Die Terroristen im Nahen Osten profitieren von der Krise in den russisch-amerikanischen Beziehungen, meinen Experten. Foto: Reuters
Russland und die USA hätten „wiederholt Fragen der Zusammenarbeit diskutiert und es sich schließlich zum Ziel gesetzt, sie nicht mit Politik zu vermischen", sagte Alexander Bortnikow, Leiter des Inlandsgeheimdienstes der Russischen Föderation FSB, im Anschluss an die Internationale Konferenz zur Bekämpfung des Terrorismus vergangene Woche in Washington. Russland sei bereit, sich am Kampf gegen die radikalislamistische Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu beteiligen, so der FSB-Chef.
„Uns ist bewusst, dass wir zusammenarbeiten müssen, ohne Rücksicht auf die politischen Probleme", erklärte Bortnikow, denn „die jüngsten Entwicklungen sind so dramatisch, dass wir unsere Kräfte bündeln müssen". Der Islamische Staat kontrolliert Teile des syrischen und irakischen Staatsgebietes. In den Medien fand diese Aussage große Beachtung. Denn die russisch-amerikanische Zusammenarbeit im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, so merken Experten an, sei trotz der beidseitigen Sorgen ob des schnell wachsenden Einflusses des IS auf ein Minimum reduziert worden. Der gemeinsame Kampf befinde sich gegenwärtig in einer tiefen Krise, sind sich die Experten einig.
Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass der IS bislang für Russland keine unmittelbare Gefahr darstellt. „Der IS ist vor allem daran interessiert, seinen Einfluss im Nahen Osten auszuweiten und in politisch instabile Länder vorzudringen", sagt der Nahostexperte und Professor für politische Wissenschaften der Higher School of Economics Leonid Issajew in einem Gespräch mit RBTH.
Dennoch gefährde der IS auch Russland, kämpften doch in den Reihen der Terrorgruppe Tausende Dschihadisten aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion – aus Russland, Zentralasien und dem Südkaukasus. „Muslime radikalisieren sich, lassen sich militärisch ausbilden und kehren dann in ihre Heimat zurück", erklärt der stellvertretende Leiter des Zentrums für komplexe und internationale Forschungen der Higher School of Economics Dmitri Susslow.
Moskau und Washington stießen indes bereits auf Hindernisse bei der Einigung auf einen Kampf gegen die gemeinsame Gefahr – und das aus mehreren Gründen.
Zum einen verfolgen sie unterschiedliche Strategien. „Die amerikanische Politik im Nahen Osten ist nicht systematisch genug. Als al-Quaida noch Einfluss im Irak hatte, konzentrierten sich die USA auf Libyen, brachen dieses Projekt dann aber ab und engagierten sich im Syrienkonflikt", sagt Issajew. Die Amerikaner würden dabei auf eine Demokratisierung setzen und sich aktiv in die inneren Angelegenheiten der Staaten einmischen. Die russische Strategie im Kampf gegen den Terror stütze sich dagegen auf eine Kooperation mit den bestehenden Regierungen der Länder, ungeachtet mangelnder demokratischer Strukturen und Menschenrechte.
Zudem stehe einem gemeinsamen Vorgehen im Nahen Osten im Weg, dass Washington Moskau nicht als Partner akzeptiere. „Die Logik der Konfrontation zwingt die USA dazu, jede Form einer Zusammenarbeit im Grunde abzulehnen und lange abzuwägen, ob sie tatsächlich absolut notwendig ist.
Die Seiten schätzen außerdem die Ursachen der zunehmenden Terrorgefahr unterschiedlich ein", so Susslow. „In Russland glauben viele, dass die USA weitgehend selbst für das Entstehen des IS verantwortlich sind. In der amerikanischen Syrien-Politik erkennen sie eine Wiederholung
der Erfahrung der 1980er-Jahre, als die USA afghanische Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützte."
Einen gemeinsamen Kampf gegen den Terror verhindere zudem die Tendenz einer Teilung der Region in Einflusssphären. „Die Konkurrenzsituation macht eine gemeinsame Arbeit einfach unmöglich. Sie spielt vielmehr den radikalen Strukturen in die Hände", glaubt Issajew.
Washington und Moskau hätten nun begriffen, dass die Gewinner der Konflikte vor allem die Terroristen seien, ist Dmitri Susslow überzeugt. Das verdeutlichten Bortnikows Aussagen über eine mögliche Zusammenarbeit der Geheimdienste: „Es ist das erste Anzeichen einer neuen Phase einer ‚reifen Konfrontation', in der Konflikte zu bestimmten Fragen, wie zum Beispiel zur Ukraine, einem Dialog zu anderen Problemen und sogar einer punktuellen Kooperation nicht im Wege stehen", meint der Experte.
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