Die 26-Jährige Leichtathletin Xenija Ryschowa küsst ihre Kollegin Julia Guschtschina während der Verleihungszeremonie bei der Leichtathletik-WM in Moskau. Ihren Worten zufolge war das jedoch kein Protest gegen das Gesetz gegen die Homosexuellen-Propaganda gegenüber Minderjährigen. Foto: Reuters
Im russischen Sport, so schätzen Experten, sei der Anteil von Vertretern der Lesben und Schwulen in etwa genau so groß wie im restlichen Europa. Aber in der Geschichte des heimischen Sports gab es bisher noch kein einziges Coming-out eines Sportlers oder einer Sportlerin.
Mit der Gefahr eines Boykotts der Olympischen Spiele 2014 konfrontiert, erwies sich der russische Sport dennoch nicht zu Diskussionen über die Rechte von lesbischen und schwulen Sportlern in Sotschi bereit. Nichtsdestotrotz gibt es – wie in jeder anderen sozialen Gruppe – unter den Sportlern auch Vertreter sexueller Minderheiten. In Russland offiziell registriert ist die „Föderation des Lesben- und Schwulen-Sports Russlands". Sie organisiert Großveranstaltungen, Sportwettkämpfe und entsendet nationale Auswahlmannschaften zu den Gay Games.
„Bei den Spiel- und Kampfsportarten überwiegen die Lesben, in den künstlerischen Sportarten (Formationstanz, Eiskunstlauf) gibt es mehr Gays als im Durchschnitt. Unsere Organisation weiß von drei homosexuellen Spitzensportlern für Olympia 2014 in Russland, aber sie erwähnen das natürlich nirgends", teilte der Präsident die Föderation des Lesben- und Schwulen-Sports Russlands, Konstantin Jablozkij, in einem Gespräch mit der Zeitung Moskowskije Nowosti mit.
„Sie ziehen es vor, über ihre Orientierung zu schweigen, weil sie Probleme in den Beziehungen zu ihren Mannschaftskollegen im Nationalaufgebot befürchten. In meiner Praxis haben sich solche Sportler kein einziges Mal an mich gewendet", erzählte der stellvertretende Leiter des Lehrstuhls für Psychologie der Russischen Staatlichen Universität für Körperkultur, Sport und Tourismus, Albert Rodionow.
Sexuelle Orientierung spielt im Wettkampf keine Rolle
Ein ehemaliges Mitglied des Nationalaufgebots Russlands in einer Ausdauersportart, die seinerzeit die Gründung der Föderation des Lesben- und Schwulen-Sports unterstützte, erklärte sich anfangs zur Veröffentlichung ihres Namens bereit, bat dann aber im letzten Moment per SMS darum, dies doch nicht zu tun.
„Alle Profisportler sind kultivierte und gebildete Menschen und niemand von uns wird herumschreien, dass sie zu einer sexuellen Minderheit gehören. Im Trainingslager und bei Wettkämpfen steht niemanden der Sinn danach, über zwischenmenschliche Beziehungen nachzudenken. Man ist auf den Wettkampf konzentriert, am Verhalten lässt sich nicht erkennen, ob du schwul bist oder nicht. Auf die Beziehungen in der Mannschaft und gegenüber den Sportfunktionären wirkt sich das nicht aus, selbst wenn jemand diesbezüglich etwas ahnen sollte. Wenn du dich natürlich demonstrativ verhältst, dich in der Öffentlichkeit mit deinem Partner küsst und überall herumerzählst, dass du schwul oder lesbisch bist, kann es natürlich sein, dass sich das Verhältnis des Teams zu dir ändert. Aber soweit ich mich erinnern kann, ist so etwas bei uns im Land noch nicht vorgekommen", erzählte unser Gesprächspartner den Moskowskije Nowosti.
Fanboykott nach Coming-out befürchtet
Die Sportpsychologin Galina Sawjalowa hat noch einen weiteren Grund dafür gefunden, warum die homosexuellen Sportler sich mit ihrem Coming-out zurückhalten. Ihren Worten nach befürchten sie eine negative Reaktion der Fans.
Der Präsident der Russischen Fanvereinigung, Alexander Schprygin, verheimlicht nicht, dass die Anhänger sich bei einem möglichen Outing
ihres geliebten Sportlers äußerst kritisch verhalten würden. „Die Fan-Gemeinschaft akzeptiert dies nicht und wird es auch nie verstehen können", ist Schprygin sich sicher. „Unter den russischen Bedingungen wird es bei den Sportlern niemals zu einem Coming-out kommen, weil das sofort das Ende ihrer Karriere bedeuten würde".
Dies führte dazu, dass der Großteil der lesbischen und schwulen Sportler nicht an Olympischen Spielen, sondern an den Internationalen Spielen der Schwulen und Lesben teilnimmt. Und das ist nicht etwa nur in Russland so. Im Westen hat man sich für diese Sportler gesonderte Wettkämpfe ausgedacht, obwohl es vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet dafür keinerlei Gründe gegeben hat.
„Eine Trennung in Wettkämpfe für lesbische und schwule Sportler und alle anderen darf es eigentlich nicht geben. Schließlich bedeutet diese sexuelle Orientierung nicht, dass der Sportler physisch in irgendeiner Form eingeschränkt ist", ist Galina Sawjalowa sich sicher.
Konstantin Jablozkij unterstrich, dass solcher Art Trennung auch das Hauptproblem der heutigen Gesellschaft ist. „Es sollte statt der Segregation, der Ausgrenzung, eine Integration geben. Dass es heutzutage
überhaupt eine Trennung der Wettkämpfe für schwule und für die anderen Sportler gibt, hat damit zu tun, dass im Sport die Homophobie, Genderbeschränkungen und Vorurteile stark ausgeprägt sind. So gibt es zum Beispiel beim Synchronschwimmen keine Wettkämpfe für Männer – weder in der Solo-, noch in der Duett- oder der Gruppendisziplin. Im Formationstanz dürfen keine gleichgeschlechtlichen Paare antreten", kritisiert die Föderation des Lesben- und Schwulen-Sports.
Medienwirksame Coming-outs in Russland darf man auch schon aus rein finanziellen Gründen nicht erwarten. Es ist kein Geheimnis, dass die Sportler, die zum Nationalaufgebot gehören, auch die Reservisten, zum Teil sehr hohe Prämien erhalten, sowohl vom Sportministerium, als auch von ihren Heimatregionen, für die sie antreten. Deshalb sollte man von den russischen Sportlern kein Bekenntnis zu einer nicht traditionellen sexuellen Orientierung erwarten, und so etwas wird wohl auch kaum passieren", so Jablozkij.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Moskowskije Nowosti.
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