Abwrackgebühr auf Gebrauchtwagen: Die EU will gegen Russland klagen

Foto: ITAR-TASS

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Nachdem Russland der Welthandelsorganisation beigetreten ist, bereitet die EU jetzt die erste Klage gegen das neue WTO-Mitgliedsland vor. Der Vorwurf: Die Abwrackgebühren sollen nur für ausländische Autoimporteure gelten und würden deshalb die europäischen Autohersteller auf dem russischen Markt benachteiligen. Nach Meinung der EU-Beamten ein glatter Verstoß gegen die geltenden Regeln der WTO.

In Europa war damit gerechnet worden, dass Russland die Sonderabgabe zum 1. Juli 2013 abgeschaffen würde. Zumindest hatte José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, diese Erwartung vor etwa einem Monat geäußert. Barroso hatte diese Forderung erhoben, obwohl EU-Handelskommissars Karel De Gucht auch den Russen das Recht eingeräumt hatte, das Verschrotten und Recyceln von Altautos zu fördern. Dafür gäbe es in vielen Ländern sowie auf der EU-Ebene bereits Gesetze. Aber, so die Argumentation von Barroso, seien diese Gesetze nicht dazu gedacht, Zölle und andere Handelshemmnisse zu kompensieren.

Maksim Medwedkow, russischer WTO-Chefunterhändler und Direktor der Handelsabteilung im Ministerium für Wirtschaftsentwicklung entgegnet hingegen, dass man in Russland die Sonderabgabe keinesfalls zum Nachteil von ausländischen Autoherstellern  anwenden wolle. Auch solle das WTO-Abkommen nicht umgangen werden.

Aber de facto trifft die Abwrackgebühr ausschließlich importierte Gebrauchtwagen. Denn  in Russland ansässige Automobilhersteller können die Abwrackgebühr umgehen, indem sie garantieren, dass die im Lande produzierten Fahrzeuge nach ihrem Autoleben sicher und vorschriftsmäßig entsorgt werden. Laut Kira Sawjawlowa, Expertin der unabhängigen Analyseagentur „Investcafé“, hätten Autohersteller wie AwtoWAS, GAZ, KAMAZ oder Sollers bereits eine solche Garantie abgegeben. Dieser Schritt lässt sich laut Sawjawlowa leicht erklären: Den Vorteil der geringeren Besteuerung könne man bereits sofort verbuchen, wohingegen die Ausgaben für die tatsächliche  Entsorgung erst später anfielen; falls überhaupt. Denn die Verschrottung und das Recycling würden erst nach 15 Jahren fällig. Das bedeute, dass man quasi einen zinslosen Kredit über 15 Jahre erhielte. Zumal sei noch nicht einmal sicher, dass das Recycling so wie heute geplant auch durchgeführt werden würde.

So sei es kein Wunder, dass mit Einführung der Sonderabgabe ein Nachlassen der Nachfrage sowohl auf dem Neu- als auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt festzustellen war, äußert sich Michail Lesschow, Leiter der Marketing-Abteilung des Gebrauchtwagenhändlers Formula 91. Seinen Angaben zufolge hätten die Automobilhersteller auf die Einführung der Abwrackabgabe mit einer moderaten, aber spürbaren Preiserhöhung reagiert. So habe beispielsweise Toyota seine Preise im Durchschnitt um 0,5 bis 1,7 Prozent erhöht.

„Europa setzt sich konsequent für die Einhaltung der Regeln ein. Ausnahmen kann es daher nicht geben. Russland hat ohne Zweifel versucht, gegen die WTO-Regeln zu verstoßen. Dass ein dementsprechender Protest der EU-kommission folgte, ist deshalb nicht verwunderlich“, äußert sich Lesschow.

Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Brüssel vor Gericht zieht, dann würde es wahrscheinlich nicht zu einer Verhandlung kommen. Denn Russland hätte zwei Monate Zeit, die Angelegenheit außergerichtlich zu klären. Die Regierung könnte im Herbst noch eine Änderung des Gesetzes vornehmen, sodass entweder die Abwrackgebühr auch die russische Automobilindustrie einbezöge oder aber ganz entfiele.

Schon jetzt, nachdem Brüssel Druck auf Russland ausübt, habe die Regierung einen Gesetzesentwurf in die Staatsduma eingebracht, wonach auch russische Automobilhersteller verpflichtet werden sollen, die Abwrackgebühr zu entrichten. Allerdings habe das Parlament bisher noch keine Zeit gefunden, sich mit dem Vorschlag des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung auseinanderzusetzen, so verlautbart die russische Regierung.

Obendrein will Russland den Automobilabsatz auch noch mit anderen Mitteln ankurbeln: Der Staat will den Kauf von Autos mit billigen Autokrediten stimulieren. Auf gar keinen Fall will der russische Staat auf die Einnahmen aus der geplanten Abwrackgebühr verzichten. Denn zum einen sinkt auf den internationalen Märkten der Ölpreis, und zum anderen tun sich in der Staatkasse immer neue Löcher auf. Die Abwrackgebühren würden immerhin einen Beitrag zur Sanierung der Staatskasse in der Höhe von 54 Milliarden Rubel (etwa 1,27 Milliarden Euro) leisten.

Die völlige Abschaffung der Abwrackgebühren, so seien sich alle Experten sicher, brächte hingegen für die Verbraucher in Russland gewisse Vorteile, behauptet Lesschow: „Das Warenangebot würde steigen, weil heute in Russland viel weniger neue Modelle gekauft werden und deren Preise oftmals viel höher sind als die Preise in den USA oder Europa liegen. Das könnte wiederum für die Automobilhersteller interessant sein. Denn es besteht eine zunehmende Tendenz der Kunden zum Kauf von Gebrauchtwagen, die zwischen zwei und drei Jahre alt sind, anstelle sich ein fabrikneues Auto zuzulegen."

Aber dem Staat gehe es gar nicht um das Recycling, meint Lesschow. „Diese Gebühren wurden lediglich Abwrackgebühren genannt, damit man sie auf Autos anwenden kann." Doch seien niemals konkrete Pläne zur Schaffung eines umfassenden Recycling-Systems vorgelegt worden, das auch die Automobilproduktion einbezieht. Weder der Aufarbeitungsumfang noch die dafür notwendigen Technologien seien beschrieben worden. Selbst die Frage, wofür die recycelten Rohstoffen eigentlich gebraucht würden, sei niemals erörtert worden. Nach Meinung des Insiders bestehe das Ziel der "Gebühr" allein darin, den Import von Gebrauchtwagen aus dem Ausland zu behindern und Russlands eigene Autoindustrie zu protegieren. Diesem Ziel sei man mittlerweile auch ziemlich nahe, meint Lesschow ironisch. "Importe von Gebrauchtwagen gibt es. Noch. Aber ihr Umfang ist auf mikroskopische Umfänge zusammengeschmolzen."

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Rosbalt.ru.

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