Rettet Macron die Europäische Union?

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Bundeskanzleramt in Berlin.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Bundeskanzleramt in Berlin.

Reuters
In der Europäischen Union könnte es in den kommenden Jahren zu spannenden Reformierungsprozessen kommen. Treibende Kraft wird dabei der neue französische Präsident Emmanuel Macron sein. RBTH hat russische Experten zu den Entwicklungen in Europa befragt: Was kann man von der neuen Variable in der europäischen Politik erwarten – und was bedeutet das für Russland?

Nach Emmanuel Macrons ersten Schritten im Amt als französischer Präsident – dem Staatsbesuch in Deutschland am Montag und der Ernennung eines neuen Kabinetts – kann man bereits vorsichtig über den Inhalt seines ambitionierten Versprechens, die Europäische Union reformieren zu wollen, urteilen. Und auch sein außenpolitischer Kurs zeichnet sich ab. 

Direkt nach seinem Amtsantritt trat Macron zum Staatsbesuch in Deutschland an. Während des Treffens in Berlin zeigten sich Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel einig in der Frage, ob die EU reformiert werden müsse. Zudem wollen die beiden Politiker die französisch-deutsche Partnerschaft neu aufleben lassen. Diese Partnerschaft ist in der Nachkriegszeit zum Fundament der EU geworden.

Russland setzte Hoffnungen in neuen Botschafter

Emmanuel Macron (zweiter von rechts) während des ersten Treffens mit dem frisch ernannten Kabinett Frankreichs. / ReutersEmmanuel Macron (zweiter von rechts) während des ersten Treffens mit dem frisch ernannten Kabinett Frankreichs. / Reuters

Aus dieser Perspektive muss auch die Neubesetzung des Kabinetts gesehen werden. Die Regierung wird ab sofort von Édouard Philippe, dem Bürgermeister von Le Havre, geführt. Philippe beherrscht Deutsch auf verhandlungssicherem Niveau, schreiben französische Medien. Der ehemalige Botschafter Frankreichs in Deutschland Philippe Etienne wurde zudem zum Berater des Präsidenten ernannt. Zuvor hatte Etienne den französischen Botschafter in Moskau beraten.

Jewgenia Obitschkina, Expertin für Geschichte und Außenpolitik Frankreichs am Moskauer Institut für internationale Beziehungen, gibt gegenüber RBTH zu verstehen, dass man in Moskau gehofft habe, Etienne könne als französischer Botschafter nach Russland zurückkehren. Mit ihm sei die Hoffnung verbunden gewesen, die gegenseitigen Beziehungen verbessern zu können.

Der ehemalige Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian wurde zum Außen- und Europaminister ernannt. Dies könnte als Zeichen gewertet werden, dass Frankreich sich darauf abzielen könnte, die militärische Schlagkraft der EU auszubauen. Juri Rubinski, Leiter des Zentrums für Frankreichstudien am Institut für Europa der Russischen Akademie der Wissenschaften, bestätigt diesen Eindruck – dies sei seit langem ein Wunsch Frankreichs.

Im Übrigen sind sich Experten einig, dass das neue Kabinett im Bezug auf Russland den Anweisungen Macrons folgen werde. Seine Grundhaltung hatte er bereits im Wahlkampf skizziert: Man müsse mit Russland in wichtigen Fragen der Sicherheit und wegen der Krisen in Syrien und der Ukraine zusammenarbeiten. Dabei sagte Macron, er würde sich nicht von Russland bezaubern lassen. Politikwissenschaftler vermuten deshalb, dass sich die Politik Macrons nicht von der seines Vorgängers Hollande unterscheiden werde. 

Dominanz Deutschlands?

Nach der Pressekonferenz in Berlin versucht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Emmanuel Macron die Hand zu schütteln.  Foto: ReutersNach der Pressekonferenz in Berlin versucht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Emmanuel Macron die Hand zu schütteln. Foto: Reuters

Manche Experten sehen in der Annäherung zwischen Macron und Merkel ein Eingeständnis Frankreichs: Paris sei abhängig von Berlin. Laut dem Politikwissenschaftler Andrej Susdalzew, der an der Moskauer Higher School of Economics lehrt, spürte man bereits zu Hollande-Zeiten die deutsche Dominanz im Tandem. Trotz eines konsensorientierten Entscheidungsprozesses sei Merkel das führende Glied in dieser Kombination gewesen, so der Experte.

Eine EU-Reform werde dementsprechend den deutschen Wünschen folgen, glaubt Susdalzew. Wie diese Reform aussehen könnte, wird erst im Juli klar – beim Gipfeltreffen Frankreichs und Deutschlands soll eine Roadmap für die angekündigten Reformen diskutiert werden. 

Macron als Anführer der europäischen Idee?

Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für Deutschlandstudien am Institut für Europa der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint jedoch, es gäbe noch keine Anhaltspunkte dafür, dass Macron der Politik Merkels blind folgen werde: „Es war kein Besuch eines Schwächeren beim Stärkeren, sondern ein Treffen zweier starker Partner auf Augenhöhe. Es ist ausgeschlossen, dass Frankreich irgendwann Deutschland blind folgen wird.“ Entscheidend sei in diesem Zusammenhang die nationale Mentalität der Franzosen, die mit der Tradition eines rivalisierenden Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich verbunden ist. Außerdem müsse man sich bewusst machen, dass Macron eine politische Konkurrenz für Merkel darstelle. „Macron strebt nach einer führenden Rolle – genauso wie Merkel. Er will ein Anführer der europäischen Idee und europäischer Reformen werden”, meint Below.   

Neben der Stärkung des deutsch-französischen Tandems werde Macron ebenfalls versuchen, die bilateralen Beziehungen neu zu denken, so Obitschkina. Er strebt nach einer Stärkung der französischen Positionen. 

Die EU als Konföderation

French President Emmanuel Macron welcomes European Council President Donald Tusk (L) upon his arrival at the Elysee Palace in Paris, France, May 17, 2017. / ReutersFrench President Emmanuel Macron welcomes European Council President Donald Tusk (L) upon his arrival at the Elysee Palace in Paris, France, May 17, 2017. / Reuters

Die Experten sind sich in einem Punkt aber einig: Egal, wie die Wahlen in Frankreich im Juni und in Deutschland im September auch ausgehen mögen – das europäische Projekt werde sich auch nach dem Brexit weiterentwickeln. Im Fall Deutschlands sei Berlin zu einer tieferen Integration verpflichtet, so Below. 

Dem Politologen zufolge würden Paris und Berlin das europäische Projekt höchstwahrscheinlich einer Revision unterziehen, um existierende bürokratische Hindernisse zu beseitigen. Die EU werde sich in Richtung einer Konföderation entwickeln und sich dabei eher vorsichtig an einer Stärkung der supranationalen Ebene versuchen. „Das ist genau das, was Frankreich immer wollte – eine nicht quantitative sondern qualitative Erweiterung von Mechanismen”, fasst der Experte zusammen.

Russland und die EU-Reformen

Bei möglichen russischen Reaktionen auf dieses Szenario gehen die Meinungen auseinander. Einerseits – und diese Einstellung unterstützte immer auch der russische Präsident – braucht Russland eine starke EU. „Je stärker unsere Partner sind, desto besser ist es für unsere wirtschaftlichen Beziehungen”, sagt auch Below.

Andererseits herrsche in Russland zeitgleich eine völlig andere Position, meint Susdalzew. Moskau sei am Zerfall der EU durch Austritte der Mitgliedsstaaten interessiert. Erklären kann man diese Einstellung dadurch, dass die EU sich Russland entgegenstellt und den Sanktionskurs unterstützt. Deshalb sollte Moskau eigentlich Euroskeptiker fördern. 

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