In Berlin wurde die Damenmannschaft des russischen Volleyballs nach zwölf Jahren endlich wieder Europameister. Foto: AP
Der russische Volleyball ist Siege gewöhnt und kann dementsprechend auf große Erfolge zurückblicken. Zu nennen wären etwa Gold bei den Olympischen Spielen 2012 für die Männer oder die zwei Weltmeistertitel der Volleyball-Damen in Folge – in den Jahren 2006 und 2010. Der Berliner Triumph ist es dennoch wert, als außerordentliches Ereignis bezeichnet zu werden.
Denn die Goldmedaille der Europameisterschaft sahen russische Damen nach dem letzten Sieg 2001 höchstens, wenn sie einer anderen Mannschaft zum Titel gratulierten. Es hätte wohl auch niemanden ernsthaft überrascht, wenn es dieses Jahr genauso gekommen wäre. Ihre Aufstellung entsprach nicht der typischen Zusammensetzung eines Weltmeister-Teams. Nach den Olympischen Spielen in London wurde die russische Auswahl radikal verjüngt.
Unter der Leitung des Trainers Juri Maritschew, bis dahin im Damenbereich noch ohne große Erfahrungen, reiste eine ausgesprochen junge Mannschaft nach Deutschland. Die Größen des russischen Damen-Volleyballs Jekaterina Gamowa und Ljubow Sokolowa, die in der russischen Nationalmannschaft mehrfach den Weltmeistertitel geholt hatten, waren nicht dabei. Selbst die russische Superliga war für viele der diesjährigen Gewinnerinnen bei der letzten Europameisterschaft 2011 noch ein bloßer Traum. Und ausgerechnet dieses junge Team nun marschierte zielgerade zum Titel, als hätte es für seinen Auftritt in Deutschland nicht eine Saison, sondern gute zehn trainiert.
Ihr Spiel war phänomenal: In der Gruppe setzten sie sich in drei von vier Spielen durch und verloren zwei Sätze, im Viertelfinale fegten sie die vom Siegerpodest träumenden Türkinnen ohne Satzverlust vom Feld, im Halbfinale ereilte Titelverteidiger Serbien das gleiche Schicksal.
Sondervorbereitung auf den Finalgegner
Den spannendsten Schlagabtausch lieferten sie sich im Finale. Im Endspiel trat das russische Team gegen eine deutsche Mannschaft an, die gut vorbereitet und als Gastgeber der EM mit dem leidenschaftlichen Publikum im Rücken den Anschein erweckte, Wunder bewirken zu können.
Juri Maritschew scheute den Druck nicht. Wie der Trainer sagte, habe er vor dem Spiel nur eine einzige Schwachstelle bei seinem Team erkannt: die Ballannahme. Während der morgendlichen Trainingseinheiten forderte er seine Spielerinnen auf, den anspruchsvollen Aufschlag der Deutschen zu imitieren, die der russischen Auswahl so in diesem Jahr bei der Vorrunde des Volleyball World Grand Prix noch große Schwierigkeiten bereitet hatte. „Andere Defizite haben mich nicht beunruhigt", sagte er. Aber trotz der Trainingseinheit lief die Annahme nicht. Alles andere war wirklich gut, nur die Annahme nicht.
Trotz dieser Probleme konnten die Russinnen dank der Schläge von Natalja Obmotschajewa den Auftaktsatz mit einem knappen Vorsprung von zwei Punkten für sich entscheiden. Die über 8 500 Zuschauer in der Max-Schmeling-Halle ließen sich davon aber nicht entmutigen und feuerten ihre Mannschaft weiter lautstark an. Im nächsten Durchgang führten die Deutschen bereits, die Russinnen aber holten auf. Dennoch stand am Ende des zweiten Satzes der Ausgleich durch die deutsche Mannschaft. Maritschew ermahnte seine Spielerinnen, die Ballannahme endlich besser zu gestalten, forderte außerdem mehr Genauigkeit und Umsicht. Um das deutsche Team wirklich schlagen zu können, mussten die Russinnen diese Vorgaben beherzigen.
Ein großer Moment für eine der „kleinsten" Spielerinnen
Um nicht in Rückstand zu geraten, war die russische Mannschaft in der Pflicht, den dritten Satz nun wieder zu gewinnen. Bis zum Spielstand von 24:23 konnte ein hauchdünner Vorsprung gewahrt werden, als Jekaterina
Pankowa letztendlich einen Spielzug von Heike Beier blockte und so den Satzgewinn sicherte. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass sie mit gerade einmal 1,78 Metern Körpergröße eine der kleinsten Spielerinnen im russischen Aufgebot war. Sie konnte sich daher ein Lachen auch nicht verkneifen: „Drei Blocks in einem Spiel – das ist wahrscheinlich mein Rekord."
Nach den kräftezehrenden 34 Minuten des dritten Satzes ging den deutschen Volleyball-Damen nun sichtlich die Puste aus. Margareta Kozuch, die wichtigste Außenangreiferin der Mannschaft, räumte ein, dass ihre Partnerinnen und sie sich im vierten Satz absolut hilflos fühlten. „Wir waren nicht mehr in der Lage, auch nur einen Angriff zu blocken oder einen Ball anzunehmen. Wir haben nichts mehr hinbekommen." Der fiebernde Saal zählte immer noch die Ballwechsel in Erwartung eines Punktevorsprungs, das deutsche Team aber kratzte sich seine Punkte nur mit Mühe zusammen. Die Überlegenheit der Russinnen schlug sich schließlich deutlich im Ergebnis nieder, als sie den Gastgeberinnen mit 25:14 Punkten letztendlich die letzte Hoffnung auf eine rauschende Siegesfeier nahmen.
Die zur besten Volleyballerin der EM gekürte Tatjana Koschelewa offenbarte das Erfolgsgeheimnis der russischen Mannschaft: der Umgang der Spielerinnen miteinander. „Es ist kaum zu glauben, aber ich habe in der ganzen Zeit nicht ein einziges Wort des Vorwurfs gehört", so Koschelewa.
Aus Sicht von Giovanni Guidetti, Trainer der deutschen Mannschaft, war im Grunde genommen alles einfach. Er suchte daher auch keine großen Ausflüchte, sondern gestand ehrlich ein: „Das russische Team war uns überlegen, vor allem im Angriff. Von zehn Spielen gegen die gegnerische Mannschaft hätten wir eines gewinnen können. Ich hatte die Hoffnung, dass das Finalspiel dieses eine würde, aber es fiel unter die neun anderen", lächelte Guidetti traurig. „Glauben Sie mir, die Russinnen haben auf einem vollkommen anderen Niveau gespielt als alle anderen Teilnehmer des Turniers."
Stimmen zum Spiel
Natalja Obmotschajewa, Spielerin des russischen Teams:
„Alle Spielerinnen unserer Mannschaft wollten dieses prestigereiche Turnier
gewinnen. Dafür mussten wir unser Bestes geben, was wir auch taten. Wir wollten unserem Trainer, uns selbst und unserem Land mit einem guten Ergebnis eine Freude machen. Ich bin glücklich, dass uns das gelungen ist! Es ist ein wunderbarer Tag, an den wir noch lange zurückdenken werden."
Juri Maritschew, russischer Cheftrainer:
„Wir haben einfach nach einem Plan gearbeitet, der sich als erfolgreich erwies. Unsere Mannschaft hat gewonnen, weil sie als geschlossenes Team auftritt. Wenn einer unserer Spielerinnen etwas nicht gelingt, dann kommen die anderen ihr sofort zur Hilfe, es findet ein gleichwertiges Auswechseln statt. Diese Art, im Spiel aufzutreten, ist unser Markenzeichen."
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant.
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