Droht neuer Streit zwischen Russland und der Türkei?

Erdoğan sprach erstmals öffentlich über einen Kampf gegen Assad selbst. Zuvor hatte er immer wieder unterstrichen, dass die Türkei in Syrien gegen den IS kämpfe.

Erdoğan sprach erstmals öffentlich über einen Kampf gegen Assad selbst. Zuvor hatte er immer wieder unterstrichen, dass die Türkei in Syrien gegen den IS kämpfe.

Reuters
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat verkündet, dass das Ziel der türkischen Militäroperation in Syrien der Sturz Bashar al-Assads sei. Russland, der wichtigste Verbündete des syrischen Präsidenten, reagierte zunächst zurückhaltend auf die klare Positionierung aus Istanbul. Droht das Verhältnis zwischen Moskau und Ankara wieder zu kippen?

In einer Rede auf einem wissenschaftlichen Symposium in Istanbul am Dienstag machte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan unerwartet eine vollmundige Ankündigung: „Wir sind nach Syrien gekommen, um die Schreckensherrschaft des Tyrannen Bashar al-Assad, der einen Terrorstaat im Land errichtet hat, zu beenden“. Bereits einen Tag später beschwichtigte Erdoğans Verwaltung und teilte mit, die Worte des Präsidenten dürften nicht buchstäblich aufgefasst werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie jedoch bereits für stürmische Reaktionen gesorgt.

Die Ankündigung des türkischen Staatsführers klingen besonders vollmundig, wenn man berücksichtigt, dass Russland einer der wichtigsten Verbündeten des syrischen Präsidenten Assads ist. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland befinden sich noch immer in einer Phase der Wiederbelebung, nachdem die Türkei am 24. November 2015 ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen hatte. Eine erneute Konfrontation wegen des Syrienkonfliktes scheint nun möglich.

Reaktion auf den Tod von Soldaten?

Erdoğan sprach erstmals öffentlich über einen Kampf gegen Assad selbst. Zuvor hatte er immer wieder unterstrichen, dass die Türkei in Syrien gegen den IS kämpfe. Sein unerwarteter Vorstoß dürfte eine Reaktion auf den Tod dreier türkischer Soldaten im Norden Syriens durch mutmaßlichen syrischen Beschuss sein, glaubt Juri Mawaschew, Leiter der Politikabteilung des Zentrums für zeitgenössische Türkeiforschung.

Die türkischen Soldaten kamen am 24. November, dem Jahrestag des Abschusses des russischen Kampfflugzeugs, bei einem Feuergefecht in der Nähe der Stadt al-Bab im Norden Syriens ums Leben. Moskau bestreitet eine Beteiligung, Damaskus schweigt zu dem Vorfall. Die Türkei beschuldige nun Syrien, für den Tod der Soldaten verantwortlich zu sein, und dies sei auch der Grund für die Ankündigung Erdoğans, sagt Mawaschew. Gegenüber RBTH führt er aus: „Erdoğan kann diesen Vorfall in den Augen seiner Anhänger nicht unbeantwortet lassen. Er möchte sie beruhigen und ihnen versichern, dass alles nach Plan läuft und die Türkei von ihren Positionen in Syrien nicht zurückweiche.“

Kriegsrhetorik oder doch ein „Nervenzusammenbruch“?

Es kursieren aber auch andere Erklärungen, warum der türkische Präsident vom Sturz Assads sprach. Wladimir Awatkow, Direktor des Zentrums für Orientforschung, vermutet, dass Erdoğan durch seine Kriegsrhetorik versuche, sein Umfeld zusammenzuschweißen und gleichzeitig Druck auf Assads Verbündete Russland und Iran auszuüben. Er glaubt zudem, dass der türkische Präsident die beiden Länder zu Eingeständnissen in der Syrienfrage drängen wolle.

Der Turkologe Viktor Nadein-Rajewskij, führender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Akademie der Wissenschaften, äußert eine weitere Vermutung gegenüber RBTH: „Ich werte die Ankündigung als Nervenzusammenbruch Erdoğans, als einen rein emotionalen Ausbruch. Er ist ein impulsiver Mensch.“ Erdoğan hätten möglicherweise die jüngsten Erfolge der syrischen Armee in Aleppo verstimmt, wo die von der Türkei unterstützten Rebellen herbe Verluste hinnehmen mussten.

Kämpft die Türkei nun offen gegen die syrische Regierung?

Awatkow erinnert daran, dass Erdoğan bereits vor seiner Äußerung vom Dienstag Assad fortlaufend kritisiert habe. „Die Türkei trat von Anbeginn des Konfliktes für eine Transformation des Regimes in Syrien ein“, sagt der Experte. „Die Türkei war eines der ersten Länder, die öffentlich verkündeten, dass Assad ein Diktator sei und gestürzt werden müsse“. Deshalb stehe Erdoğans Ankündigung auch nicht im Widerspruch zu seiner traditionellen Politik, zumal die syrische und türkische Armee sich im Norden Syriens in gefährlicher Nähe zueinander befänden.

Derweil bezweifelt Mawaschew, dass Syrien oder die Türkei sich auf einen offenen Krieg einlassen würden. „Damaskus verfügt nicht über das ausreichende Potenzial, um einen Krieg gegen einen solch ernsthaften Gegner wie die türkische Armee zu führen. Aber auch die Türken werden nicht gleichzeitig gegen den IS, die Kurden und Damaskus kämpfen“, sagt er. Es werde höchstens zu lokalen Scharmützeln kommen, aber keinesfalls zu einem offenen Krieg.

Moskau hält sich bislang zurück

Vertreter Russlands reagierten verhalten auf die Worte Erdoğans. Die offizielle Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, unterstrich, dass die Ankündigung nichtöffentlichen Charakter trage und hielt sich mit einem Kommentar zurück. Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow bekannte, dass die „ernstzunehmende“ Ankündigung eine „Neuigkeit war“ und bemerkte, dass eine weiterführende Erörterung erforderlich sei. Er enthielt sich jedoch jeglicher Kritik und unterstrich, dass Putin und Erdoğan sich „in einem höchst intensiven und vertrauensvollen Kontakt“ befänden.

Turkologen merken an, dass zwischen Russland und der Türkei gewisse Vereinbarungen zur Syrien bestünden. Russland unterstütze die Truppen Assads im Gebiet Aleppo, die Türkei gehe in den grenznahen Gebieten gegen den IS und die Kurden vor, und die beiden Länder seien bestrebt, nicht in fremde „Verantwortungsbereiche“ einzudringen. „Erdoğan sollte den Rahmen der Vereinbarungen natürlich nicht verlassen, obwohl dieser Wunsch bei ihm nicht zu übersehen ist“, glaubt Nadein-Rajewskij und schränkt sogleich ein: Das Verhalten des türkischen Präsidenten lasse sich manchmal nur schwer voraussagen.

Mawaschew glaubt, in der Kontroverse zwischen Damaskus und Ankara versuche Moskau, sich mit scharfen Erklärungen und voreiligen Handlungen zurückzuhalten. „Russland wird nach außen Neutralität bewahren, und stattdessen lieber hinter den Kulissen sowohl mit der einen, wie auch mit der anderen Seite Gespräche führen.“

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