Russische Sportler unter fremder Flagge

Die Bialthletin Darja Domratschawa, die zurzeit Weißrussland vertritt, hatte sich seinerzeit in der russischen Jugend-Nationalmannschaft nicht durchsetzen können. Foto: AP

Die Bialthletin Darja Domratschawa, die zurzeit Weißrussland vertritt, hatte sich seinerzeit in der russischen Jugend-Nationalmannschaft nicht durchsetzen können. Foto: AP

Viele russische Sportler treten unter der Flagge anderer Länder auf. Es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, nicht zuletzt die große Konkurrenz in der russischen Nationalmannschaft.

Ende November wechselten drei namhafte russische Gymnasten, Anna Pawlowa, Konstantin Pluschnikow und Julia Inschinina ihre Sportbürgerschaft und treten nun für die Nationalmannschaft Aserbaidschans an. Am schwersten wiegt für Russland der Verlust der 26-jährigen Pawlowa, die für ihr Heimatland zwei Bronzemedaillen bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen gewonnen hatte. Die Sportler haben die Gründe für ihre Entscheidung bislang noch nicht bekannt gegeben. Nach Aussage der Trainerin der russischen Nationalmannschaft für Sportgymnastik Julija Rodionenko dürfte der Wechsel aber an der hohen Konkurrenz innerhalb der russischen Nationalmannschaft gelegen haben.

Dieser Vorfall ist keine Ausnahme. Die russische Mannschaft hat in den vergangenen Jahren schon einige echte Stars des Weltsports verloren. Die zweimalige Biathlon-Weltmeisterin Darja Domratschawa zum Beispiel fährt nächstes Jahr nach Sotschi, um dort mindestens zwei Goldmedaillen zu gewinnen. Unter Fachleuten gilt die Sportlerin aus Belarus als Favoritin in der Verfolgung und im Massenstart. Domratschawa hatte sich in der russischen Jugend-Nationalmannschaft nicht durchsetzen können und deshalb das Angebot des belarussischen Verbands angenommen. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Biathletinnen der Welt.

Ein ähnliches Szenario gab es auch in der Karriere von Anastasija Kusmina. Die Biathletin aus Tjumen, Olympiasiegerin von 2010, wollte die Einladung

in die russische Nationalmannschaft nicht abwarten und holte sich einen slowakischen Pass. Im kanadischen Vancouver bewies Kusmina, dass man ihr Talent in Russland übersehen hatte. Für das slowakische Frauenbiathlon holte sie erstmals in seiner Geschichte Gold im Sprint über 7,5 Kilometer und Silber beim Zehn-Kilometer-Rennen.

Aus einem anderen Grund verließ der Snowboardfahrer Iouri Podladtchikov, einer der Olympia-Favoriten 2014, Russland. Der zu den talentiertesten Sportlern der Disziplin zählende junge Mann wird für die Schweiz antreten, weil es in Russland keine Infrastruktur für die Ausübung seiner Sportart gibt. Der Sportler ist sich nicht sicher, ob sich die Situation nach den Spielen in Sotschi verändern wird. Jurij sagt, dass es in Russland Mode sei, Shoppingmalls und Kinos zu bauen, nicht aber Sportkomplexe: Eine Piste in Sotschi werde die Situation in einem so großen Land nicht verändern.

 

Geld scheffeln mit Olympia

Der Ex-Präsident des Internationalen Olympischen Sportkomitees Jacques Rogge unterstreicht, dass manche Sportler objektive Gründe für den Wechsel der Staatsbürgerschaft haben, darunter auch familiäre Umstände und eine ungenügende Unterstützung vonseiten des Heimatlandes. Aber es

gebe auch Sportler, die einfach nur an Olympia verdienen wollen: „Das ist eine Frage der persönlichen Wahl, da können wir nichts machen. Aber lassen Sie mich offen sein: Mir gefällt das nicht."

Nach Meinung des Präsidenten für Leichtathletik Walentin Balachnitschew seien Einbürgerungen im modernen Sport unumgänglich. „Die heutige Welt diktiert ihre Spielregeln. Russische Staatsbürger wechseln ihren Wohnort aus politischen Überzeugungen und wegen familiärer Umstände. Es gibt Sportler, die die Unterstützung von ihrem Heimatstaat für ungenügend halten. Aber das Hauptkriterium ist die Konkurrenz", betont Balachnitschew. „Wenn ein Sportler nicht aufgestellt wird, nimmt er das Angebot eines anderen Landes an. Oder ein Land sucht selbst Sportler für die Positionen, die er nicht mit eigenen Talenten besetzen kann, und macht ihnen attraktive Angebote." So hat es auch der Leichtathletikverband der Russischen Föderation getan. „Wir haben vier Läufer aus Kenia

eingebürgert", erzählt Balachnitschew. „In den letzten 20 Jahren haben wir versucht, in Russland talentierte Kids für einen Auftritt bei langen Strecken zu finden, aber unsere Suche war ergebnislos. Wenn unsere Konkurrenten ausländische Sportler einladen, warum dann nicht auch wir?"

Die Sportgeschichte kennt viele Fälle von Einbürgerungen. Nicht wenige Sportler aus der ehemaligen UdSSR sind in die entlegensten Ecken der Welt verstreut worden. Der Italiener Iwan Sajzew zählt zu den besten Diagonalspielern im Weltbasketball und der Russlanddeutsche Andreas Beck schaffte es in die deutsche Nationalelf, eine der stärksten Fußballmannschaften der Welt. Der Hockeyspieler Alexej Galtschenjuk zog den US-amerikanischen Pass dem russischen vor, der Judoka Dmitrij Gerasimenko wurde zu einem Serben und der Fußballspieler Roman Jeremenko zu einem Finnen. In Sotschi werden hingegen der koreanische Schlittschuhläufer Wiktor An, der amerikanische Snowboarder Vick Wild und die japanische Eiskunstläuferin Juko Kawaguti als russische Talente gefeiert.

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