wiederbelebung des Donezbeckens vor.
Schließlich verzichtete Präsident Petro Poroschenko gänzlich auf den im siebten Punkt festgehaltenen inklusiven gesamtnationalen Dialog. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Aufständischen keine Partei eines Bürgerkriegs, sondern Terroristen seien. Ebenso beschloss er, keine vollständige Amnestie, wie im sechsten Punkt festgelegt, anzubieten und stattdessen nur jene zu begnadigen, die „kein Blut ukrainischer Bürger und Soldaten an ihren Händen haben".
Unter diesen Bedingungen weigerten sich die Aufständischen, den vierten Punkt – Kontrollen an der russisch-ukrainischen Grenze einzuführen –, den neunten Punkt, der die Durchführung von Wahlen in Übereinstimmung mit der ukrainischen Gesetzgebung vorsieht, und den zehnten Punkt, die Verbannung irregulärer Militärverbände, Militärtechnik sowie Kämpfer und Söldner vom Gebiet der Ukraine, umzusetzen.
„In seiner ursprünglichen Form ist das Minsker Protokoll gestorben und es ist unmöglich, zur Ausgangslage des Septembers zurückzukehren", sagt der Experte für postsowjetische Gebiete Andrej Jepifanzew gegenüber RBTH.
Und auch weitere Experten sehen ein Scheitern des Minsker Protokolls. „Die Minsker Vereinbarung war ursprünglich als ein gewisser Rahmen geplant, der danach konkretisiert und ausgeweitet werden sollte. Konkrete Punkte wurden damals nicht sonderlich beachtet", sagt Sergej Markedonow, Politologe und Dozent der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU).
„Kiew hat die Protokolle in einem Panikzustand unterzeichnet, als befürchtet wurde, dass die Offensive der Aufständischen weitergehen werde.
Poroschenko war zu einer langfristigen Regelung nicht bereit", führt Suschenzow aus.
Doch über ein Scheitern des Minsker Formats selbst zu reden, wäre vorschnell. „Das Minsker Format wird alleine deshalb wieder aufgenommen werden, weil er alternativlos ist. Weder das Normandie-, noch das Genf-Format befassen sich mit so wichtigen Fragen wie der Bestimmung der aktuellen Grenzen, der Ausarbeitung alltäglicher Verifizierungsmaßnahmen, und anderen Punkten", sagt Kirill Koktysch, Dozent des Lehrstuhls für Politische Theorie am staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) gegenüber RBTH. „Auch wenn die Parteien schließlich die Minsker Vereinbarungen fallenlassen und ein neues Dokument ausarbeiten, wird es nicht als Alternative zu den Minsker Vereinbarungen positioniert werden, sondern als künstlerische Ausgestaltung dieser", glaub Markedonow.
Es gibt mehrere Gesprächsformate zur Regelung der Krise in der Ukraine.
Im Frühjahr 2014 entstand das sogenannte Genfer Format. Am 17. April fanden in Genf Gespräche von Vertretern der Ukraine, Russlands, der USA und der EU statt. Nun sollen am Mittwoch erneut Gespräche in diesem Format stattfinden.
Große Hoffnungen waren mit dem sogenannten Normandie-Format verbunden, das im Sommer 2014 als Ergebnis von Gesprächen der Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine entstand.
Anschließend ging man zum sogenannten Minsker Format über, in dessen Rahmen direkte Gespräche zwischen Vertretern Kiews und der selbsternannten „Volksrepubliken" geführt wurden. Unter Beihilfe Russlands und der OSZE vereinbarten die Parteien am 5. September in Minsk einen Waffenstillstand, beschuldigten einander jedoch fortwährend, diesen zu brechen.
Die weitere Zukunft der Minsker Vereinbarungen wird vom Ausgang der aktuellen Kampfphase abhängen. Wenn es um einen neuen temporären Waffenstillstand gehen wird, dann muss man den Status der
selbsternannten Republiken klar definieren und eine Reihe anderer Punkte, etwa den Abzug illegaler militärischer Verbände oder die im September existierende Abgrenzungslinie, streichen", sagt Jepifanzew.
Im Fall einer militärischen Niederlage oder der Zahlungsunfähigkeit Kiews, die die Regierung Poroschenko der Möglichkeit berauben würde, den Krieg fortzusetzen, werde man von der Idee absehen müssen, die umkämpften Gebiete in der Ukraine zu belassen. „Stattdessen müssten Vereinbarungen getroffen werden, die den Gebieten einen Status als Subjekte internationalen Rechts zuweisen; womöglich mit einem zeitlichen Verzug, aber mit einem friedlichen Leben ohne Blockade", setzt Jepifanzew fort. „Wenn Kiew aber nicht auf Ansprüche auf die Gebiete verzichtet, wird es um ein Einfrieren des Konflikts und eine Verwandlung des Donezbeckens in ein neues Transnistrien gehen."
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