Direktor des Moskauer Büros von Amnesty International Sergej Nikitin: "Das neue Gesetz richtet sich gegen die Zivilgesellschaft Russlands". Foto: Sergej Bobylew/TASS
Am Dienstag fand die dritte und damit letzte Lesung zum „Gesetz über unerwünschte ausländische oder internationale NGOs" statt. Demnach kann die Tätigkeit von NGOs, die eine mutmaßliche Gefahr für die geltende Verfassung, die Verteidigungsfähigkeit oder die Sicherheit der Russischen Föderation sein könnten, stark eingeschränkt werden. Sie dürften keine Zweigstellen mehr eröffnen, keine Programme oder Projekte durchführen und kein Informationsmaterial über die Medien oder das Internet mehr verbreiteten.
Bei einem Verstoß gegen das neue Gesetz werden dafür nicht nur die Organisation selbst, sondern alle ihre Unterstützer zur Rechenschaft gezogen, zum Beispiel juristische und private Personen, Banken und Finanzinstitute. Diesen „Mittätern" drohen Geldstrafen von bis zu 100 000 Rubel, umgerechnet etwa 1 800 Euro, oder Haftstrafen von bis zu sechs Jahren.
Aus der Staatsduma heißt es, man wolle „ein Instrument zur schnellen Reaktion auf potentielle Gefahren" schaffen. Es gehe darum, auf eventuelle Versuche von außen, in Russland für Unruhe zu sorgen, umgehend reagieren zu können, erklärt Anton Ischtschenko, Abgeordneter der Liberaldemokratischen Partei Russlands und einer der Initiatoren des Gesetzes. Auch profitorientierte Organisationen könnten unter das Gesetz fallen.
Nun ist die Generalstaatsanwaltschaft Russlands am Zug. Sie muss entscheiden, wer im Sinne des neuen Gesetzes als „unerwünscht" gelten soll. Dies geschieht in Abstimmung mit dem Innenministerium. Die Liste selbst wird dann vom Justizministerium verwaltet. In der Staatsduma betont man, keinen Einfluss darauf zu haben, wer auf die Liste kommen wird. Im Moment sieht Anton Ischtschenko noch keine potentiellen Kandidaten und erklärte, dass es seitens der Staatsduma auch keine entsprechenden Empfehlungen geben werde.
Nichtregierungsorganisationen hingegen sehen sich durch das neue Gesetz in ihrem Fortbestand bedroht und nehmen es als Druckmittel wahr. Olga Pispanen ist Vorsitzende der Bewegung Offenes Russland, die vom früheren Yukos-Chef Michail Chodorkowskij gegründet wurde. Bis heute arbeitet sie als dessen Pressesekretärin. Pispanen sagt: „Das Gesetz ist gegen uns und andere Organisationen mit einem ähnlichen Profil gerichtet." Sie nennt das Gesetz „unverhohlene Idiotie" und stellt klar, dass Offenes Russland nicht bereit sei, sich davon behindern zu lassen: „Wir machen weiter wie bisher", so Pispanen.
Sergej Nikitin, Direktor des Moskauer Büros von Amnesty International, zeigt sich von dem neuen Gesetz nicht überrascht. Er nennt es ein „Gesetz gegen
die Zivilgesellschaft Russlands". Es sei eine „logische Fortsetzung" des „Gesetzes über ausländische Agenten", das auf NGOs abziele, die politisch aktiv sind und mit ausländischen Geldern unterstützt werden, so Nikitin. „Nach den russischen Organisationen knöpft man sich nun die internationalen vor."
Rechtsschützer kritisieren eine gewisse Nachlässigkeit bei dem neuen Gesetz. Es unterscheide sich nicht von bereits existierenden Gesetzen zum Schutz des Staates wie dem Extremismus-Gesetz. Zudem sei nicht deutlich formuliert, wie eine Streichung aus dem Register beantragt oder wie gegen Beschlüsse der Generalstaatsanwaltschaft vorgegangen werden könne.
Diese Unklarheiten erklärt der Politologe Igor Bunin damit, dass das Gesetz eine Präventivnorm sei, die dem Zwecke der Selbstverteidigung dienen solle. Es sei sehr offen formuliert und es gehe daraus nicht hervor, gegen wen konkret es sich richtet. Bunin schließt nicht aus, dass der Kreml sich
das zunutze machen und das neue Gesetz die Organisationen treffen könnte, die dem Kreml bedrohlich erscheinen.
Pawel Salin, Direktor des Zentrums für Politikforschung an der Finanzuniversität der Regierung Russlands, sieht besonders die Definition der Mittäter, denen Geld- und Haftstrafen drohen, kritisch. Sie könnte den Organisationen Probleme bereiten. Er erinnert an das Jahr 2012, als der Tatbestand des Staatsverrats ausgeweitet wurde. Der war plötzlich auch bei jeglicher Beratungstätigkeit gegenüber ausländischen Subjekten gegeben. „Ich weiß, dass viele Experten in der Folge auf ausländische Anfragen zurückhaltender und vorsichtiger reagierten", so Salin. Den potentiellen Kandidaten für die Liste der „unerwünschten" Organisationen könnte es ähnlich gehen, meint er: „Die drohende Strafverfolgung könnte dazu führen, dass sie von Finanzierungs- und Informationsquellen abgeschnitten werden."
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