Der Boxkampf des Jahrzehnts: Rationalität siegt über Leidenschaft

Russische Experten sind überzeugt: Alexander Powetkin verlor gegen Wladimir Klitschko wegen seiner taktischer Unterlegenheit.  Foto: ITAR-TASS

Russische Experten sind überzeugt: Alexander Powetkin verlor gegen Wladimir Klitschko wegen seiner taktischer Unterlegenheit. Foto: ITAR-TASS

Es hätte der Boxkampf des Jahrzehnts werden sollen, doch der Kampf Klitschko vs. Powetkin enttäuschte. Russische Experten meinen, Powetkin sei taktisch klar unterlegen gewesen.

Der Kampf, der der wichtigste im Profiboxsport in dieser Saison werden wollte und auch sicherlich zum wichtigsten Ereignis in der russischen Geschichte dieser Sportart wurde, enttäuschte ein wenig, weil er nach dem wahrscheinlichsten aller Szenarien verlief.

Der Russe Alexander Powetkin hatte Charakter genug, nach einer überstandenen Reihe von Niederschlägen gegen den Ukrainer Wladimir Klitschko bis zum Schlussgong durchzustehen, aber nicht Klasse genug, um dem besten Schwergewichtsboxer der Welt irgendwelche Probleme zu bereiten. Klitschko hingegen hat, nach einem überzeugenden Beweis seiner Überlegenheit und der Verteidigung aller drei Weltmeister-Gürtel der WBA, der IBF und der WBO, wieder einmal Diskussionen ob seines sehr auf Sicherheit bedachten Stils ausgelöst.

„Kein Duell gleicht dem anderen und jedes hat seine Besonderheiten, weil die Sportler verschiedene Techniken und Taktiken mitbringen und auch ihre Größe und Erfahrung unterschiedlich ist. Der Kampf mit Alexander war auch ein ganz besonderer", bemerkte Wladimir Klitschko auf der Pressekonferenz nach dem Kampf. „Ich werde regelmäßig kritisiert und bin es gewohnt, aber ich gehe trotzdem meinen Weg weiter. Heute habe ich meine Titel verteidigt."

Die Experten streiten, warum Klitschko Powetkin nicht nach der Reihe von Niederschlägen in der siebten Runde auf die Bretter schickte. Klitschko selbst beteuert, dass er das nicht geschafft habe, weil der russische Boxer zu standhaft gewesen sei. Der Russe, unter den Schlägen von „Dr. Steelhammer" deutlich geschwächt, setzte die Attacken auf sein Gegenüber bis zum letzten Ringgong fort.

„Alex hat Klitschko bis zum Kampfende unentwegt angegriffen", erzählt Powetkins Trainer Alexander Simin der Zeitung Iswestija. „Aber seine Attacken waren nicht immer effektiv, weil Klitschko gefährliche Situationen mied, sich in der Bewegung auf den Beinen und auch durch verbotenes Klammern verteidigt hatte. Alexanders Gegner hat ihn weggestoßen, abgedreht und alles getan, um das Kampfbild zu zerstören. Leider hat der Ringrichter lediglich einmal eine Warnung ausgesprochen."

Den Gedanken von Zimin ergänzte auch der Ex-Weltmeister im Leichtgewicht und Freund von Powetkin, Alexander Bachtin: „Die Aufgabe von Alex war, in den Nahkampf zu treten, aber Wladimir klammerte sich mit seinem Gewicht an ihn und hing dort den ganzen Kampf lang", sagte Bachtin der „Iswestija". „Für andere Gegner von Klitschko reichten die ersten drei, vier Runden mit solchen Klammerungen, dann ermüdeten ihre Beine und Klitschko fing an, sie von Weitem zu zerschlagen. Diesmal hat Wladimir perfekt verstanden, dass wenn es zum Schlagabtausch gekommen wäre, Schläge hätten durchkommen können. Alex hätte nicht von ihm gelassen und ihn zerstört."

Der Gewinner selbst aber weist alle Vorwürfe entschieden von sich: „Der Clinch gehört zum Boxsport dazu. Ich hatte das klare Ziel, Alexander nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Außerdem gibt es noch den Größenunterschied. Und Powetkin beugt sich zusätzlich noch herunter und duckt sich. Warum sollte man dann den eigenen Vorteil nicht ausnutzen?"

Die Ergebnisse des Kampfes aufsummierend bemerkte der berühmte sowjetische Boxer Nikolaj Chromow, dass der russische Boxer eine falsche Taktik für den Zweikampf gewählt hätte. „Ich finde, dass Alex von der Taktik her grundsätzlich falsch an den Kampf herangegangen ist: Er ist ungedeckt nach vorne gestoßen und hat seinem Gegner damit einen Gefallen getan. Die ersten sechs Runden hat der Ukrainer Powetkin blockiert, hat ihm keinen Raum für Aktionen gelassen, und hat dann angefangen, ihn auseinanderzunehmen", erwähnte Chromow in einem Interview an Gazeta.ru.

„Powetkin hätte Klitschko vielleicht herausziehen sollen, selbst nach links oder rechts gehen, den Gegner instabil machen und dann attackieren können. Stattdessen ist er geradeaus nach vorne, duckte sich vor der Attacke, und der Ukrainer deckte ihn einfach von oben zu. Klitschko hat die richtige Taktik gegen Powetkin gewählt, anders hätte er sich auch gar nicht schlagen können. Und Alexander hat taktisch klar den Kürzeren gezogen", resümiert Chromow.

Aber schnelle Schlüsse will die Mannschaft von Alexander Powetkin nicht ziehen: „Wir brauchen Zeit, um das alles zu analysieren, den Kampf noch

mal auf Video anzusehen und eine konkrete Analyse zu machen", sagte der Trainer Powetkins Simin gegenüber „Izvestija". „Alex steht das alles sehr mutig durch. Er versteht selbst, dass er alle Kräfte dafür aufgewendet hat, um zu gewinnen. Powetkin hat bis zum letzten Moment, bis zum letzten Schlag nicht aufgegeben und einen außerordentlichen Mut im Kampf mit dem stärksten Boxer der Welt gezeigt."

Den Worten seines Trainers zufolge habe Powetkin nicht einen Moment über ein Karriereende nachgedacht. Nach einer kurzen Erholung werde er die Entscheidung treffen, ob er weiter boxt, um sich auch in der Weltrangliste zu verbessern, oder sich nur auf eine Revanche vorbereitet. Wladimir Klitschko hat Journalisten gegenüber bereits nach dem Kampf geäußert, er habe nichts gegen eine Revanche, wobei er allerdings anmerkte, dass das keine Frage der näheren Zukunft sei.

 

Nach Materialien von Iswestija und Gazeta.ru

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