Schieferöl: Angriff auf russisches Erdöl

Foto: RIA Novosti/Grigori Sysojew

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Die zunehmende Förderung von Schieferöl vor allem im Norden der USA führt auf dem globalen Energiemarkt zu ernsthaften Verwerfungen. Analysten von PricewaterhouseCoopers International (PwC) und Capital Economics rechnen mit einem drastischen Einbruch des Erdölpreises.

Während 2007/2008 das Barrel (159 Liter) der Marke Brent zeitweise 147,50 US-Dollar kostete, sank der Preis inzwischen auf knapp 112 US-Dollar. „Wir gehen davon aus, dass die Welt 2020 angesichts eines wachsenden Angebots und nachlassender Nachfrage ein Überangebot von Öl erleben wird“, sagt Volkswirt Julian Jessop von Capital Economics. Er sieht die Nordsee-Marke zum Ende des Jahrzehnts bei 70 US-Dollar je Barrel. Die Analysten von PwC glauben, dass die Preise bis zum Jahre 2035 sogar um weitere 25 bis 40 Prozent nachgeben könnten. Das ist sehr viel, gehen doch die Prognosen des Statistischen Amtes für Energie in den USA (U.S. Energy Information Administration, EIA) noch von 133 US-Dollar pro Barrel aus.

Würden die Prognosen wahr, könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Russlands, das in großem Maße von Erdölexport abhängt, um 1,2 bis 1,8 Prozent schrumpfen. Die russischen Erdölkonzerne hätten im besten Falle eine Frist von fünf Jahren, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und in der Förderung Amerika wieder einzuholen.

Denn innerhalb von sieben Jahren haben die USA den technischen und wie es scheint auch wirtschaftlichen Durchbruch in der Erdölförderung errungen: Durch Ausbeutung des Schieferöls förderten sie 2011 bereits 553.000 Barrel pro Tag. Noch 2004 waren es nur 111.000 Barrel täglich. Im Land mit dem höchsten Ölbedarf der Welt - sowohl absolut als auch pro Einwohner - wächst das heimische Angebot schneller als der Bedarf. Dank des einsetzenden Öl-Booms konnte es seine Importe drosseln wie seit 25 Jahren nicht mehr.  Der Zukunftsbericht Energy Outlook 2030, der vom britischen Energiekonzern ВР im Januar 2013 veröffentlicht wurde, sieht Russland in der Verliererrolle.

Der rasche Anstieg der Förderung von Schieferöl in den USA könnte dazu führen, das Amerika bereits in diesem Jahr Russland und Saudi-Arabien bei der Erdöl-Produktion einholt. Prognosen von PwC sehen die Weltförderung von Schieferöl bis zum Jahre 2035 auf ein Volumen von 14 Millionen Barrel pro Tag ansteigen. Das entspricht rund 12 Prozent der weltweiten Erdöl-Fördermenge. Nach Berechnungen des EIA könnte der Anteil der amerikanischen Unternehmen daran zwischen 1,2 und 4 Millionen Barrel pro Tag liegen.

Billiges Öl könnte die Wirtschaft ankurbeln. PwC hält es für möglich, dass die Förderung von Schieferöl das durchschnittliche BIP aller Länder bis zum Jahre 2035 weltweit um 2,3  bis 3,7 Prozent erhöhen könnte. Das entspricht insgesamt einer Vergrößerung der Weltwirtschaft um 1,7 bis 2,7 Billionen US-Dollar. Die Volkswirtschaften der einzelnen Länder würden davon ganz unterschiedlich profitieren, meint PwC. Vor allem Erdöl importierende Ländern, wie Indien, China oder Japan, würden sich die Hände reiben. Ihr BIP könnte um 4  bis 7 Prozent steigen, während das BIP in den USA, Deutschland oder Großbritannien nur um moderate 2  bis 5 Prozent zulegen würde. „Große Erdölexporteure, wie zum Beispiel Russland oder die Golfstaaten müssten langfristig sogar ernsthafte Verluste hinnehmen, wenn sie nicht damit beginnen, ihre eigenen Schieferölressourcen im großen Maßstab zu erschließen“, bemerkt John Hawkesworth, Chef-Ökonom von PwC und einer der Verfasser des Berichts.

Die alternativen fossilen Energieressourcen werden in Russland langsam ein Thema. Im russischen Erdöl- und Erdgassektor wird sogar eigens ein spezieller Terminus dafür verwendet - „schwer zu fördernde Energiereserven“. Sie entsprechen den im Deutschen gebräuchlichen Begriff der "unkonventionellen Lagerstätten". Darunter werden die Erschließung und Förderung von Öl und Gas aus Ölschiefer, Ölsand sowie anderen energiehaltigen Gesteinen subsummiert. Das Potential der schwer erschließbaren Vorräte in Russland wird auf etwa 25 bis 50 Milliarden Tonnen Öl-Äquivalent geschätzt.

Alle großen russischen Energieunternehmen interessieren sich inzwischen für die unkonventionellen Lagerstätten, auch wenn die konventionellen auf russischem Territorium noch für lange Zeit sprudeln. Grund dafür ist einfach der entstandene technologische Vorsprung der USA. Mittlerweile haben die Russen verschiedene Programme und Projekte zur Förderung dieses „schwierig zu fördernden“ Erdöls aufgelegt, aber dessen Ausbeutung steht noch ganz am Anfang. Die größten Schieferölablagerungen sind in den Schichten der Baschenow-Formation in Westsibirien zu finden. Es ist davon auszugehen, dass die russischen Erdölunternehmen in dieser Region die Erschließung in großem Maßstab beginnen werden. Um das finanzielle Risiko zu minimieren, arbeiten sie mit ausländischen Unternehmen zusammen, die über Erfahrung und die notwendigen innovativen Technologien verfügen.

So arbeitet das russische Erdölunternehmen TNK-BP Ltd., das zum Rosneft-Konzerngehört, eng mit Schlumberger zusammen. Schlumberger ist Marktführer und weltweit das größte Unternehmen für Erdölexplorations- und Ölfeldservice. Als Pilotprojekte für die Erschließung haben TNK-BP und Schlumberger bereits sieben Vorhaben ausgewählt. Einige davon befinden sich inzwischen im Realisierungsstadium. In den Lagerstätten Kamennoje, Em-Jogowskoje, Sewero-Chochrjakowskoje und Samotlorskoje wird das "Fracking"-Verfahren erprobt. Dabei werden die tiefliegenden Gesteinsschichten mit Horizontalbohrungen durch Einschuss von Wasser und Chemikalien bei hohem Druck aufgebrochen. Wegen möglicher Umweltrisiken ist das Fracking allerdings umstritten.

Auch in Deutschland soll es bisher nur unter hohen Umweltauflagen erlaubt werden. In deutschen Wasser- und Umweltschutzgebieten ist Fracking grundsätzlich verboten. Denn die beim Fracking entstehenden Abwässer sind mit gesundheitsschädlichen Chemikalien belastet, welche langfristig das Grund- und Trinkwasser verunreinigen können. Zudem ist es möglich, dass bei der Förderung entzündliches Methangas freigesetzt wird. Schließlich gibt es Beweise, dass die tektonischen Bewegungen der beim Abbau entstehenden Hohlräume auch Erdbeben auslösen können. Das kann zu geologischen Senkungen und Rissen an der Erdoberfläche führen und Häuser sowie Infrastrukturen beschädigen.

In Russland wird TNK-BP in diesem Jahr 100 Millionen US-Dollar in die Erschließung unkonventioneller Lagerstätten investieren. Wenn das Pilotprojekt erfolgreich läuft, könnten zwischen 2013 und 2015 zusätzlich vier Millionen Tonnen Erdöl gefördert werden. Das sind mehr als fünf Prozent der Förderung von TNK-BP, das 2012 eine Fördermenge von 73 Millionen Tonnen produzierte. Laut Einschätzung des Unternehmens beträgt der TNK-BP-Anteil des „schwierigen“ Erdöls an den Gesamtreserven Russlands in etwa zwei bis vier Prozent.

Der Mutterkonzern Rosneft verfügt über 27 Lagerstätten mit „schwierigem“ Erdöl, vor allem in den Lagerstätten Atschimowskoje, Baschenowskoje und Tjumenskoje in Westsibirien, deren Reserven auf insgesamt 1,8 Milliarden Tonnen Öl-Äquivalent geschätzt werden. 23 Felder will das Unternehmen gemeinsam mit der amerikanischen ExxonMobil erschließen, weitere zusammen mit der norwegischen Statoil.

Sаlym Petroleum Development, ein Gemeinschaftsunternehmen von Gazprom Neft und dem britisch-niederländischen Shell-Konzern, hat sich die Erdöl-Lagerstätte Werchnje-Salymskoje vorgenommen. Gazprom Neft liebäugelt auch mit einer Lagerstätte bei Krasnoleninskoje. Im Januar wurden hier bereits erste Erkundungsbohrungen durchgeführt.

ВР rechnet in seinem Outlook 2030 mit einem Anstieg des Schieferöl-Anteils an der gesamten russischen Erdölförderung bis zum Jahre 2030 von mehr als 10 Prozent. Vitali Krjukow, Analyst von VTB Capital, der Investmentsparte der ehemaligen Außenhandelsbank VTB, erklärt, dass die Ausbeutung unkonventioneller Lagerstätten von verschiedenen Faktoren abhängt. Zum einen seien die technologischen und finanziellen Aufwendungen stark von der Geologie der Lagerstätten abhängig. Das sei genauestens zu analysieren.

Gerade hier unterschieden sich nämlich die Ressourcenverfügbarkeit in den wichtigsten Förderländern deutlich: In den USA seien die natürlichen Bedingungen gegenüber konventionellen Lagerstätten sogar besser, in China und Russland hingegen schlechter. Das erfordere zum anderen Anschubförderungen durch den Staat. So müssten in den benachteiligten Ländern fiskalische Maßnahmen des Staates, etwa Subventionen, Anreize oder Steuererleichterungen für solche Projekte getroffen werden, damit die enormen Erstinvestitionen schnell in Gang kämen. Und tatsächlich wird gegenwärtig von der russischen Regierung ein Gesetzesentwurf vorbereitet, der Steuervorteile bei der kommerziellen Gewinnung von Naturressourcen einräumt.

„Sicherlich haben die Amerikaner die Nase vorn", gibt Alexander Nasarow, Analyst der Gazprombank, zu. "Man kann aber nicht behaupten, wir hätten den Anschluss verpasst. Russische Unternehmen engagieren sich bereits bei der Erkundung und Förderung von Schieferöl. Allerdings reichen bei uns die Reserven der konventionellen Erdöllagerstätten noch für viele Jahre. Das hemmt in gewisser Weise die schnelle Ausbeutung des schwer zugänglichen Öls.“ Er glaubt, dass vor allem ausländische Unternehmen nach Russland drängen würden, die über das notwendige Know-how bei der Gewinnung schwer zugänglichen  Erdöls verfügen. Sie wollten hier ihre neue Technologie teuer verkaufen. Nasarow: „Unter dem Strich bestehen aber auch berechtigte Aussichten, den Anschluss an den Markt zu erreichen und die USA innerhalb von fünf Jahren wieder einzuholen.“ 

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