Die russische Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa verabschiedet sich bei der Weltmeisterschaft in Moskau vom Leistungssport. Foto: AFP / East News
Der Auftritt von Jelena Issinbajewa in Moskau wurde zum Ereignis. Was hat die zweifache Olymipasiegerin nur veranlasst, die Etappe der „Diamond League" in London auszulassen und bei den nationalen Meisterschaften teilzunehmen, die sie zuvor elf Jahre lang vermieden hat? Alles nur, um die Anlage im Olympiastadion Luschniki zu testen, wo am 10. August die Leichtathletik-Weltmeisterschaft beginnt.
Bei zwei früheren Wettkämpfen – in Berlin 2009 und Daegu 2011 – blieb Issinbajewa ohne Medaille und zerstörte damit den Mythos von der unbesiegbaren Weltmeisterin und Rekordhalterin. In diese Liste reiht sich auch ihr Scheitern bei der Winter-Hallenweltmeisterschaft in Doha 2010 ein. So ist die WM in Moskau ein letzter Versuch, sich mit Würde vom Profisport zu verabschieden. Hier denkt man schnell an das Beispiel von Sergej Bubka, dem Olympiasieger von Seoul 1988 und 36-fachen Weltrekordhalter, der Jelena zu ihren Leistungen inspiriert hat. Im Jahr 2000 fuhr er im Alter von 37 Jahren zu den Olympischen Spielen nach Sydney und kehrte aus Australien zurück, ohne auch nur die Anfangshöhe genommen zu haben.
Eine andere berühmte russische Leichtathletin, die Olympiasiegerin im Weitsprung Tatjana Lebedewa, konnte sich nicht für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Sie muss somit ihren Traum, die Karriere im Luschniki-Stadion zu beenden, begraben. Dazu bemerkte sie treffend: „Man will sich immer mit Würde verabschieden. Aber das ist nur sehr schwer zu erreichen. Du bist nicht mehr die Jüngste. Dein Kopf erinnert sich zwar an alle Bewegungsabläufe, du hast eine irrsinnige Motivation, aber nicht mehr die physischen Möglichkeiten. Der Sport ist aber dein ganzes Leben, deshalb kannst du manchmal einfach nicht rechtzeitig aufhören."
Und so hat sich Issinbajewa beim Gespräch mit Journalisten nach dem Sieg bei der russischen Meisterschaft mit dem Ergebnis von 4,75 Meter auch in Andeutungen verloren. Den einen hat sie erzählt, dass sie nach der
Beim Wettkampf verfolgt Issinbajewa eine ganz bestimmte Taktik: Die Anfangshöhe ist die Aufwärmhöhe, die zweite Höhe ist die Sieghöhe und die dritte ist die Rekordhöhe. Auf Wunsch Jelenas werden die Sprungstäbe von der Herstellerfirma verschiedenfarbig umwickelt. Für die Anfangshöhe hat Issinbajewa Rosa gewählt, für die Sieghöhe Blau und für die Rekordhöhe Gold.
Weltmeisterschaft eine Auszeit nehmen, ein Kind bekommen und vielleicht zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio auf die Sportbühne zurückkehren wolle. Anderen wiederum, dass sie den Stab nie mehr in die Hand nehmen würde. Der Korrespondent von Russland HEUTE hörte die zweite Version höchstpersönlich – und sie gilt auch als die offizielle.
Die Schwankungen Issinbajewas ähneln denen ihrer Leistungen. 2009: Beim Finale der Weltmeisterschaft konnte Jelena keine einzige Höhe überspringen, aber einige Zeit später stellte sie in der fünften Etappe der „Golden League" in Zürich den 27. Weltrekord mit 5,06 Metern auf. 2011: Scheitern bei der WM in Doha. 2012: Beim Grand Prix in Stockholm stellte sie einen neuen Hallen-Weltrekord mit 5,01 Metern auf, aber bei den Olympischen Spielen nahm sie nur eine Höhe von 4,70 Metern und gewann die Bronzemedaille. Wird Issinbajewa in Moskau endgültig einen Schlusspunkt setzen, und wie wird dieser aussehen?
„Die Weltmeisterschaft ist ein besonderer Wettkampf. Wahrscheinlich wird die Tribüne zur Hälfte von meinen Freunden und Verwandten besetzt sein. Sie werden meinen Auftritt sehen wollen, schließlich wird es die letzte Weltmeisterschaft meiner Karriere sein", betont Issinbajewa. „Sie werden applaudieren und mir damit gleichzeitig für alles danken, was ich geleistet habe, unabhängig vom Resultat. Aber ich verspreche, dass ich bis zum Schluss kämpfen werde. Bei den Spielen in London hätte es auch anders ausgehen können (Issinbajewa gewann Bronze – Anm. d. Red.). Ich habe dort nur zu viel gezappelt. Die Anlage in Moskau werde ich mit der Devise betreten: Alles geschieht zum Besten. Wissen Sie, mit 31 hat man eine andere Wahrnehmung als mit 20. Aber ich spüre, dass mein Potenzial noch riesig ist. Hauptsache, es klappt alles."
Abgesehen davon, dass Issinbajewa in der Mixed Zone in Luschniki ununterbrochen lächelte, viel scherzte und überhaupt sehr emotional war, konnte man aus ihren Antworten entnehmen, dass sie nicht nur trainiert, sondern auch viel nachdenkt über ihr sportliches Dasein und ihre Misserfolge der letzten Jahre. Denn sie ist trotz allem heute nicht mehr die Issinbajewa, die mit Leichtigkeit jede Höhe nahm. Sicherlich ist sie sogar ein bisschen traurig und nervös, auch wenn sie das hinter einer Maske des Lächelns zu verstecken versucht.
„Wenn ich meine Karriere beendet habe, werde ich mich zuerst nach Herzenslust ausweinen und danach drehe ich einen Film über meine Siege", erheitert Issinbajewa die Journalisten. „Ich weiß nicht mal, wie viele es sind. Es ist eben so: gewonnen – vergessen, gewonnen – vergessen. Ich weiß nur, wie viele
Rekorde ich aufgestellt habe – 28 –, weil sie gezählt werden. Wenn ich darüber nachdenke, es waren so viele Siege und sie waren so überzeugend. In meinen besten Jahren stellte ich acht Weltrekorde pro Jahr auf. Erst mit dem Alter begreift man den Wert dieser Leistungen."
Sonderbarerweise schenkt Issinbajewa ihren Konkurrentinnen keine Beachtung: „Die interessieren mich nicht. Das, was sie jetzt machen, habe ich schon viel früher gemacht. Sie bewegen sich auf einem ausgetretenen Pfad. Denn gerade ich habe ja bereits gezeigt, dass alles möglich ist." In gewisser Weise hat Jelena recht. Wenn sie nicht erneut den Hallen-Weltrekord bei 5,01 Metern aufgestellt hätte, hätte die Amerikanerin Jennifer Suhr sie nicht überbieten können. Seit März 2013 liegt der neue Rekord bei 5,02 Meter. 5,07 Meter „im Freien" zu springen ist Suhr bisher noch nicht gelungen. Aber sie stellt sich der Herausforderung. Wie schon bei den Spielen in Peking und London, wo die Amerikanerin jeweils Erste wurde, wird sie auch bei der Weltmeisterschaft in Moskau die Hauptkonkurrentin der Russin sein. Obwohl im Grunde genommen Issinbajewas Hauptkonkurrentin sie selbst ist.
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