Jürgen Oberst: Foto: Pressebild
Herr Oberst, zum Forschen nach Russland – warum tut sich ein deutscher Professor das an?
Das hat mein Chef vom DLR damals auch gefragt. Die Antwort ist einfach: So etwas wie die Mega-Grants gibt es in Deutschland nicht. Sie bieten gerade jüngeren Wissenschaftlern eine einmalige Erfahrung. Man fängt praktisch bei null an und gründet eine Forschungsgruppe mit 50 Mitarbeitern und kann im Rahmen des enormen Budgets weitgehend eigene Forschungsideen realisieren. Die Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen ist hervorragend. Die Anwesenheit in Russland gibt Gelegenheit, Kontakte und Netzwerke zu knüpfen. In Deutschland gibt es zwar auch Fördermöglichkeiten für Großprojekte, aber die haben meist feste Rahmenbedingungen, es sind immer viele Parteien involviert. Und der Aufwand ist sehr groß.
Und im Falle der Mega-Grants?
Der Antrag war erstaunlich formlos gehalten. Ich habe auf etwa 20 Seiten mein Projekt beschrieben und mit meinen russischen Partnern besprochen. Die Ausschreibungen waren neu und die Erfolgsaussichten schwer abzuschätzen, deshalb war ich überrascht, dass es geklappt hat.
2012 lief die Förderung aus. Haben Sie Ihr Ziel erreicht?
Wir haben ein Labor mit modernster Rechentechnik aufgebaut, in dem auf höchstem Niveau geforscht werden kann. Zudem haben wir ein hoch qualifiziertes Team aus Doktoranden und anderen Wissenschaftlern zusammengestellt. Das Problem: Der Mega-Grant wurde nicht verlängert, und die Universität kann das Projekt aus eigenen Mitteln nicht weiterführen. Deshalb sind jetzt viele Wissenschaftler abgesprungen. Die Doktoranden, die geblieben sind, müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten.
Ist das Programm also ein Strohfeuer? Viel Geld verbrannt, aber ohne langfristigen Effekt?
Nein. Etwa zwei Drittel der Mega-Grant-Empfänger erhielten eine Verlängerung, wir leider nicht. Das Labor funktioniert weiter, wenn auch nicht in dem Umfang, in dem es möglich wäre. Zudem lernt das russische Bildungsministerium dazu: Die Mega-Grants werden heute für drei Jahre ausgegeben, dafür mit einer geringeren Summe pro Jahr.
Gab es Sprachprobleme?
Ich spreche nur wenig Russisch, die tägliche Konversation lief auf Englisch. Leider sprechen viele ältere Professoren, aber auch die jüngeren Studenten kaum Englisch. Daraus folgt, dass sie keine internationale Fachliteratur lesen können und sich damit isolieren. Eine unserer ersten Maßnahmen waren deshalb Englischkurse. Wenn es um wichtige Dinge ging, hatten wir einen Simultandolmetscher. Das lief sehr gut.
Wie steht es denn um den wissenschaftlichen Nachwuchs?
Das ist ein großes Problem. Es gibt dort eine Elite aus Professoren, die oft
noch im hohen Alter an den Lehrstühlen in verantwortlichen Positionen tätig sind. Sie verfügen über einen wertvollen Erfahrungsschatz, erschweren aber die Entwicklung der Institute. Andererseits fehlt der Nachwuchs: Die russischen Unis sind voll mit jungen Studenten, aber weil es kaum Mittel für Doktoranden gibt, gehen die Absolventen meist in die Wirtschaft. Deshalb fehlt an den Instituten praktisch der komplette „Mittelbau", den man von deutschen Unis gewohnt ist. Wir haben eine ordentliche Bezahlung der Doktoranden eingeführt – aber eben leider nur für zwei Jahre.
Würden Sie also anderen deutschen Wissenschaftlern eine Bewerbung empfehlen?
Zweifellos. Insbesondere in Bereichen wie meinem: Russland hat ein komplettes Raumfahrtprogramm, will zum Mond, zur Venus und zum Mars fliegen. Da hat man ganz andere Möglichkeiten als in Europa. Gerade bewerben wir uns übrigens mit mehreren Partnern für ein Projekt in Skolkowo. Die ersten Bewerbungsrunden haben wir überstanden. Bis Ende des Jahres wissen wir, ob es klappt.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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