Experten zweifeln, dass die Waffenruhe eingehalten wird. Foto: AP
Als der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag nach stundenlangen Verhandlungen schließlich vor die Presse trat, erklärte er, „das wichtigste Ergebnis" sei die Vereinbarung einer Waffenruhe in den umkämpften Gebieten im ukrainischen Osten. Diese soll ab kommenden Sonntag, 0 Uhr, gelten. Weitere Eckpunkte des Abkommens von Minsk sind der Abzug schwerer Artillerie aus dem Kampfgebiet sowie die Einrichtung einer Sicherheitszone zwischen den Konfliktparteien.
Putin erwähnte bereits, dass es bei der Umsetzung Schwierigkeiten geben könnte. Er bezog sich dabei auf die Ereignisse in der Stadt Debalzewo, die von ukrainischer und russischer Seite unterschiedlich interpretiert werden. Die Aufständischen behaupten, sie hätten dort ein mehrere tausend Mann starkes Truppenkontingent der ukrainischen Streitkräfte eingekesselt. Putin gab zu verstehen, dass ein Versuch der Ukrainer gegen diese Entwicklung anzukämpfen die Lage vor Ort wesentlich verkomplizieren und die vereinbarte Waffenruhe gefährden könnte.
Die Darstellung der Aufständischen werde von Kiew bestritten, berichten Analysten. Putin hatte ebenso wie russische Militärs vorgeschlagen, den Militärexperten Wiktor Murachowskij in die Region zu entsenden, um einen objektiven Lagebericht einzuholen. Damit dieser aber überhaupt seine Arbeit machen könne, sei laut Experten eine Waffenruhe unabdingbar. Aber es gibt auf beiden Seiten wenige Anzeichen für die tatsächliche Bereitschaft, das Feuer einzustellen. Am Freitag berichteten sowohl die Aufständischen als auch die ukrainischen Streitkräfte von andauernden Artilleriebeschüssen durch den jeweiligen Gegner.
Die Weigerung Kiews, die Einkesselung ukrainischer Soldaten in Debalzewo zu bestätigen, halten russische Experten für politisch und moralpsychologisch motiviert. Die Situation erinnert an den monatelangen Kampf um den Flughafen Donezk, der, im Gegensatz zu den aktuellen Ereignissen, von geringer militärstrategische Bedeutung war, für Kiew jedoch zu einem wichtigen Symbol des Kampfs gegen die Aufständischen wurde. Die ukrainischen Streitkräfte mussten sich letztlich geschlagen geben.
Wie russische Militärexperten unterstreichen, wird man die ukrainischen Streitkräfte aus dem Kessel von Debalzewo führen müssen. Nach Angaben von Wladimir Muchin, Militärbeobachter der Zeitung „Nesawisimaja Gaseta", haben die ukrainischen Soldaten aufgrund der landschaftlichen Beschaffenheit kaum eine Chancen, sich zurückzuziehen, während Versuche, die Reihen der Aufständischen zu durchbrechen, zu großen Verlusten führen könnten.
Ein weiteres Szenario für Debalzewo erinnert an die Ereignisse am Donezker Flughafen. Alexandr Chramtschichin, Vize-Direktor des
russischen Instituts für Politik- und Militäranalyse, könnte sich vorstellen, dass die ukrainischen Streitkräfte, wie damals im Flughafen, für längere Zeit an der Stelle verbleiben. Nicht ausgeschlossen ist auch ein Durchbruch erst nach mehreren Monaten.
Der Waffenruhe gibt Chramtschichin kaum eine Chance. Er glaubt dass die aktuelle Vereinbarung ein ähnlich trauriges Schicksal ereilen werde, wie alle Vorgängerversionen. Dies hänge seiner Meinung nach damit zusammen, dass sie von äußeren Kräften aufoktroyiert und die beiden kämpfenden Parteien an ihrer Erfüllung nicht interessiert seien. Weder Kiew noch die Aufständischen hätten die gesteckten militärischen Ziele erreicht und seien weiter kampfbereit. In diesem Kontext hält Chramtschichin eine Waffenruhe ab Sonntag für möglich, er geht aber davon aus, dass die Kampfhandlungen im Sommer wieder aufflammen werden.
Experten haben einen weiteren Schwachpunkt der getroffenen Vereinbarungen ausgemacht, der eine Waffenruhe gefährden könnte. Für die Aufständischen bedeute der Abzug der schweren Artillerie von der Frontlinie, die in den Randbezirken Donezks verläuft, dass die Stadt danach nur noch von der Infanterie geschützt werden könne. Dies mache die Position der Aufständischen in diesem Abschnitt sehr fragil. Die Aufständischen würden daher nach Schätzung der Experten darauf bestehen, dass zuerst die ukrainischen Streitkräfte ihre schweren Waffen abziehen. Geschieht dies nicht, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass auch die Aufständischen auf schwere Artillerie verzichten.
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