Die russische Zentralbank korrigiert ihre Wachstumsprognosen stark nach unten. Foto: PhotoXPress
Zum Ende des Jahres 2013 wird die russische Wirtschaft um ungefähr zwei Prozent wachsen. Für 2014 ist mit einer allmählichen Gesundung des Wachstums zu rechnen, aber eine wesentliche Zunahme wird es nicht geben. So bewertet die Zentralbank die Entwicklungsaussichten der Wirtschaft im ihrem Quartalsbericht über die Geld- und Kreditpolitik.
Im Frühjahr senkte das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung seine Prognose für das BIP-Wachstum in diesem Jahr von 3,6 auf 2,4 Prozent, für den Zeitraum 2014 bis 2015 rechnet die Behörde dann mit einer Zunahme auf 3,7 beziehungsweise 4,2 Prozent. Die Angaben des Statistischen Amts Rosstat ziehen jedoch sogar diese korrigierte Prognose für 2013 in Zweifel – das BIP-Wachstum hat sich nämlich im zweiten Quartal auf 1,2 Prozent von den 1,6 Prozent im ersten Quartal (jeweils im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum) verlangsamt. Nach Berechnungen von Nikolai Kondraschow vom Zentrum für Entwicklung der Hochschule für Wirtschaft ist die Wirtschaft innerhalb eines Jahres um 1,4 Prozent gewachsen, aber nach der saisonalen Bereinigung betrug das Wachstum im Zeitraum von Januar bis März lediglich 0,1 Prozent.
Zentralbank übt den Schulterschluss mit Experten und Rechnungshof
Die Zentralbank hat als erste offiziell eingestanden, dass der Optimismus des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung übertrieben ist. Früher hatten das Experten und der Rechnungshof bereits angedeutet. Für das zweite Halbjahr erwartet das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung eine Zunahme des Wachstums, weil man von einer niedrigeren Basis durch ein Anheben der Investitionen, der Staatsausgaben und des Produktionsvolumens in der Landwirtschaft und einen Rückgang der Inflation – was sich auch auf die realen Einnahmen auswirkt – ausgehen kann, aber selbst unter Berücksichtigung dieser Faktoren werde das Wachstum sich wohl niedriger als prognostiziert erweisen, gestand bereits früher Oleg Sasow, Direktor einer Abteilung des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung. Die Behörde will die Prognose bis September überarbeiten.
Die Angaben für die ersten beide Quartale werden das Jahreswachstum ungefähr um 0,5 Prozentpunkte nach unten drücken, glaubt Alexander Morosow des Finanzinstituts HSBC. Seiner Meinung nach werde die Prognose von 2,4 Prozent sich nur bei einer guten Ernte und einer positiven Konjunktur im Ausland erfüllen. Auf Letzteres sollte man lieber nicht vertrauen, warnt die Zentralbank in ihrem Bericht: In den Industrieländern sei bei einem geringem Wachstumstempo mit einer Überproduktion in vielen Bereichen zu rechnen.
Fast sieben Prozent Wachstum wären nötig, um Prognosen zu erfüllen
Den Plan des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung, das Wachstum auf bis zu 2,4 Prozent anzukurbeln, könne man bereits jetzt beerdigen, heißt es in einer gestrigen Einschätzung der Staatlichen Hochschule für Wirtschaft. Damit die Prognose sich erfülle, müsse das Wachstum im ersten Halbjahr mindestens um 0,9 Prozent (auf das gesamte Jahr bezogen) und im zweiten Halbjahr auf bis zu 6,5 bis sieben Prozent anwachsen – das wären Wachstumsraten wie vor der Krise. Es wird jedoch prognostiziert, dass sich die Faktoren jetzt immer stärker auswirken werden, die das Wachstum negativ beeinflussen: die zurückgehende Privatkreditvergabe, das
Ansteigen der Arbeitslosigkeit und die sinkende Rentabilität in der Wirtschaft, schreiben die Autoren in ihrem Bericht.
Die Prognose einer Zunahme des Wachstums für 2014 bis 2015 entbehre ebenso einer ernsthaften Grundlage, kritisiert ein hochrangiger Beamter des Finanzministeriums. Woher ein solcher Optimismus komme, sei unklar, kritisiert der Rechnungshof, erwarte das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung doch gleichzeitig eine Kürzung der Investitionsprogramme im Erdöl-, Energie-, Erdgas- und Eisenbahnbereich.
Für einen mittelfristigen Wachstumsanstieg sei eine Modernisierung der Wirtschaft unabdingbar, glaubt man bei der Zentralbank. Die Abkühlung bei den Investitionen und dem Wachstum im ersten Halbjahr erfolgte vor dem Hintergrund einer hohen Auslastung der Arbeitskraftressourcen und der Produktionskapazitäten (der theoretisch mögliche und der tatsächliche Produktionsausstoß stimmten nahezu überein). Das bedeutet, dass von einer Wachstumssteigerung durch eine Erhöhung der Auslastung nicht die Rede sein kann.
Zentralbank äußert sich erstmals zu institutionellen Faktoren
Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte erlaube es sich die Zentralbank, nicht nur die Geld- und Kreditpolitik zu bemängeln, sondern sich auch zu institutionellen Fragen zu äußern, wie Morosow bemerkt. Die
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Botschaft von der Notwendigkeit einer Modernisierung sei korrekt, aber man könne kaum bemängeln, dass die Produktionskapazitäten gegenwärtig zu gut wie ausgelastet wären, so Morosow: „Wenn das wirklich so ist, dann ist die Stagnation zur Norm geworden."
Die Möglichkeit, das Wachstum mithilfe einer milderen Geld- und Kreditpolitik zu stimulieren, ist äußerst begrenzt: Die Inflationsdynamik ist nicht die beste, und die Pläne zu deren Eindämmung sind äußerst ambitioniert, glaubt Wladimir Tichomirow von der Bankengruppe Otkrytije. Grundlegende Faktoren für eine wesentliche Zunahme des Wirtschaftswachstums gebe es zwar nicht, aber einen Effekt könnten unverzügliche Maßnahmen bringen, zum Beispiel die Bereitstellung von Mitteln aus dem Fonds für nationalen Wohlstand für Infrastrukturprojekte. „Das Entscheidende ist, diese Maßnahmen nicht hinauszuzögern", so Tichomirow.
Wichtig seien nicht nur das Wachstumstempo, sondern vor allem dessen Qualität, bemerkt ein hochgestellter Beamter des Finanzministeriums: „Das Wachstum kann man beschleunigen. Man kann zum Beispiel die Reserven aktivieren und auf diese Weise bis zu fünf Prozent herauskitzeln, aber sobald das Geld zu Ende geht, verwandelt sich das Wachstum in ein Schrumpfen."
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