Foto: Konstantin Sawraschin/Rossijskaja Gaseta
Moskau feiert drei Tage lang das Kriegsende vor siebzig Jahren. Zahlreiche Delegationen aus Russlands Nachbarstaaten und der ganzen Welt gedachten des Sieges über den Nationalsozialismus an der Moskwa.
Westliche Staatsoberhäupter hingegen machten sich rar. Der tschechische Präsident Miloš Zeman und der slowakische Premier Robert Fico reisten als einzige EU-Vertreter an. Die bekanntesten Gäste der Siegesparade am 9. Mai waren der chinesische Präsident Xi Jinping und Indiens Staatsoberhaupt Pranab Mukherjee. Auch die anderen BRICS-Staaten Brasilien und Südafrika waren mit hochrangigen Delegationen vertreten. Wie sehr Russland eine Politik der multipolaren Beziehungen betreibt, konnte man am Samstag auf dem Roten Platz sehen, wo nicht nur Truppen aus Armenien und Aserbaidschan marschierten, sondern auch aus China, Indien, Iran oder Serbien.
Angela Merkel, die Kanzlerin der Bundesrepublik, hatte sich entschlossen, auf die Parade zum 9. Mai und die Präsentation russischer Wehrtechnik zu verzichten. Dennoch sah das Kanzleramt Deutschland in der Pflicht, eines Krieges zu gedenken, der von seinem Boden ausging und allein in der Sowjetunion mehr als 27 Millionen Opfer forderte.
Das Verhältnis zwischen der Kanzlerin und Präsident Wladimir Putin ist angespannt. Der schwelende Konflikt im Donbass mit mehr als 6 000 Opfern und die Angliederung der Krim durch die Russische Föderation beunruhigen Berlin. Die Rhetorik ist schrill.
Fernab dieser politischen Spiele sieht die Realität jedoch anders aus. Eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ließe sich innerhalb der EU kaum durchsetzen. Genauso wenig könnten die aktuell bestehenden Sanktionen rasch aufgehoben werden. Viel eher interessieren die Europäer im Moment interne Probleme wie die Euro-Krise.
In dieser festgefahrenen Situation könnte der Besuch der deutschen Kanzlerin während der Maifeiertage ein Zeichen vorsichtiger Annäherung bedeuten.
Der wichtige Auftritt wurde sorgfältig geplant. Weiträumig wurde schon am frühen Morgen der Alexandergarten vor dem Kreml abgesperrt. Um 11.30 Uhr marschierten Orchester und Ehrengarde auf. Zwei Dutzend russische und deutsche Medienvertreter machten sich bereit. Der russische Präsident fuhr vor, umgeben von einer Eskorte schwerer Mercedes-Geländewagen. Zwei Minuten später erschien die deutsche Delegation. Der Fußweg zum Grabmal des unbekannten Soldaten ist 100 Meter lang. Merkel und Putin schritten im Abstand von zwei Metern die Stufen zum Denkmal hinauf. Zwei schwere Rosen- und Nelkenkränze legte die Leibgarde vor der ewigen Flamme nieder.
Die Nationalhymnen beider Länder wurden gespielt. Merkel und Putin verharrten. Beide wirkten angespannt. Nach einer Gedenkminute schritten beide alleine, sich leise und ohne Übersetzer unterhaltend, die Allee der Heldenstädte entlang und verschwanden hinter den Mauern des Kremls.
Dort gab es ein kurzes Händeschütteln für die Fotografen. Noch immer war den Politikern die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Beide nahmen Platz,
neben ihnen saßen ihre außenpolitischen Berater Christoph Heusgen und Juri Uschakow sowie die Pressesprecher beider Länder Dmitri Peskow und Steffen Seibert. Die Beratungen begannen um 13.30 Uhr.
Zwei Stunden später wurde zum Pressetermin gebeten. In einem viel zu kleinen Saal drängten sich Korrespondenten und russische Medien. Dann hieß es Warten – im aufgeheizten Klima. Nach einer gefühlten Ewigkeit erschienen Gastgeber Putin und die Kanzlerin gestikulierend.
Putin erklärte, wie eng Russland und Deutschland trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen wirtschaftlich verbunden seien. Alleine im Kontext der Olympischen Spiele in Sotschi hätten rund 100 deutsche Unternehmen Projekte im Umfang von mehr als 1,5 Milliarden Euro erhalten. Im Juni finde eine deutsch-russische Städtepartnerschaftskonferenz statt. 23 russische Regionen würden Beziehungen mit den deutschen Bundesländern pflegen. Die russische Seite sei am Wiederaufleben der Beziehungen interessiert. Putin bezeichnete Deutschland als „Partner und Freund".
Die Fragen der Journalisten bezogen sich aber auf das Minsker Abkommen, auf den Donbass, die Ukraine und die augenblickliche politische Lage. Merkel und Putin bekräftigten beide die Wichtigkeit der
OSZE-Kontrollen. Angela Merkel wies mehrfach auf die Fragilität des Minsker Abkommens hin, „aber wir haben kein anderes". Die Kanzlerin wirkte frustriert. Auch Putin hielt den Minsker Prozess für alternativlos. In der Einschätzung der Gesamtlage waren beide aber weit voneinander entfernt.
Der Termin dauerte eine halbe Stunde, danach zogen sich beide Delegationen zu einem Arbeitsessen zurück. Die Stimmung wirkte etwas gelöster. Es schien, als ob ein Tiefpunkt der politischen Beziehungen beider Länder durchschritten sei. Der persönliche Meinungsaustausch nach drei Monaten und vielen Telefonaten war wichtig.
Die Entwicklungen in der Ukraine in den kommenden Wochen wird entscheiden, wohin sich die Beziehung beider Nationen bewegt.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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