Jens Böhlmann: Die steuerliche Belastung in Russland ist niedriger als in Deutschland. Foto: Lori / Legion Media
Die russischen Unternehmen beklagen sich über zu hohe Steuern in Russland. Wie es heißt, arbeiten etwa 45 Prozent der russischen Unternehmen im Schattenbereich der Wirtschaft. Wie empfinden die hier ansässigen deutschen Unternehmen die steuerliche Belastung in Russland?
Jens Böhlmann: Die deutschen Unternehmen, die in Russland arbeiten, sehen die steuerliche Belastung hier eher als erträglich. Diese Einschätzung der russischen Unternehmen hängt vielleicht ein bisschen mit ihrem mangelnden Erfahrungsschatz in Bezug auf die Unternehmensbesteuerung zusammen. Die steuerlichen Belastungen der russischen Unternehmen innerhalb von Russland sind nicht höher als in anderen Ländern.
Was die deutschen Unternehmen betrifft, es würde nicht nach wie vor so viele Unternehmen geben, die sich in Richtung Russland wenden, wenn die steuerliche Belastung dagegen sprechen würde. Nach meinem Wissensstand sind im Moment etwa 6100 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, darunter 900 Mitglieder der AHK, in Russland aktiv oder registriert. Das heißt, sie zahlen in Russland Steuern.
Wie sieht die steuerliche Belastung der Unternehmen in Russland im Vergleich zu Deutschland aus?
Ganz pauschal gesprochen, ist die steuerliche Belastung in Russland niedriger als in Deutschland. Das gilt jedoch nicht in jedem Fall. Das Steuersystem insgesamt ist transparenter und kennt weniger Ausnahmetatbestände. Die Einkommensteuer ist mit 13 Prozent sehr niedrig.
Trotzdem wird immer wieder von einer mangelnden Investitionsattraktivität Russlands gesprochen. Was sind die Gründe dafür?
Es gibt immer Rahmenbedingungen, die ein Investor prüft, um in einem Land zu investieren. Das erste ist, wie das Gelände, das man kaufen möchte, infrastrukturell erschlossen ist. Dabei ist insbesondere die Stromversorgung oft ein Problem. Und dann ist auch eine Frage, wie man das Grundstück erwerben oder pachten kann. Ein Genehmigungsverfahren, bis man tatsächlich Besitzer oder Pächter des Grundstückes ist, kann in Russland unter Umständen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Und das kostet Geld.
Es wird schon lange davon gesprochen, dass es ein One-Window-Prinzip
geben soll, wo man einen einzigen Ansprechpartner für die zügige und zuverlässige Klärung vor allem all dieser Fragen hat.
Es gibt einen zweiten Faktor, an dem wir als AHK sehr intensiv arbeiten. Das sind die Qualität, die Zuverlässigkeit und die Menge der Zulieferer. Davon gibt es erstens viel zu wenig und zweitens gibt es sehr wenig zuverlässige und insgesamt zu wenig kleine und mittelständische Unternehmen, die auch noch nicht qualifiziert genug sind. Und all das führt dann dazu, dass ein Investor möglicherweise ein bisschen zurückhaltend ist. Dass das Image Russlands nicht das Beste ist, spielt eigentlich eine weniger entscheidende Rolle.
Sie haben hier die Korruption nicht erwähnt, die Russland immer wieder vorgeworfen wird und die angeblich eine große Rolle spielen soll bei der Abschreckung von Investoren.
Ja, die Korruption, die einhergeht mit Bürokratie, hat in Russland noch ein relativ hohes Niveau, aber der Staat versucht relativ viel, um sie einzudämmen. Und insbesondere, und das ist für uns erstaunlich, eher ausländischen Investoren entgegenzukommen als den russischen. Die AHK hat die pragmatischst mögliche Lösung getroffen und hat eine Compliance-Initiative gegründet, in der sich die Unternehmen verpflichten, komplett sauber und weiß zu arbeiten, und das eben auch genauso gegenüber allen russischen Behörden, Unternehmen und Zulieferern zu dokumentieren. Dann ist man relativ sicher vor solchen zweifelhaften Angeboten.
Was müsste die Politik in Deutschland aus Sicht der Unternehmen in den Beziehungen zu Russland verändern. Ist die von Russland angestrebte Visafreiheit für die deutsche Wirtschaft ein aktuelles Thema?
Es gibt zum Beispiel die strategische Arbeitsgruppe zwischen Deutschland und Russland. So ein Instrument gibt es mit anderen Ländern nicht. Die politischen Rahmenbedingungen und Leitlinien werden dort festgelegt. Was wir uns noch wünschen würden, ist ein etwas sachlicherer Umgang mit Russland. Nicht alles, was man medial aufbereitet liest, entspricht wirklich dem Zustand in Russland. Ich lebe ja jeden Tag in diesem Land, und wenn ich in dem Land leben würde, dass ich aus den Zeitungen erfahre, dann würde ich hier auch nicht leben wollen.
Das Thema Visa ist immer aktuell. Unsere Unternehmen fordern größtmögliche Freizügigkeit im Geschäftsreiseverkehr. Perspektivisch hoffen wir natürlich, dass das Thema Visa überhaupt entfällt.
Die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau erleben momentan nicht ihre besten Zeiten. Wirken sich die Meinungsdifferenzen auf politischer Ebene in irgendeiner Weise auf die Wirtschaftsbeziehungen aus?
Glücklicherweise im Augenblick eher nein. Viel mehr haben zum Beispiel
makroökonomische Faktoren eine Auswirkung. Die russische Wirtschaft ist beispielweise im ersten Quartal bei Weitem nicht so gewachsen, wie wir uns das alle erhofft haben und wie auch der russische Staat das eigentlich vorhergesagt hat. Insofern ist es immer gut, wenn politisches Verständnis und wirtschaftliche Zusammenarbeit gut harmonieren.
Wenn aber die politischen Beziehungen nicht so reibungslos funktionieren, werden auch die Nachfragen aus der wirtschaftlichen Sphäre größer. Wir als AHK sind das Sprachrohr der deutschen Wirtschaft in Deutschland und leisten dort sehr intensiv Aufklärungsarbeit. Wir würden uns schon wünschen, dass die Beziehungen zumindest gefühlt besser wären, aber auf der Arbeitsebene und für eigentliche Projekte in der Wirtschaft ist die Auswirkung der politischen Differenzen eher nicht so groß.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.
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