Die Hofküche zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein komplexes Dienstleistungsunternehmen. Sie versorgte die Zarenfamilie nicht nur zu den gewöhnlichen Mahlzeiten, sondern auch zu festlichen und zeremoniellen Anlässe.
Sie war in drei Bereiche gegliedert: die Küche, die Konditorei und den Weinkeller. In der Konditorei waren 20 Personen beschäftigt und in der Küche etwa 150, von denen zehn ausschließlich für die Zarenfamilie kochten.
Zar und Familie, 1902. Jelena Samokisch-Sudkowskaja.
GemeinfreiDas erste Frühstück wurde den Mitgliedern der Zarenfamilie in deren Gemächern serviert. Es bestand aus einer Auswahl von Kaffee, Tee oder Kakao, Butter und Brot. Auf Wunsch konnte man auch Schinken und Eier bestellen. Alexandra Fjodorowna, die Gattin des Zarin, mochte russische Kalatschi in besonderem Maße. Sie wurden ihr immer zum Frühstück serviert.
Unter Nikolaus II. war der Chef-Bäcker „Herr Jermolajew“. Es ist überliefert, dass er „ein ausgezeichneter Bäckermeister“ war und „wunderbare Kekse, klein wie Kopekenmünzen, kleine Kolatschi, Kaisermilchbrötchen, wunderbare Blätterteigsemmeln und Salzgebäckzöpfe“ zubereitete.
Kalatsch
Yulia MulinoEin zweites Frühstück, das nach unseren Maßstäben eher einem Mittagessen glich, wurde dem Zaren um 13.00 Uhr serviert und umfasste gewöhnlich fünf Gänge. An dieser Mahlzeit nahmen häufig Beamte und Gäste teil.
Pierre Kjuba, ein französischer Chefkoch, war lange Zeit am Hof von Nikolaus II. tätig. Er war ein Meister der Hors d'oeuvres.
Als Vorspeisen wurden kleine Sandwiches, Hering, Flusskrebse und Kaviar serviert. Außerdem gab es einige warme Vorspeisen wie Würstchen oder gebratenen Schinken. Nach den Hors d'oeuvres, die im Stehen verzehrt wurden, setzten sich alle an den Tisch.
Pasteten
Victoria DreyDie Speisekarte für dieses späte „Frühstück“ am 9. September 1907 ist erhalten geblieben: Perlgraupensuppe mit Gurken, Karotten und Erbsen, Piroggen, Lachsmayonnaise (eine dickflüssige Fischsauce), Rinderfilet mit Kartoffeln, Hähnchenbrustschnitzel, Birnen in Jerez sowie eine Pastete gefüllt mit süßem Reisbrei und Preiselbeeren.
Um fünf Uhr wurde der Tee in den Appartements serviert. Da die Zarin Alexandra Fjodorowna in England am Hof von Königin Victoria aufgewachsen war, hielt sie sich strikt an die Tradition des Fünf-Uhr-Tees. Sie nahm ihn in der Regel mit ihrem Gatten ein. Der Tee wurde mit heißem Brot und einem Teller Butter serviert. In der Fastenzeit gab es natürlich keine Butter, aber es standen Brote, Sajki (kleine Weizenbrötchen) und geschälte Nüsse auf dem Tisch.
Mittagsspeisekarte, 1896.
Romanov collection/ Yale UniversityDas Abendessen wurde um 20.00 Uhr serviert. Es begann mit Suppe und Kuchen, dann folgten Fisch und Braten, Gemüse, Süßspeisen, Obst und Kaffee. Bei feierlichen Anlässen wurde die Zahl der Gerichte erhöht. Zum Abendessen wurde Wein und zum Kaffee Likör gereicht.
Kinder unter zehn Jahren aßen in der Regel getrennt von den Erwachsenen, so dass sie einen eher traditionellen Tagesablauf hatten.
Die Tafel des Zaren wurde auch mit Obst und Beeren aus den Gewächshäusern in Gatschina und Ropscha versorgt. Viele der Orangerien waren das ganze Jahr über beheizt, so dass im zeitigen Frühjahr u. a. Erdbeeren serviert werden konnten.
Nach den Erinnerungen von Zeitgenossen war Nikolaus II. ein mäßiger Esser, er wog sich regelmäßig und trieb Sport.
Es ist bekannt, dass der Imperator Kartoffeln liebte. Einmal sah er auf der Krim einen Beamten, der einen Sack mit jungen Kartoffeln vom Markt trug, und bat ihn, ihm seinen Einkauf zu verkaufen. Nikolaus II. hat in seiner Jugend mit seinen Brüdern und Schwestern im Palast im Anitschkow-Park in St. Petersburg und später mit Zarewitsch Alexej im Alexandrowskij-Park Kartoffeln gebacken.
Eines seiner Lieblingsgerichte war auch die Dragomirowskaja Kascha (ein Buchweizenbrei mit Pilzen und Sahne), benannt nach dem russischen Militärgeneral Dragomirow. Sie unterschied sich von dem üblichen Buchweizenbrei dadurch, dass sie in Form einer Pastete serviert wurde.
Nikolaus II. mochte auch Pelmeni und Wareniki. Auf der kaiserlichen Jacht Standart aß er oft gebratene Pelmeni.
Alexandra Fjodorowna
Romanov collection / Yale UniversityAber Kaviar konnte er nicht ausstehen. Die Offiziere der Standart stellten fest, dass „der Zar eine große Vorliebe für Snacks hatte, mit Ausnahme von Kaviar, Lachs und überhaupt von gesalzenem Fisch“. Dafür gab es eine einfache Erklärung: Einmal reiste Nikolaus II. auf dem Rückweg aus dem Osten den Sibirischen Trakt entlang. An den Bahnhöfen wurde er mit Brot und Salz, gesalzenem Fisch und Kaviar empfangen. Es war heiß und der Zar war durstig, und seither fand er keinen Geschmack mehr an gesalzenem Fisch und Kaviar.
Er „bevorzugte schlichte Gerichte, einfache Braten und Hähnchen“, so die Hofdame Gräfin Buxhoeveden. Und in der Tat finden sich diese Gerichte häufig auf den überlieferten Speisekarten der damaligen Zeit.
Es ist bekannt, dass der Zar Portwein liebte. Zunächst wurde er aus Portugal importiert, doch nachdem Nikolaus II. den Portwein aus Livland probiert hatte, wurden die Käufe aus dem Ausland eingestellt. Und seine Frau mochte den Dessertwein Lacrima Christi (dt.: Tränen Christi), der ebenfalls in Massandra, der Kelterei auf der Krim, hergestellt wurde.
Mehr als zehn Personen waren in der Hofküche mit Spirituosen beschäftigt. Sie beschafften und lagerten Wein, Wodka, Bier, Met und Kwas für den Hof.
Die Speisen für Zarin Alexandra Fjodorowna wurden oft separat zubereitet und ihr serviert. Sie aß praktisch kein Fleisch oder Fisch, verzichtete aber nicht auf Eier, Käse und Butter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie sich nicht aus ethischen Gründen so ernährte, sondern um ihrer Figur und Gesundheit willen. Auch die kirchlichen Fastenzeiten hielt sie streng ein.
Es ist überliefert, dass sie auf der Jacht Standart gebackene Kartoffeln mit Spinat bestellt hat. Bei der Beschreibung der Reise der Zarenfamilie auf der Wolga im Jahr 1913 bemerkte der Offizier N. Sablin, dass „die Zarin selbst an diesem Tag nur zwei pochierte Eier aß“.
auf der Jacht Standart
Romanov collection / Yale UniversityAufzeichnungen belegen, dass die Zarin mit ihrem eigenen Geld Süßigkeiten aus dem Ausland bestellte.
Die kleinen Kinder des Zaren wurden nicht an den gemeinsamen Tisch gelassen, sondern aßen mit ihren Erziehern. Nur manchmal wurden Kinder mit ihren Eltern an den Tisch gebeten, damit sie sich an die Kommunikation mit Erwachsenen gewöhnen konnten. In solchen Fällen wurde das Essen zuerst dem Zaren und der Zarin und dann den Kindern serviert.
Die Kinder wurden nicht mit besonderen Köstlichkeiten verwöhnt. Nikolaus II. und Alexandra Fjodorowna erzogen sie wie normale Kinder.
Es ist bekannt, dass Zarewitsch Alexej, als er während des Ersten Weltkriegs mit seinem Vater im Armeehauptquartier war, sich weigerte, Speisen zu sich zu nehmen, die für einen Fürsten angemessen waren. Er sagte, seine Lieblingsspeise seien Kohlsuppe, Brei und Schwarzbrot, das alle meine Soldaten essen“.
Es stimmt, dass er sich manchmal Süßigkeiten kaufte. Die Kinder erhielten ein Taschengeld für persönliche Ausgaben. Der Zarewitsch gab sein Geld für Pralinen und Lutscher von Georges Borman und Bonbons von der Genossenschaft Abrikosow aus.
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