Russlands Opposition in Trauer: Boris Nemzow ermordet

Der Kreml-Kritiker Boris Nemzow ist am späten Freitagabend in Moskau erschossen worden. Foto: Ilja Schurow/wikipedia.org

Der Kreml-Kritiker Boris Nemzow ist am späten Freitagabend in Moskau erschossen worden. Foto: Ilja Schurow/wikipedia.org

Unweit des Kremls wurde in der Nacht zum Samstag der Politiker und Oppositionsführer Boris Nemzow erschossen. Russlands Präsident Wladimir Putin spricht von einem Auftragsmord. Die Mitstreiter Nemzows vermuten politische Motive: Nemzow wollte einen Bericht veröffentlichen, der eine Beteiligung der russischen Regierung am Krieg in der Ukraine belegt.

In der Nacht zum Samstag wurde Boris Nemzow, Oppositioneller, Mitvorsitzender der liberal-demokratischen Republikanischen Partei Russlands – Partei der Volksfreiheit und ehemaliger Vize-Ministerpräsident Russlands, im Zentrum Moskaus erschossen.

Nach Angaben der Polizei ging der Politiker in Begleitung einer 23-jährigen Frau aus Kiew von einem Restaurant nahe des Roten Platzes über die Große Moskwarezkij-Brücke, als er aus einem weißen Wagen heraus aus kurzer Distanz erschossen wurde. Sieben Schüsse wurden abgegeben, vier davon trafen ihn tödlich im Rücken. Der Politiker starb sofort. Die junge Frau wurde nicht verletzt.

Über die Tatverdächtigen ist bislang nichts bekannt. Weder wurde jemand festgenommen, noch wurden die Zeugenaussagen veröffentlicht. „Es werden alle Versionen des Geschehenen geprüft, einschließlich eines Auftragsmords", sagte die Sprecherin des Ermittlungskomitees Russlands für Moskau Julija Iwanowa.

Kurz vor seinem Tod hatte Nemzow noch in einem Interview gesagt, er fürchte um sein Leben. Der Politiker führte eine aktive Oppositionstätigkeit und war einer der Organisatoren der Protestdemonstration „Antikrisenmarsch ‚Frühling'", die für diesen Sonntag angesetzt war. Vor einigen Tagen publizierte Nemzow einen Bericht, in dem 133 Abgeordnete der Staatsduma und Senatoren der Steuerhinterziehung überführt werden. Brisanter sei nach Meinung seiner Mitstreiter jedoch ein noch nicht veröffentlichter Bericht zur Ukraine, in dem Nemzow Belege anführe, dass das russische Militär im Donezbecken von der höchsten Führung Russlands gelenkt werde.

 

„Alle Anzeichen eines Auftragsmords"

Der russische Präsident Wladimir Putin selbst sagte seinem Sprecher Dimitri Peskow zufolge, der Mord an Boris Nemzow trage „alle Anzeichen eines Auftragsmords und einer Provokation". Der Präsident übernehme die Kontrolle über die Ermittlungen zum Mord des Oppositionellen persönlich, kündigte Peskow an.

In den sozialen Netzwerken habe Nemzow Morddrohungen erhalten, wie dessen Anwalt Wadim Prochorow sagte. Erst vor wenigen Wochen soll jemand geschrieben haben: „Ich mache dich bald kalt". Allerdings sieht der Anwalt darin keine Verbindung zum Geschehenen. Prochorow ist von einem politischen Hintergrund des Mordes überzeugt. Seiner Ansicht nach kommen die Mörder aus dem Kriegsherd des Donezbeckens. Boris Nemzow sei dort gewesen und habe auch Kontakte zu Kiew gehabt. Der Politiker nahm zudem den Abgeordnetenposten der Regionalduma von Jaroslawl ein.

Seine Parlamentskollegen und Parteigenossen schließen jedoch aus, dass sein Mord mit seiner Tätigkeit in der Region zusammenhängt. Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach sich gegen einen politischen Mord aus. Im Interview mit dem Radiosender Kommersant-FM sagte er: „Im politischen Sinne stellte er (Nemzow) keinerlei Gefahr für die aktuelle russische Führung und Wladimir Putin dar."

 

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Trauermarsch statt Antikrisenmarsch

Der Schock über den Mord sitzt in Russland tief. „Das war eine Hinrichtung", sagte der Oppositionelle und frühere Regierungschef Michail Kasjanow. Sein Freund und Parteigenosse sei von verschiedenen

Organisationen verfolgt und mit Dreck beworfen worden. „Er hat dafür gekämpft, dass Russland zu einem freien Land wird, in dem das Leben eines Menschen über allem steht. Sich vorzustellen, dass ein Oppositionsführer demonstrativ in der Nähe des Kremls umgebracht wird, ist unfassbar. Er wurde für die Wahrheit umgebracht", kommentierte Kasjanow.

Auch der Ex-Chef des Erdölriesen Jukos, Michail Chodorkowskij, hat seine Trauer bekundet: „Der Tod von Boris ist ein Unglück für mich und meine Familie. Wir haben ihn als einen übermütigen, aber sehr guten Freund geliebt." Menschen bringen Blumen und Kerzen an den Tatort.

Die Opposition will nun den für Sonntag geplanten Oppositionsmarsch in einen offiziellen Trauermarsch umwandeln. Dazu hat sie sich bereits an das Bürgermeisteramt Moskau gewandt, um den Marsch von dem Randbezirk Moskaus Marjino ins Stadtzentrum zu verlagern.

Boris Nemzow nahm einen außerordentlich wichtigen Platz unter den Politikern der 1990er- bis 2000er-Jahre ein. Von 1991 bis 1997 war er der erste Gouverneur der Region Nischnij Nowgorod, danach arbeitete er in der Regierung als Minister für Treibstoff und Energie (1997), wonach er der erste Vize-Vorsitzende der Regierung wurde. Er sprach sich gegen die Staatsmonopole und die enge Verbindung des Staates mit den Oligarchen aus. Er wurde zeitweise als Nachfolger von Präsident Boris Jelzin gehandelt.

Von 1999 bis 2003 arbeitete Nemzow in der Staatsduma, danach ging er in die kritische Opposition. Im Jahr 2004 unterstützte seine Partei „Union der Rechten Kräfte” offen die Wahlkampagne des künftigen Präsidenten der Ukraine Wiktor Juschtschenko, dessen inoffzieller Berater Nemzow von 2005 bis 2006 war.

Die Jahre danach gehörte er verschiedenen Gruppen der Opposition an und organisierte Massenproteste. Auf ihn geht auch die Demonstrationsserie in den Jahren 2011 und 2012 gegen Wahlfälschung zurück.

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