Die Wohltätigkeitsorganisation "Wwerch" hat es geschafft, Geld zu verdieden. Foto: Pressebild
Bislang hat sich in den Köpfen der Russen noch keine konkrete Definition für den Begriff des sozialen Unternehmertums herausgebildet. Deshalb werden den „sozialen Unternehmern" sowohl die zugeordnet, die einfach nur einen Teil der Einnahmen aus ihrer Geschäftstätigkeit für wohltätige Zwecke spenden, als auch jene, deren Geschäftstätigkeit auf der Arbeit mit Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten beruht. Aber es gibt auch soziale Projekte, die sich nicht so ohne Weiteres einer Kategorie zuordnen lassen.
Zum Beispiel ist das Zentrum für Chancengleichheit "Wwerch" ("Empor") in Moskau schon seit ungefähr zehn Jahren tätig. Die Abendschule hilft Absolventen von Internaten für Kinder mit Entwicklungsstörung dabei, ihr Bildungsniveau zu erhöhen, Prüfungen zu bestehen und eine Ausbildung an einer Fachoberschule beziehungsweise ein Studium an einer Hochschule aufzunehmen. „Wir haben an die einhundert Schüler: junge Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren. Das Problem besteht darin, dass sie in solchen Internaten eine Ausbildung erhalten, die als Voraussetzung für ein Hochschulstudium nicht ausreichend ist und mit der sie keine Arbeit finden können. Unsere Lehrer – ungefähr 25 an der Zahl – beschäftigen sich mit ihnen", erzählt die Leiterin der im Rahmen des Zentrums gegründeten Werkstatt Rukiottuda („Geschickte Hände"), Darja Aleksejewa.
"Wwerch" arbeitet wie eine Wohltätigkeitsorganisation, das heißt, dass die Dienstleistungen im Bereich Bildung keinen Gewinn abwerfen dürfen. Die Mittel für die Gehälter der Lehrer stammen aus Fördertöpfen und Spendengeldern, wie das bei Wohltätigkeitsorganisationen üblich ist.
Neue Wege zur Akquise
Aber unlängst haben sich die Mitarbeiter und ehrenamtlich Tätigen der Schule einen anderen Weg ausgedacht, um Geld einzunehmen: Die Jugendlichen nahmen an der Verkaufsausstellung „Duschewnyj Basar" („Basar der Herzen") teil und verkauften dort selbst gefertigte Vogelhäuser, Magnete, Schlüsselanhänger und andere Bastelarbeiten. „Damit haben wir rund 5 000 Euro eingenommen – für uns war das im Vergleich mit unseren früheren Messeteilnahmen eine gewaltige Summe. Zur Vorbereitung auf den Basar hatten wir unsere Arbeiten vorab in den sozialen Netzwerken vorgestellt und sie online verkauft. Zum Schluss hatten wir fast nichts mehr für die Verkaufsausstellung selbst übrig und mussten in der letzten Woche Überstunden einlegen", erzählt Darja Aleksejewa.
Die Schüler hätten damals keine Entlohnung für ihre Mühen gefordert und so sei das gesamte Geld in die Unterstützung der Schule geflossen, so Aleksejewa. Daraufhin habe die Schulleitung von Empor beschlossen, den Schülern eine Beteiligung am Verkauf zukommen zu lassen. Nach der einfachen Berechnung „Verkaufspreis abzüglich Produktionskosten (anteilige Pacht, Materialkosten und so weiter) geteilt durch zwei" ging die eine Hälfte des Erlöses an die Schule und die andere an den an der Produktion beteiligten Schüler.
„Wir hätten auch Workshops für Arbeitstherapie durchführen und dafür Fördergelder beantragen können, wie das viele andere machen", sagt Aleksejewa. „Aber wir sind einen anderen Weg gegangen und haben auf
die praktische Beschäftigung der Jugendlichen und die Monetisierung dieser Arbeit gesetzt. Und dabei geht es weniger um das Portfolio der Werkstattprodukte oder die Höhe der eingenommenen Beträge, sondern um die Einbeziehung unserer Schüler in das Projekt und die Möglichkeit, sie selbst Geld verdienen und professionelle Beziehungen untereinander aufbauen zu lassen, die sie vorher noch nicht kannten", erklärt die Pädagogin.
Die meisten der Sponsoren von "Wwerch"sind Finanz- Rechts- und Consultingunternehmen, wie zum Beispiel Merrill Lynch, PWC, Linklaters, Globus, Ernst&Young, sowie russische und westliche Wohltätigkeitsstiftungen. Ihre Unterstützung besteht nicht nur in Geldzahlungen – auch wenn dieser Aspekt für die Schule die höchste Priorität hat, denn das Budget von etwa 17 000 Euro pro Monat muss regelmäßig erwirtschaftet werden. „Die Unterstützung erfolgt auch organisatorisch. Zum Beispiel werden unserer Organisation Räume kostenlos zur Verfügung gestellt – von der einzigen anglikanischen Kirche in Moskau St. Andrews."
Das Interesse an sozialen Projekten steigt
Das wachsende Interesse der Geschäftsleute und Investoren – darunter auch ausländischer – an sozialen Projekten in Russland veranlasst immer mehr Institutionen und Gesellschaften, diese Unternehmen zu fördern. So wurde zum Beispiel durch den Chef des Erdöl- und Erdgasunternehmens Lukoil, Wagit Alekperow, die Stiftung Nasche buduschtscheje („Unsere Zukunft") gegründet, die seit 2007 rund 100 solcher Projekte mit einem Gesamtvolumen von ungefähr 4,5 Millionen Euro unterstützt hat.
Vor Kurzem unterzeichneten die Stiftung, die Bank Uralsib und die gesellschaftliche Organisation Opora Rossii („Stütze Russlands") zudem eine Vereinbarung mit dem Ziel, die Unternehmen zu fördern, die neben ihrer Gewinnerwirtschaftung auch ein soziales Anliegen verfolgen. An die Umsetzung gingen sie sehr engagiert: Die ehrenamtlichen Helfer initiierten
bereits eine Änderung der Gesetzgebung und beraten die Geschäftsleute in finanziellen und juristischen Fragen. Die Bank gewährt den wohltätigen Unternehmern Kredite mit günstigen Zinssätzen, die nur knapp über der Refinanzierungsquote liegen.
„Verschiedene Einschätzungen belegen, dass die Investitionen in Projekte des sozialen Unternehmertums in letzter Zeit zugenommen haben", sagt Alekperow. „Der Grund liegt auf der Hand: In vielen Großstädten hat sich bereits eine stabile Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Dienstleistungen herausgebildet, die durchaus von solchen Betrieben erbracht werden können." Vorerst werde die Entwicklung des sozialen Unternehmertums jedoch durch die schleppenden Strukturreformen in Russland gebremst, meint der Oligarch. Optimistisch zeigt sich hingegen der Analyst der Investitionsholding Finam, Anton Soroko, der glaubt: „Aber es ist möglich, dass unser Land gerade in den nächsten Jahren einen qualitativen Schritt nach vorne gehen wird."
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