Viktor Tichonow: Ein Leben für den Sport

 „Sein ganzes Leben drehte sich um Eishockey. Wir diskutierten noch am Krankenbett, wie man das hohe Niveau der russischen Eishockeynationalmannschaft halten kann“, erzählen Kollegen von Tichonow.  Foto: TASS

„Sein ganzes Leben drehte sich um Eishockey. Wir diskutierten noch am Krankenbett, wie man das hohe Niveau der russischen Eishockeynationalmannschaft halten kann“, erzählen Kollegen von Tichonow. Foto: TASS

Viktor Tichonow brachte das sowjetische Eishockey in den Achtzigerjahren an die Weltspitze. Seine Methoden konnte er im Sportapparat erfolgreich umsetzen. Als die UdSSR zerbrach, war es vorbei mit der Unbesiegbarkeit. Am Montag starb Tichonow im Alter von 84 Jahren.

Für viele Russen bedeutet der Tod des verstorbenen Eishockeytrainers Viktor Tichonows das Ende einer Ära. Der 84-jährige Tichonow verstarb am Montag, den 24. November, nach langer Krankheit in Moskau, wo er am 4. Juni 1930 auch geboren wurde. Während des Zweiten Weltkrieges begann er im Alter von zwölf Jahren eine Schlosserlehre. Er spielte Eishockey im Sportklub der Luftwaffe. 1977 wurde er Trainer der russischen Eishockeynationalmannschaft.

Tichonow war das Symbol für die Unbesiegbarkeit der sowjetischen Eishockeynationalmannschaft. Respekt einflößend wirkte er und besonnen. Er strahlte große Ruhe aus. Auch bei nordamerikanischen Eishockeyfans war sein Ansehen hoch. Sie zollten ihm Respekt nach der unerwarteten Niederlage der sowjetischen Mannschaft gegen die Vereinigten Staaten bei den Olympischen Spielen 1980, die als „Wunder auf dem Eis“ in die Sportgeschichte einging. Auch später, als die sowjetische Mannschaft beinahe unbesiegbar schien und dreimal hintereinander Olympiasieger wurde, heimste er viel Anerkennung ein. In der Sowjetunion und danach auch in Russland war Tichonow ein Nationalheld.

Bis zu seinem Tod verfolgte Tichonow das Ziel, die Überlegenheit wiederherzustellen, erinnert sich Wladislaw Tretiak, der unter Tichonow Torwart war und heute Chef der Russischen Eishockeyföderation ist. „Sein ganzes Leben drehte sich um Eishockey“, sagte er der Nachrichtenagentur R-Sport. „Wir diskutierten noch am Krankenbett, wie man das hohe Niveau der russischen Eishockeynationalmannschaft halten kann“, erzählte Tretyak.

 

Ruhm im Namen von Lenin und Marx

Während Tichonows Glanzzeiten in den Achtzigerjahren war jede Niederlage der sowjetischen Nationalmannschaft ein Schock für das ganze Volk. Selbst während des Chaos und der Verwirrungen zu Zeiten der Perestroika zeigte der Sieg bei den Olympischen Spielen 1988 in Calgary, dass es noch einen Ort gab, wo die Sowjetunion weiter eine führende Rolle spielte – auf dem Eis. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville führte er das Vereinte Team, in dem die meisten der kurz zuvor unabhängig gewordenen ehemaligen Republiken der Sowjetunion ein letztes Mal zusammen spielten, noch einmal zu olympischem Gold und sorgte für einen seltenen Moment der Eintracht im zerfallenden sowjetischen Reich. 

Damals war nicht nur Tichonows Mannschaft bereits ein Anachronismus. Sein Trainingsstil war untrennbar mit dem sowjetischen System verbunden. Die Athleten waren Diener des Staates, die mit ihren Erfolgen den nationalen Ruhm zu mehren und die Überlegenheit von Marx und Lenin zu beweisen hatten. Wenn dafür  Regeln missachtet werden mussten, war dies nicht weiter schlimm – der Zweck heiligte die Mittel.

Leistungssportler, die keiner anderen geregelten Beschäftigung nachgingen, wurden kurzerhand zu Staatsamateuren erklärt. Der Amateurstatus war damals eine Teilnahmevoraussetzung für die Olympischen Spiele. Sie waren Soldaten, die jedoch nicht kämpften, sondern ausschließlich trainierten. Tichonow konnte so das Leben seiner Sportler kontrollieren, denn er war offiziell ihr Offizier im ZSKA, dem Eishockeyklub der Sowjetischen Armee. Da die Spieler in der Kaserne lebten, konnten sie viel intensiver trainieren als die ausländischen Rivalen. 

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 war der Anfang vom Ende. Zwar triumphierte Tichonows Team ein Jahr später noch einmal bei den Olympischen Spielen, doch das Team hatte keine starke Basis mehr. Tichonow arbeitete weiter als Trainer der russischen Eishockeynationalmannschaft und bei ZSKA Moskau, konnte jedoch an frühere Erfolge nicht mehr anknüpfen. Bereits Ende der achtziger Jahre hatte er einige Spieler aus der Nationalmannschaft genommen, aus Angst, sie könnten den Verlockungen des Westens erliegen und zur US-amerikanischen NHL desertieren. Zudem gab es nach dem Untergang der Sowjetunion auch keine sowjetischen Sportsoldaten mehr. Viele von ihnen hielt es dann auch nicht mehr in den Kasernen und sie wechselten tatsächlich zur NHL. Spieler wie Slawa Fetisow und Pawel Buré erreichten in den USA und Kanada einen Bekanntheitsgrad, von dem Tichonow selbst zu seinen glanzvollsten Zeiten nur träumen konnte.

 

Unvergessene Erfolge

Überall auf der Welt werden sportliche Erfolge genutzt, um das Ansehen der Nation zu stärken. In Russland ist sportlicher Erfolg jedoch besonders wichtig. Bei schlechten Leistungen russischer Nationalmannschaften hat sich schon so manch russischer Politiker zu bemerkenswerten Wutausbrüchen hinreißen lassen. 

Russland führte bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi im Februar 2014 den Medaillenspiegel an. Es zeigte sich wieder, dass russische Sportler in den Sportarten besonders stark sind, die seitens der Regierung große Unterstützung erfahren. In anderen Ländern sind Sportler teilweise auf Sponsorengelder angewiesen, die nicht immer hoch sind. Aber das soll nicht heißen, dass Sotschi ein Ausdruck sowjetischer Sportmentalität war. Mitnichten. Zwar haben in Russland die Trainer und auch das russische Sportministerium noch immer einen weitaus größeren Einfluss als zum Beispiel in den USA und Großbritannien, doch das ist nicht zu vergleichen mit dem früheren sowjetischen Sportapparat oder auch dem im heutigen China. 

Die russische Eishockeynationalmannschaft trug übrigens nicht zur Erfolgsbilanz von Sotschi bei, sie scheiterte bereits im Viertelfinale ausgerechnet gegen die USA. Trainer Sinetula Biljaletdinow konnte an frühere olympische Erfolge, die zuletzt unter Tichonow gefeiert wurden, nicht anknüpfen. Viele seiner Ideen waren noch populär, aber es gab nicht mehr die Strukturen, die eine erfolgreiche Umsetzung ermöglicht hätten. Mit seinem Tod sterben vielleicht auch seine Ideen. Seine Erfolge jedoch werden unvergessen bleiben.

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