Tödlicher Luftangriff: Keine neue Eiszeit zwischen Moskau und Ankara

Bei einem russischen Luftangriff kamen drei türkische Soldaten ums Leben.

Bei einem russischen Luftangriff kamen drei türkische Soldaten ums Leben.

Reuters
Russische Streitkräfte haben im Norden Syriens bei einem fahrlässigen Luftangriff drei türkische Soldaten getötet. Auf den Vorfall folgt nun aber kein offener Konflikt: Die Türkei und Russland haben derzeit zu viele gemeinsame Interessen in Syrien. So wird deshalb nun selbst der Tod der Soldaten gerechtfertigt.

„Die russischen Kampfjets bombardierten ein Gebäude, in dem sich türkische Soldaten aufhielten”, teilte der Generalstab der türkischen Streitkräfte gestern mit. Der Zwischenfall ereignete sich unweit der Stadt Al-Bab, die vom IS kontrolliert wird. Es ist die letzte wichtige Hochburg der Terrormiliz im Norden des Landes.

Im Januar bombardierten die Türkei und Russland die Terroristen in der Region noch gemeinsam. Zudem werden die Aktivitäten der beiden Generalstäbe koordiniert. Nun kam es zu einem entscheidenden Fehler: Ein russischer Luftangriff traf türkische Soldaten.

Drei Einsatzkräfte kamen ums Leben, elf weitere wurden verletzt. Laut der Zeitung „Kommersant“ und unter Berufung auf das Verteidigungsministerium wurden die Beschussziele im Voraus abgesprochen. Ursache der Tragödie könnte „ein unkoordinierter Ortswechsel der Bodentruppen“ gewesen sein.

Die Reaktion fällt gemäßigt aus

Der letzte russisch-türkische Zwischenfall mit Todesopfern ereignete sich am 24. November 2015, als die türkische Luftwaffe einen russischen Kampfjet des Typen SU-24 abschoss. Das Flugzeug sei in den türkischen Luftraum eingedrungen, hieß es. Zwei russische Soldaten kamen ums Leben. Russland reagierte damals hart: Präsident Putin bezeichnete den Angriff als „Stoß in den Rücken durch Terroristenmitstreiter”, danach folgten Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Erst nachdem sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Juni 2016 entschuldigte, verbesserten sich die Beziehungen wieder.

Diesmal scheint alles anders: Bereits die erste Mitteilung des türkischen Generalstabs besagte, dass der Angriff zwar fahrlässig erfolgt war, aber auf die IS-Terrormiliz abgezielt habe. Präsident Putin telefonierte direkt nach dem Zwischenfall mit dem türkischen Präsidenten und bekundete sein Beileid. Ankara zeige sich mit der russischen Reaktion zufrieden, sagte ein Vertreter des Generalstabs der Presseagentur „Tass“. Laut der Quelle soll eine gemeinsame russisch-türkische Kommission zukünftig ähnliche Zwischenfälle verhindern.

Konsequenzen soll es nicht geben

„Die Türkei hätte sich eigentlich für Putins Reaktion auf den Flugzeugabschuss rächen können, wird dies aber nicht machen. Die Türkei hat in Syrien keinen eigenen Plan mehr, der dem russischen widerspricht. 2015 war das noch anders“, schrieb Alexander Bajunow, Chefredakteur der Website des Moskauer Karnegi-Zentrums, auf Facebook. Nicht nur bombardierten die beiden Länder gemeinsam den IS, sondern riefen die Konfliktparteien zu einer friedlichen Beilegung des Bürgerkrieges in Syrien auf. Zusammen mit dem Iran unterstützten Russland und die Türkei die Friedensverhandlungen in Astana.

„Die russisch-türkischen Beziehungen sind gut genug, um böswillige Absichten von einer Verkettung ungünstiger Umstände unterscheiden zu können”, meint Jurij Mawaschew, Leiter der politischen Abteilung des Zentrums für Studien der modernen Türkei. Laut dem Experten hätten Moskau und Ankara die Einflussbereiche in Syrien bereits früher aufgeteilt. Diese Vereinbarungen würden eingehalten, alles andere sei unwichtig.

Wiktor Nadein-Rajewski, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint auch, dass die russisch-türkischen Beziehungen keinen erheblichen Schaden davontragen würden. „Einen fatalen Riss wird es nicht geben. Derzeit ist es vor allem wichtig, die Zusammenarbeit auf dem Boden auszubauen, um solche Zwischenfälle in der Zukunft zu vermeiden”, sagt Nadein-Rajewski. Der Experte betont, dass es zurzeit leider öfter zu Beschuss durch befreundete Truppen komme.

Al-Bab wird fallen

Laut Experten ist die Befreiung Al-Babs von der IS-Terrormiliz nur eine Frage der Zeit: Aus dem Norden rücken türkische Streitkräfte gemeinsam mit der Freien Syrischen Armee vor, aus dem Süden rücken die syrische Armee und russische Streitkräfte heran. Präsident Assad hatte zuvor die Stationierung türkischer Streitkräfte in seinem Land kritisiert. Deshalb besteht weiterhin Konfliktpotenzial.

„Die zwei Fronten rücken aneinander und bilden quasi eine Frontlinie: die eine, an der der IS gegen Türken und die Freie Syrische Armee kämpft, und die andere, an der die Terrormiliz auf die Regierung trifft”, beschreibt lschat Saetow die Situation gegenüber RBTH. Er ist Turkologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für den Nahen und Mittleren Osten am Institut für Oststudien der Russischen Akademie der Wissenschaften. In dieser Lage seien zufällige Opfer und lokale Scharmützel immer noch sehr wahrscheinlich, so der Experte. Andererseits wollten weder die Türkei, noch die syrische Regierung einen großen Krieg. Deswegen würden selbst Zusammenstöße mit Todesopfern zu keiner Eskalation führen, erklärt Saetow.

Mawaschew stimmt seinem Kollegen zu: „Das militärische Potenzial der syrischen Armee und das der türkischen sind nicht miteinander zu vergleichen”, betont der Experte. Außerdem verfüge Moskau über genug Einfluss auf Assad, um ihn von einem offenen Konflikt mit der Türkei abzuhalten. Es bestehe jedoch die Gefahr eines Konflikts zwischen den schwer kontrollierbaren Splittergruppen, bestehend aus freiwilligen Militäreinheiten und Söldnern, die auf beiden Seiten kämpften.

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