Die Ermittler glauben, dass Nationalisten hinter der Ermordung von Boris Nemzow stecken. Foto: Michail Dschaparidse/TASS
Der russische Oppositionelle Boris Nemzow ist offenbar nicht von einem Profikiller getötet worden. Das zumindest sagten Ermittler der Zeitung „Kommersant". Zudem erklärten sie, es gebe keine Aufzeichnung der Tat durch eine der Überwachungskameras, die rund um den Kreml installiert sind.
Die Beamten verfolgen mehrere Ansätze, im Verdacht haben sie nun vor allem radikale Nationalisten. Diese sollen Nemzow ermordet haben, weil er die ukrainische Regierung unterstützte. Igor Krasnow, Chefermittler für schwerwiegende Verbrechen beim Vorsitzenden des russischen Ermittlungskomitees, der auch die Untersuchungen im Fall Nemzow leitet, gilt als Experte für Fälle mit nationalistischem Hintergrund.
Nach einer Auswertung der Patronenhülsen am Tatort stand für die Ermittler schnell fest, dass Nemzows Ermordung nicht das Werk eines Profis sein könne. Die Patronen wurden demnach zu unterschiedlichen Zeiten, nämlich 1986 und 1992, sowie in verschiedenen Betrieben hergestellt. „Auftragsmörder pflegen aber ihre Waffen und haben diese stets einsatzbereit", erklärt der ehemalige FSB-Mitarbeiter Generalmajor a.D. Alexander Michailow. Im Fall Nemzow hätten der oder die Mörder hingegen mit dem geschossen, „was sie gerade zur Verfügung hatten", so Miachailow. „Das weist eindeutig auf gewöhnliche Kriminelle hin."
Das Versagen der Videoüberwachung in der Nähe des Tatorts gab Verschwörungstheorien Aufschwung. Der Schauplatz des Verbrechens, die Große-Moskwa-Brücke, liegt in unmittelbarer Nähe des Kremls. Viele Menschen hielten es daher für unmöglich, dass nicht eine der rund um die Residenz des russischen Präsidenten installierten, zahlreichen Überwachungskameras die Tat gefilmt haben soll. Der „Kommersant" berichtete zunächst unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen, dass es zwar Aufzeichnungen gebe, diese jedoch nicht scharf genug seien, um darauf etwas zu erkennen. Zudem seien tatsächlich einige Überwachungskameras wegen Instandhaltungsarbeiten am Kreml abgeschaltet gewesen. Michailow überrascht das nicht: „Ich habe es während meiner Einsätze oft erlebt, dass etwas, was eigentlich zuverlässig funktionieren müsste, doch ausgefallen ist." Der Föderale Sicherheitsdienst (FSO) dementierte allerdings später und erklärte, die Kameras seien intakt gewesen, jedoch hätten sie das Kremlgelände im Visier gehabt. Die Große-Moskwa-Brücke liege zudem nicht im Zuständigkeitsbereich des Föderalen Sicherheitsdienstes.
Die Nationalisten, die nun ins Zentrum der Ermittlungen gerückt sind, wollen sich mit der Rolle des Sündenbocks für den Nemzow-Mord nicht zufrieden
geben. Die Vermutung, der Mord sei von radikalen Patrioten oder Aufständischen aus der Ukraine oder von Anhängern des in Russland verbotenen Rechten Sektors begangen worden, seien „Unsinn" und ein Versuch, ihnen den Fall „anzuhängen", erklärten Vertreter der Nationalisten gegenüber RBTH.
„In den letzten drei Jahren kooperierte Nemzow aktiv mit den Nationalisten und setzte sich sehr engagiert für die Idee eines Parlaments, dem unter anderem auch Anhänger der nationalistischen Bewegung angehören sollten, ein", sagt Wladimir Jermolajew, ein führender Politiker aus dem Ethnopolitischen Verein "Russkije" (zu Deutsch - "Die Russen").
Der Menschenrechtler und Rechtsanwalt der Nationalisten, Matwej Zsen, stellt sich die Frage, welches Motiv Anhänger des Rechten Sektors für den Mord an Nemzow gehabt haben sollen: „Wozu sollten sie ihren politischen Anhänger umbringen?" Auch die Möglichkeit, dass Aufständische aus dem Südosten der Ukraine hinter der Tat stecken, hält er für unwahrscheinlich: „Nemzows Aktivitäten hatten keinerlei Auswirkungen auf das Geschehen in
den selbst ernannten Volksrepubliken."
Gegen eine Beteiligung der Aufständischen spreche noch mehr: „Man muss für Polizeieinsätze geschult sein, um einen Menschen lückenlos zu überwachen, ohne dabei selbst entdeckt zu werden. Das lernt man nicht im Krieg", meint Zsen. Die Schlussfolgerungen der Ermittler zu den unterschiedlichen Patronen kann er nicht nachvollziehen. Daraus ergebe sich nicht zwingend, dass es sich nicht um einen Profikiller gehandelt habe. Im Gegenteil, für einen Profikiller spreche die dreiste Ausführung des Verbrechens und der Umstand, dass der oder die Täter nicht „auf frischer Tat ertappt" worden seien. „Aufständische hätten wohl eher ein Scharfschützengewehr als Tatwaffe gewählt, mit dem das Ziel auch aus mehreren hundert Metern Entfernung getroffen werden kann", meint Zsen. Denn dazu brauche es keine Observierungsfähigkeiten.
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