Der ZSKA-Trainer Leonid Sluzkij feiert mit seiner Mannschaft den Titel. Foto: Michail Sinizyn/Rossijskaja Gaseta
In der letzten Woche ging in Russland die seit Jahren spannendste Fußballmeisterschaft zu Ende. Bis zur letzten Minute des letzten Spieltags stand der Meister nicht fest, insgesamt konnten am letzten Spieltag noch drei Vereine den Titel erringen. Zum Champion wurde letztendlich eine Mannschaft gekürt, die im Herbst noch elf Punkte hinter dem Tabellenführer zurücklag, in der Endphase der Saison jedoch zehn Spiele nacheinander gewinnen konnte.
Obwohl der Titelverteidiger ging ZSKA Moskau nicht als Favorit in die neue Saison. Vielmehr verlor der Armeeclub, dem sowieso keine großen Mittel für Transfers zur Verfügung standen, obendrein noch zwei seiner Führungsspieler. Zuerst wechselte der brasilianische Stürmer der Rot-Blauen, Vágner Love, zu Shandong Luneng nach China. Kurz danach verließ auch der Japaner Keisuke Honda den Verein. Er hatte schon seit längerer Zeit mit einem Wechsel zum AC Mailand geliebäugelt. Zusätzlich wurde ZSKA von einer Verletzungs-Misere heimgesucht: Viele Stammspieler mussten bei den ersten Spielen der Saison passen.
Jewgenij Giner: Ein geduldiger Präsident
Hätte Boris Rotenberg, einer der reichsten Männer Russlands, im vergangenen Sommer nicht Dynamo Moskau sondern ZSKA gekauft, dann hätte Leonid Sluzkij, der jetzige Trainer von ZSKA, am 9. März seine Arbeit verloren. An diesem Tag verlor ZSKA das Heimspiel gegen den Stadtrivalen nach einer 2:0 Halbzeitführung noch mit 2:4. Die Argumentation Rotenbergs wäre dieselbe gewesen, wie bei der Entlassung des Rumänen Dan Petrescu einige Wochen später nach der 0:4 Niederlage Dynamos gegen Anschi Machatschkala. Dieser begründete die Entlassung folgendermaßen: „Wir haben viele Nationalspieler im Team und deshalb kein Recht Gegentore in einem solchen Spiel zu kassieren. Aus diesem Grund werden wir den Trainer wechseln".
Allerdings wollte Jewgenij Giner, der aktuelle Präsident von ZSKA Moskau, nicht voreilig handeln. Der Klub beendete die erste Saisonhälfte auf dem fünften Platz. Man kassierte hohe Niederlagen gegen Außenseiter und konnte nicht mehr damit rechnen die Europapokalplätze zu erreichen. Giner jedoch traf keine übereilten Entscheidungen, sondern beurlaubte diejenigen Verantwortlichen, mit denen sich der Trainer Leonid Sluzkij nicht mehr verstand. Dies war der Sportdirektor Anton Jewmenow und den Co-Trainer Sergej Schustikow. Den Platz von Jewmenows nahm Oleg Jarowinskij, ein enger Freund Sluzkijs, ein.
Das Sluzkij-Spielsystem
„Alle haben immer gesagt, dass Sluzkij nie etwas erreichen würde. Aber er beweist seit zwei Jahren das Gegenteil". Mit diesem Satz charakterisierte Jewgenij Giner den fünften Meistertitel der ZSKA in der Vereinsgeschichte.
Was ist nun das Geheimnis Sluzkijs? Er kann immer wieder bei schwierigen Situationen eine Lösung finden. Die Niederlagen der Mannschaft hat er nie mit Verletzungspech oder individuellen Fehlern der Spieler begründet. Dies
Leonid Sluzkij lernte José Mourinho im Jahr 2005 kennen. In seinen Interviews unterstreicht der russische Trainer immer, dass der Portugiese großen Einfluss auf sein Coaching hatte.
In Russland nannte man Sluzkij deshalb eine Zeitlang den „russischen Mourinho". Genau wie der Portugiese hatte Sluzkij nie professionell Fußball gespielt.
lernte Leonid vom Portugiesen José Mourinho. Sluzkij nimmt immer die ganze Schuld für eine Niederlage auf sich. In solchen Momenten beginnt die Mannschaft für den Trainer zu spielen.
Auch aus mittelmäßigen Spielern kann Sluzkij das Beste herausholen. Als Achmed Musa nach Moskau kam, konnte er nur schnell laufen. Aber nach drei Jahren unter Sluzkijs reifte Musa zum nigerianischen Nationalspieler und einem der besten Mittelfeldspieler der Premier Liga. Zudem ist Leonid Sluzkij ein hervorragender Motivator und Psychologe. „Sluzkij kann lange Gespräche führen. Danach kommst du aus seinem Zimmer mit der Sicherheit, dass du morgen garantiert ein Tor schießt", erinnert sich Vágner Love, einer der besten ZSKA-Spieler der letzten Jahre.
„Nach seiner letzten Meisterschaft hat Sluzkij als Trainer unglaublich zugelegt. Das ist der beste russische Trainer. Nur wenige hätten es geschafft, die Mannschaft zum richtigen Zeitpunkt derart zu motivieren. Das Wichtigste aber ist, dass Sluzkij sich nicht zu fein ist, weiter dazuzulernen. In seiner Freizeit hospitiert er bei führenden europäischen Vereinen", bemerkt der Europameister von 1960 Wiktor Ponedelnik.
Nachhaltige Einkaufspolitik
ZSKA kann finanziell nicht mit den anderen Moskauer Vereinen oder Zenit Sankt Petersburg mithalten. Jedoch hat der Verein bewiesen, dass er mit den begrenzten Mitteln gut umgehen kann. Der Armeeclub streicht traditionell schnell Spieler von der Gehaltsliste, die über ihren Leistungszenit hinaus sind und ersetzt sie durch talentierte Nachwuchsspieler oder junge Fußballer aus dem Ausland. So ist es auch kaum verwunderlich, dass ZSKA nicht in der Liste derjenigen russischen Vereine auftaucht, die von der UEFA wegen Verletzung der finanziellen Fair-Play-Regeln mit einer Strafe belegt worden sind.
Phantastische Form von Tošić
Der Schlüsselspieler von ZSKA Moskau ist der serbische Mittelfeldspieler Zoran Tošić, der maßgeblich für den Erfolg der Mannschaft verantwortlich ist. Tošić erreichte insbesondere in der Schlussphase der Saison eine
phantastische Form. In den letzten zehn Spielen verbuchte er 13 Scorerpunkte (6 Tore und 7 Vorlagen). In Abwesenheit von Honda war der Serbe nicht nur für alle Standards verantwortlich, sondern agierte auch als verlängerter Arm von Trainer Sluzkij. Tošić gibt den Rhythmus für die gesamte Mannschaft vor und seine Flanken wurden zur wichtigsten Waffe von ZSKA im Kampf um die Meisterschaft.
Perfektes Timing
ZSKA konnte in den letzten Jahren keinen einzigen Heimsieg gegen Zenit Sankt Petersburg einfahren. Doch in dieser Saison reiste Zenit nach der Entlassung ihres langjährigen Trainers Luciano Spalletti noch unter Schock stehend nach Moskau. In einem hart umkämpften Spiel siegte ZSKA mit einem 1:0. Danach musste ZSKA nur noch gegen Mannschaften aus dem unteren Tabellenbereich spielen. Diese Vergleiche meisterten die Armeefußballer mühelos mit zehn Siegen hintereinander. Im entscheidenden Spiel der Saison waren sich die Spieler des Armeeclubs so sicher, dass sie für den entscheidenden Sieg über den Lokomotive Moskau genau so viel Kraft aufwandten, wie sie aufwenden mussten.
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