Die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der russische Präsident Wladimir Putin und der französische Präsident François Hollande während des Ukraine-Treffens im Kreml am 6.Februar 2015. Foto: Reuters
Heute soll in Minsk ein erneutes Treffen der vier „Normandie"-Staaten stattfinden, also der Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs sowie der Präsidenten der Ukraine und Russlands. Am Ende des Tages könnte ein neuer Plan zur Beendigung des Konflikts im Donezbecken stehen. Doch hierfür müssen die Parteien zuerst eine Reihe von Streitpunkten klären. „Die langwierigen Vorbereitungen zu den morgigen Gesprächen zeugen davon, dass eine Verständigung zu den Grundprinzipien bereits getroffen wurde und nun ein Feilschen um die einzelne Details im Gange ist", glaubt Kirill Koktysch, Dozent an der Fakultät für Politiktheorie des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen.
Eine der offenen Fragen ist der Wunsch der Aufständischen, die Realitäten anzuerkennen, die nach den letzten Kampfhandlungen entstanden sind. „Moskau wird versuchen, die jüngsten militärischen Erfolge der Milizen schriftlich festzuhalten und eine neue Frontlinie zu verhandeln, am besten mit der Übergabe der gesamten Administrativgebiete der Donezk- und Luhansk-Regionen unter die Kontrolle der Aufständischen", sagt der stellvertretende Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien der Higher School of Economics Dmitrij Suslow gegenüber RBTH. Seiner Meinung nach werde dieser Wunsch den Aufständischen wohl kaum erfüllt werden können, gleichwohl wird eine neue Frontlinie trotz der ablehnenden Haltung Kiews wahrscheinlich gezogen werden müssen.
Mit der Umzingelung eines großen Verbands der ukrainischen Streitkräfte durch den Milizen in der Nähe von Debalzewe ist die Verhandlungsposition Russlands zuletzt wesentlich gestärkt worden. Sollten die heutigen Verhandlungen zu keiner Lösung führen, könnten die eingekesselten Truppen Kiews schnell von den Aufständischen besiegt werden.
Die aktuelle Frontlinie könnte einen permanenten Status erhalten, wenn sich die Parteien darauf einigen können, an ihr entlang Friedenstruppen zu stationieren. Nach Ansicht Suslows werde Moskau dafür eintreten, dass das von Paris und Berlin vorgeschlagene Friedenstruppenkontingent unter Leitung der UN oder OSZE stehen solle und keine Soldaten der Nato-Länder umfassen dürfe.
Eine weitere Frage ist die nach der Föderalisierung, die in der Ukraine und in Ländern des Westens als „weitgehende Dezentralisierung" bezeichnet wird. „Russland wird darauf bestehen, dass sich Kiew verpflichtet, eine politische Reform durchzuführen und damit nicht nur die Autonomie der
östlichen Regionen der Ukraine sicherstellt, sondern auch die Möglichkeit einer Beteiligung an der Führung des Landes bietet", glaubt Suslow.
Doch selbst wenn Poroschenko einer Föderalisierung zustimmen sollte, wird es schwierig, diese auch durchzusetzen. „Es braucht ein Referendum und es ist klar, dass die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung den heutigen Status quo ablehnen wird. Dies kann wiederum erneute Kampfhandlungen nach sich ziehen", sagt Koktysch. Eine große Rolle spiele dabei die Tatsache, dass sich auch Washington gegen eine Dezentralisierung ausspricht. Die Amerikaner seien an der Erhaltung des westlichen Einflusses über das gesamte Gebiet der Ukraine interessiert, behauptet Suslow.
Koktysch glaubt zudem, dass ein weiteres Problem darin liege, dass Petro Poroschenko heute nur ein „begrenzt selbstständiger Spieler" sei. „Erstens ist er vom Westen finanziell abhängig. Zweitens ist der Präsident beeinflusst von aggressiven rechtsradikalen Kreisen in der Ukraine selbst. Ein Abrücken von ihrer Tagesordnung wird einen sofortigen Sturz mit Hilfe der Freiwilligenbataillone oder durch das Tandem Jazenjuk-Turtschinow
bedeuten", führt der russische Politologe und Experte für die postsowjetische Region Andrej Jepifanzew aus.
„Eine endgültige Lösung wird nur dann möglich sein, wenn sich die Kräfteverhältnisse in Kiew ändern und die Ukraine innerlich zu Kompromissen und einer politischen Reform bereit ist. Ich fürchte, dass dafür noch mehr Blut vergossen werden muss, während die wirtschaftlichen Entbehrungen immer größer werden", klagt Suslow.
Viele russische Experten zweifeln an der Bereitschaft Kiews, dem Bürgerkrieg in der nächsten Zeit Einhalt zu gebieten. Es scheine fast so, als ob sich die ukrainische Regierung eine Revanche erhoffe und die Waffenkäufe in diesem Jahr um das Sechsfache ansteigen könnten. Nach Ansicht Koktyschs werden die Gespräche in Minsk keine endgültige Regelung bringen, sondern lediglich eine „Möglichkeit bieten, den Krieg für einen oder zwei Monate zu unterbrechen".
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