Die Expedition des Alfred-Wegener-Instituts am Billjach-See im Werchojansker Gebirge, April 2005. Foto: Bernhard Diekmann
Jakutsk im März 2013. Die Frühlingssonne macht sich bemerkbar bei ostsibirischer Kälte. Es ist für hiesige Verhältnisse nicht mehr extrem kalt (-40 bis -50 °C), sondern nur noch sehr kalt. Sieben russische Forscher
unter Leitung der Professorin Ljudmila Pestrjakowa von der Universität Jakutsk und sechs deutsche Geologen von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung brechen auf zum Bolschoje-Toko-See im äußersten Südosten der Provinz Jakutien. Der Weg der beiden vollbepackten Lastwagen führt zunächst über den vereisten Fluss Lena und weiter 600 Kilometer nach Süden. Bei Nerjungri geht es auf die Winterpiste Richtung Osten, 350 Kilometer am Fuß des 2400 Meter hohen Stanowoi-Gebirges.
Der 14 mal sieben Kilometer große Bolschoje Toko ist mit seinen 70 Metern Tiefe einer der wenigen tiefen Seen Jakutiens. Hier werden die Wissenschaftler für die nächsten zwei Wochen vom anderthalb Meter dicken Eis aus verschiedene Schlammschichten vom Seegrund bergen. Daraus lassen sich das Klima und der Landschaftswandel der letzten Eiszeit und der laufenden Warmzeit ablesen.
Wie war gestern das Wetter?
Derartige limnogeologische Untersuchungen an Seesedimenten werden seit mehreren Jahren an verschiedenen Seen Ostsibiriens durchgeführt. Die Arbeitsgebiete reichen von der arktischen Tundra im Lenadelta bis nach Kamtschatka am Pazifischen Ozean. Ähnlich wie die heutigen Wettervorhersagen auf einem breiten Netz von meteorologischen Stationen fußen, basieren derartige geologische Untersuchungen auf einer möglichst weiten räumlichen Ausdehnung, um die ganze zeitlich-räumliche Dimension des Umweltwandels in Sibirien erfassbar zu machen. Die Forscher interessiert besonders die Periode seit der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren, die von wiederholten Klimaveränderungen gekennzeichnet war und nun in die vom Menschen mitbeeinflusste Klimaerwärmung mündet.
Schlammige Angelegenheit
Dabei werden die unterschiedlichen Schlammablagerungen, die sich am Grunde des Sees angesammelt haben, hinsichtlich der Schwankungen in ihrer Zusammensetzung untersucht: In Hohlformen findet sich verblasener Verwitterungschutt des Umlands, dazu gesellen sich abgestorbene Reste von Flora und Fauna sowie Mikroalgen und Pollen verschiedener Pflanzen.
Derartige Faulschlammablagerungen mit den darin enthaltenen Mikrofossilien werden syste matisch ausgewertet und erlauben Rückschlüsse auf klimatisch bedingte Schwankungen des Wasserstands, Temperaturschwankungen, Änderungen der ökologischen Rahmenbedingungen und der Dynamik im Permafrost. Am Bolschoje-Toko-See macht sich zudem der Einfluss vorstoßender und rückschreitender Gletscher bemerkbar, die in den Hochlagen des Einzugsgebiets vorkommen. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die wärmste Phase der Nacheiszeit vor 7000 bis 8000 Jahren war. Damals hatte die Taiga weit in die Tundragebiete des Nordens geragt.
Zehn Meter lange Bohrkerne
Gewonnen wird das Untersuchungsmaterial mit einem Stechrohr, das über ein Dreibein von der Eisdecke über lange Seile und ein Hammergewicht in den Grund des Sees getrieben wird. Dann werden bis zu zehn Meter lange Sedimentkerne geborgen, die im oberen Teil die jungen und ganz jungen Ablagerungen und nach unten die fossilen Schlämme der Vorzeit beinhalten. Gearbeitet wird bis Sonnenuntergang, gefolgt von abendlichen Beprobungs- aktionen in der engen, jedoch behaglich beheizten Hütte am Seeufer. Dabei kommen schöne Erinnerungen an die Expedition zum Billjach-See im Werchojansker Gebirge im Frühjahr 2005 hoch. Die meisten Expeditionen während der letzten zehn Jahre fanden jedoch im Sommer statt. Dann wird von Booten und Flößen aus operiert und die Polarkleidung durch die Mückenjacke ersetzt.
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