Boris Nemzows Tochter verlässt Russland nach Drohungen

Schanna Nemzowa besucht die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen am 28. Mai 2015. Foto: EPA

Schanna Nemzowa besucht die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen am 28. Mai 2015. Foto: EPA

Schanna Nemzowa, älteste Tochter des im Februar ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow, hat Russland verlassen. Eigenen Aussagen zufolge sei sie zuvor massiv bedroht worden. Zugleich erneuert sie ihre Vorwürfe gegen die russische Regierung.

Wadim Prochorow, Anwalt der Nemzow-Familie, bestätigte gegenüber RBTH, dass Schanna Nemzowa, Tochter des ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow, Russland verlassen habe und sich in Europa aufhalte.

Darüber, dass sie Drohungen erhalte, sprach Schanna im Interview mit der britischen Zeitung „Times". „Mischen Sie sich nicht in die Politik ein, wenn Sie normal leben wollen; nicht nur in Russland, sondern allgemein! Ihr Vater hat genug dafür getan, dass wir, 139 Millionen Menschen, ihn hassen", zitiert die Zeitung eine der Nachrichten, die Nemzowa über soziale Netzwerke erhalten haben soll.

Schanna sagte der Zeitung, die Situation in Russland verschlechtere sich nach dem Tod ihres Vaters rasant. Sie verwies auf den Fall des Journalisten Wladimir Kara-Mursa, der mit ihrem Vater befreundet war und nach einer mutmaßlichen Vergiftung in kritischem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Russische Medien berichten indes, dass der Toxikologe Pascal Kintz den von der russischen Regierung formulierten Verdacht einer gleichzeitigen Einnahme von Allergietabletten zusammen mit anderen Medikamenten teilweise bestätige.

 

„Politik des Terrors"

Der Anwalt der Familie berichtete im Gespräch mit RBTH, dass die "Situation um Schanna äußerst angespannt" sei. Neben dem Fall Kara-Mursa verwies er zudem darauf, dass das Oberhaupt Tschetscheniens Ramsan Kadyrow "nicht zum Verhör geladen wird, sondern neue Verdienstmedaillen erhält", obwohl die im Nemzow-Fall verhafteten Verdächtigten gebürtige Tschetschenen seien. Die ehemaligen Mitstreiter des ermordeten Politikers Alexej Nawalny und Michail Kasjanow würden unterdessen beworfen. "Von Eiern bis zu Flaschen ist alles dabei." Nawalny wurde am Sonntag vor Beginn seiner Pressekonferenz in Nowosibirsk von einer Gruppe Demonstranten mit Eiern beworfen. Sie trugen Plakate mit dem Bild des Politikers vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Flagge.

Laut Prochorow spreche dies alles dafür, dass im Land eine von der russischen Regierung instigierte Politik des Terrors betrieben werde. Nemzowa selbst hatte schon früh dem Kreml die politische Verantwortung für den Tod ihres Vaters angelastet. In einem Artikel der russischen Zeitung „Wedomosti" am heutigen Dienstag konkretisierte Nemzowa die Vorwürfe an die Regierung Russlands: Sie führe eine "staatliche Gehirnwäsche-Kampagne, die einen Bevölkerungsteil auf den anderen hetzt" und mithilfe derer "Hass-Propaganda" betrieben werde. Sie verglich die russischen staatlichen Medien dabei mit dem Rundfunk Ruandas, der aktiv zum Völkermord aufgerufen hatte, sowie der Propaganda in Nazi-Deutschland.

 

„Stereotypische Vorwürfe"

Alexej Sudin, Politologe und Mitglied des Expertenrates am Institut für Sozialwirtschaftliche und Politische Studien, denkt, dass man solche Anschuldigungen nicht ernst nehmen könne. Seiner Ansicht nach seien dies "stereotypische Vorwürfe, die von Vertretern der Opposition ausgesprochen werden".

Er unterstreicht, dass es Oppositionelle selbst seien, die durch ihre Rhetorik in sozialen Netzwerken besagte Atmosphäre des Hasses schüfen. Sudin denkt, dass die Abreise Nemzowas nur zwei Erklärungen haben könne: „Entweder konnte sie die Gefühle nicht bezwingen, die sie nach dem Mord an ihrem Vater entwickelt hat, oder sie beschloss, die Arbeitsstelle zu wechseln."

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