Die Russen lieben Tarussa wegen der von Kräuterduft getränkten Luft und der poetischen Atmosphäre vergangener Zeiten. Foto: Jelena Potapowa
Tarussa, eine kleine Provinzstadt an der Oka ungefähr 140 Kilometer südlich von Moskau gelegen, eignet sich hervorragend für einen Urlaub im Grünen auf den historischen Spuren der Rus. Im Frühling ist die Luft hier von Fliederduft erfüllt, die Nachtigallen singen, und Gedichte schreiben sich wie von selbst.
Obwohl die Stadt in den über 750 Jahren ihres Bestehens den Angriff der Krimtataren im 16. Jahrhundert und die Invasion napoleonischer Truppen im 19. Jahrhundert erlebte, kann sie sich keiner großartigen Schlachten rühmen – dafür aber namhafter Einwohner. Im 19. Jahrhundert begannen sich hier „Berühmtheiten" in Datschen einzuquartieren. Die erste „Emigrationswelle" nach Tarussa bestand aus den Künstlern Wassilij Polenow und Viktor Borissow-Mussatow sowie der Dichterin Marina Zwetajewa. Sie verwandelten Tarussa kurzerhand in ein Künstlerzentrum der russischen Provinz.
Der sowjetische Schriftsteller Konstantin Paustowskij, unsterblich in die
Tarussa erreicht man mit dem Auto oder dem Bus über die neue Simferopol-Chaussee (M2) und die Stadt Serpuchow. Der Schienenverkehr ist in Tarussa nie angekommen. Das verschlafene Städtchen konnte sich so seinen Charakter aus dem 19. Jahrhundert bewahren.
Eine Unterkunft findet man in Tarussa direkt am Oka-Ufer im Gästehaus Jakor (25 Euro für die Übernachtung). Dort im Café gibt es auch die Möglichkeit, mittags einzukehren.
Wer einen aristokratischen Urlaub der natürlichen Variante vorzieht, ist im Hotel „Serebrjannij Wjek“ wohl am besten aufgehoben. Fast-Food-Fans können im „Schar-Pizza“ auf dem zentralen Platz des Städtchens speisen.
„Weiten von Tarussa" verliebt, fand für die Gegend folgende Worte: „Ich würde Zentralrussland nicht für die berühmtesten und zauberhaftesten Schönheiten der Welt verlassen."
Die Russen lieben Tarussa wegen der von Kräuterduft getränkten Luft und der poetischen Atmosphäre vergangener Zeiten. Wenn abends die Sonne in der Oka versinkt, kreisen Maikäfer in Schwärmen über dem Fluss und am Ufer versammeln sich die einheimischen Fischer. Das war die Kulisse, die Polenow zu seinen besten Landschaftsgemälden und Marina Zwetajewa zu ihren Jugendgedichten inspirierte.
Die „größte Dichterin Russlands" besuchte Tarussa seit ihrer Geburt regelmäßig. Ihr Vater Iwan Zwetajew, Gründer des Museums für schöne Künste in Moskau, mietete jeden Sommer eine Datscha nicht weit von der kleinen Stadt. Das Zwetajewa-Museum befindet sich im Zentrum von Tarussa. An den Wänden hängen heute alte Fotografien, aus denen die vier Kinder der Familie Zwetajew die Besucher schalkhaft anlachen. Auf einem alten Bild kann man das Mädchen Galja erkennen, Marinas Freundin während der Sommeraufenthalte, die später die berühmte Muse von Salvador Dalí werden sollte: Gala Éluard Dalí. Das Museum ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, Montag ist Ruhetag.
Das Zwetajewa-Denkmal in Tarussa. Foto: Jelena Potapowa.
Auch verfügt die Stadt Tarussa über eine Reihe bemerkenswerter Einwohner. Verirrt man sich in die Uliza Schmidta, so fällt der Blick auf das Privatmuseum von Sergej Scharow. Der talentierte Handwerker baut aus alten Motoren, Zahnrädern und Auspuffrohren originelle Skulpturen und Designobjekte. Ein Stuhl aus einer Singer-Nähmaschine und Leuchten aus Wasserhähnen füllen das ungewöhnliche Haus, in dem es auch noch Sammlungen alter Bügeleisen und Schallplattenaufnahmen von Schaljapin gibt. „Ich bin von Beruf Tischler und verdiene damit meinen Lebensunterhalt", erzählt Sergej. „Für mein Hobby reicht es auch noch. Ich fahre fast jedes Wochenende nach Moskau, um ‚neue Antiquitäten' zu besorgen. Ich hätte schon lange dorthin ziehen können, möchte das aber nicht. Hier haben mein Großvater und meine Eltern gelebt, hier ist meine Heimat."
Foto: Jelena Potapowa
Das Leben in Tarussa hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht wesentlich verändert. Bis heute stellt eine ortsansässige Manufaktur spezielle Leinenbekleidung her. Kunsthandwerker formen wie schon vor 200 Jahren Figuren aus einem besonderen schwarzen Ton. Und die Einwohner der Stadt sind nach wie vor für ihre Geselligkeit und Gastfreundschaft bekannt.
Inspirationen in Polenowo
Von Tarussa aus lohnt sich ein Ausflug zum Landgut Polenowo auf dem gegenüberliegenden Ufer der Oka, allein schon wegen der üppigen
Flusslandschaften. Hier lebte und arbeitete der berühmte russische Landschaftsmaler Wassilij Polenow. Das von Sonnenlicht durchflutete herrschaftliche Haus mit großen Fenstern, eine Werkstatt in gotischem Stil, seine „Abtei", das wunderbare Kiefernwäldchen und der Garten sind ebenfalls nach den Plänen des Künstlers entstanden.
Das Haus beherbergt eine reiche Sammlung von Gemälden des Hausherrn selbst und seiner Freunde, der Künstler Repin, Wasnezow, Kramskij und Schischkin. Noch heute finden hier, wie schon zu Polenows Zeiten, Symphoniekonzerte undWorkshops der Töpferei und Holzschnitzkunst statt.
Der einfachste Weg nach Polenowo führt über den Fluss mit einem Dampfer oder einer Fähre. Hin- und Rückfahrt dauern etwa eine Stunde. Wenn die Schifffahrtsaison noch nicht begonnen hat, muss man einen Umweg mit dem Auto oder den Bus nehmen.
Es empfiehlt sich, Polenowo von Süden anzusteuern, über Serpuchow die Simferopol-Chaussee entlang. Das Gelände des Landsitzes ist von 11 bis 21 Uhr geöffnet, das Museum bis 18 Uhr (im Winter bis 16 Uhr).
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