Foto: Mikhail Sinitsin / RG
Für ein so großes Land wie Russland erscheint die Qualifikation zu einer Fußballweltmeisterschaft nicht als eine große Errungenschaft, aber man sollte bedenken, dass die letzte Weltmeisterschaft mit russischer Teilnahme 2002 in den Stadions in Japan und Südkorea stattfand – verglichen mit Brasilien sprichwörtlich am anderen Ende der Welt. Von der damaligen Mannschaft ist heute nur noch ein Fußballer im Kader, der 30-jährige Stürmer Alexander Kerschakow von Zenit St. Petersburg.
Für die anderen russischen Spitzensportler wie Roman Schirokow, Sergej Ignaschewitsch, Igor Akinfeew und viele andere wird diese WM die erste und vielleicht auch letzte in ihrer Karriere. Für die „goldene Generation“ des russischen Fußballs, immerhin Dritter bei der EM 2008, wäre es eine echte Tragödie gewesen, diese Chance zu verpassen.
Umso mehr, da die Mannschaft von einem der angesehensten und bestbezahlten Trainer der Welt geleitet wird, dem 67-jährigen Italiener Fabio Capello. In nur einem Jahr schaffte er es, die Skepsis der Russen einem ausländischen Trainer gegenüber zu beseitigen.
Im Gegensatz zu seinen holländischen Vorgängern Guus Hiddink (2006-2010) und Dick Advocaat (2010-2012) verbringt Capello die meiste Zeit des Jahres in Russland. Er besucht zahlreiche Spiele in der russischen Premjer-Liga. Unter seiner Spitze haben bereits zehn neue Spieler in der Nationalmannschaft debütiert. Sechs davon waren Abwehrspieler, die vorher nur echte Kenner des russischen Fußballs auf ihren Zetteln hatten.
Nach der für Russland gescheiterten Europameisterschaft 2012 hat sich in der Nationalmannschaft ein echter Spielführer abgezeichnet, ein Mann, der die Mannschaft nach vorne bringen, Tore schießen und den Spielrhythmus bestimmen kann, der weiß, wann man eine schnelle Attacke durchführen sollte und wann man eher innehalten und das Spiel ruhig aufbauen muss. Die Rede ist von dem Mittelfeldspieler der Zenit Roman Schirokow.
Dabei ist der neue Mannschaftskapitän eine recht umstrittene Figur. Er hat eine schlechte Beziehung zu den Fans, liegt im Streit mit den sogenannten Fußballexperten und ist zudem auch noch politischer Aktivist. Für Russland ist Schirokow mehr als nur ein Fußballspieler. Seinem Twitter-Account folgen über 200 000 Personen, sein Gesicht wird auf den ersten Seiten von Hochglanzmagazinen abgedruckt und Interviews mit ihm finden sich häufiger im Politik- denn im Sportteil.
Seine Torvorlage im Heimspiel gegen Portugal hielt den Glauben am Leben, dass Russland den Halbfinalisten der letzten Weltmeisterschaft in der Qualifikation hinter sich lassen könne, und sein Führungstreffer gegen Aserbaidschan sicherte am Ende den notwendigen Punkt, um vor den Portugiesen zu bleiben.
Sollte Capellos Vertrag verlängert werden?
Ewgenij Lowtschew, sowjetischer Spieler des Jahres 1972, meint, die russische Nationalmannschaft habe die Qualifikationsrunde nur mittelmäßig bestanden: „Grundsätzlich waren die Spiele der Mannschaft eher blass. Außer dem souveränen Sieg über die israelische Mannschaft mit 4:0 blieb mir kein Qualifikationsspiel in Erinnerung.“ Seiner Ansicht nach wurde dem „mühevollen Sieg“ gegen Portugal zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. „Viele der Fußballer spielen im Moment unter den eigenen Möglichkeiten und könnten sich bei der Weltmeisterschaft als Ballast erweisen“, so der Experte.
Vom Können des italienischen Trainers ist er überzeugt, doch er hat Zweifel an einer langfristigen Zusammenarbeit: „Derzeit übt Capello seine Aufgabe glänzend aus und der Sportminister macht Andeutungen über eine Vertragsverlängerung bis 2018, wenn die Weltmeisterschaft in Russland stattfindet. Es sieht so aus, dass jetzt der günstigste Moment für eine Vertragsverlängerung ist, aber zwischen der Qualifikation zur Weltmeisterschaft und einem erfolgreichen Auftritt dort gibt es einen großen Unterschied. Capello versteht das bestens und ich bezweifle, dass er eine solch langfristige Aufgabe akzeptieren wird.“
Lowtschew gibt vor allem kulturelle Gründe für seine Skepsis an: „Sich in Russland zu Hause zu fühlen ist sehr schwer. Die Sprachbarriere, der lange Winter und die Intrigen im russischen Fußball können aus Capellos Engagement eine weitere kurze Episode machen, wie jemand in Russland großes Geld gemacht hat.“
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Der Cheftrainer des russischen Meisters ZSKA Moskau, Leonid Sluzki, hingegen ist begeistert von dem Italiener und wünscht sich ihn als Nationaltrainer: „Capello ist ein hochkarätiger Trainer. Wo immer er gearbeitet hat, war seine Handschrift sichtbar. Auch mit der Nationalmannschaft Russlands zeigt er exzellente Ergebnisse. Sollte man den Vertrag mit ihm bis 2018 verlängern? Ich kenne die Einzelheiten des Vertrags nicht, aber wenn wir wollen, dass unsere Mannschaft von einem der besten Trainer der Welt trainiert wird, dann ist Capello die optimale Lösung. Ich denke nicht, dass wir einen besseren Trainer bekommen würden.“
Doch die Erwartungen an den Italiener sind groß, wie Sluzki erläutert: „Im Moment hat Capello noch ein halbes Jahr, um an den Fehlern der Mannschaft zu arbeiten und eine weitere Durststrecke zu beenden: Seit 1986 ist es nicht mehr gelungen, die Gruppenphase zu überstehen. Jedes andere Ergebnis Capellos würde sowohl vom russischen Fußballverband als auch von den Fans als nicht zufriedenstellend empfunden werden.“
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