Ab 8. November hörte Kiew auf, das Gas aus Russland abzuschöpfen. Foto: PhotoXPress
Die Ankündigung, staatliche Einkäufe russischen Gases zu stoppen, wenn Gazprom nicht einer Restrukturierung des ukrainischen Rückstandes für August zustimmt, hat Kiew wahr gemacht. Ab diesem Freitag hörte die Nationale Aktiengesellschaft Naftogas Ukrainy auf, das Gas des Monopolisten abzuschöpfen. Viele Experten sind jedoch der Ansicht, dass die Ukraine nicht lange ohne Gas aus Russland existieren könne.
Keine der Seiten kommentierte die Situation offiziell. Doch nach Angaben der Zeitung „Kommersant" plant Naftogas, bis Ende des Jahres kein Gas von Gazprom zu kaufen. Stattdessen will es die eigenen Untertagespeicher nutzen.
Die Verringerung des Gasimports begann bereits Anfang November. Nachdem die Ukraine das gesamte Gas für Oktober bezogen hatte (3,2 Milliarden Kubikmeter), halbierte sie die Tagesnorm der Gasabschöpfung. Am 8. November wurden die Zulieferungen komplett gestoppt.
Naftogas schuldet Gazprom 1,6 Millionen Euro
„Die Ukraine benötigt keine zusätzlichen Gasmengen. Es herrscht recht warmes Wetter und die in den Untertagespeichern vorhandene Gasmenge reicht für das Funktionieren der kommunalen Versorger aus", erzählte dem „Kommersant" eine Quelle in der Ukrtransgas, einer Tochterfirma des nationalen Energiekonzerns. Seiner Aussage zufolge habe Naftogas kein Geld, und die Firma wolle keine neuen Schulden anhäufen. Sie schuldet Gazprom bereits rund 600 Millionen Euro für die Gaslieferungen im August, inklusive der Rückstandszinsen von 110 000 Euro pro Tag. Außerdem schulde Naftogas laut den Angaben des Gazprom-Sprechers Sergej Kuprijanow noch eine Milliarde Euro für die Gaslieferungen im Oktober.
Da Kiew nicht über genügend eigene Mittel verfügt, schlug der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew Kiew bereits vor, Geld von der Europäischen Union zu leihen, und die Ukraine selbst nahm die Gespräche über einen Kredit von 11,2 Milliarden Euro mit dem IWF wieder auf. Um die Rechnung mit Gazprom zu begleichen, will Kiew die Schulden von den Wärmeversorgungsfirmen eintreiben, während für die noch übrige Summe Staatsanleihen herausgegeben werden könnten.
Die Ukraine kann den kommenden Winter autark überstehen
Viele Experten stimmen darin überein, dass die Ukraine eine Saison ohne russisches Gas aushalten könnte. Einer der Trümpfe der Ukraine für diesen Winter ist das Gas, das in den Gasspeichern der Firma Ostchem, die dem Oligarchen Dmitrij Firtasch gehört, gelagert wird. Nach inoffiziellen Angaben
kauft Firtasch das Gazprom-Gas viel günstiger als die Ukraine: Während der Preis für Naftogas 307 Euro pro Kubikmeter beträgt, bekommt Firtasch die gleiche Menge für 194 Euro. Nach Angaben der Zeitung erhielt Ostchem Anfang Oktober knapp vier Milliarden Kubikmeter.
„Die Ukraine könnte einige Zeit ohne russisches Gas auskommen, wenn es die Speicher anzapft, die von Gazprom mit dem Jahresbedarf des Landes gefüllt wurden. Doch früher oder später wird dieses Gas verbraucht sein und dann wird die Ukraine vor der Frage stehen, wo sie neues Gas herbekommen soll", erläuterte der wissenschaftliche Leiter der Higher School of Economics Jewgenij Jasin dem Radiosender „Echo Moskwy".
Nach Meinung von Walerij Nesterow von Sberbank Investment Research, ist die Situation potenziell riskant für Gazprom: Wenn Naftogas seine Reserven aufbraucht und die Nachfrage in der Ukraine und in Europa dann mit dem Kälteeinbruch signifikant steigt, könnte es zu einem Problem bei der Belieferung der europäischen Verbraucher kommen. Doch einen Gaskrieg erwartet der Experte nicht und unterstreicht, dass sowohl Europa als auch Gazprom an stabilen Gaslieferungen interessiert sind. Den Grund für die Anspannung sieht er in erster Linie in der Politik, genauer gesagt in der anstehenden Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine.
Shell und Chevron könnten die ukrainische Abhängigkeit von Gazprom beenden
Es sei erwähnt, dass der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch bereits früher bekannt gab, dass die Ukraine bis 2020 ihren Gasbedarf vollständig aus eigener Kraft decken können werde und sich so aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit befreie, die jetzt zwischen der Ukraine und Russland besteht. Der Präsident hob zum Beispiel hervor, dass die gemeinsamen Projekte mit den Konzernen Shell und Chevron der Ukraine nicht nur helfen würden, den Gas-Eigenbedarf zu decken, sondern den Energieträger auch exportieren zu können.
„Die Ukraine hat sich lange darauf vorbereitet, den Verbrauch des russischen Gases zu verringern. Noch vor ein paar Jahren wurde ein umfassendes Programm zur Senkung des Energieverbrauchs der eigenen Volkswirtschaft ausgearbeitet und man ist in diesem Bereich gut vorangekommen. Doch ohne russisches Gas kann die Ukraine heute nicht überleben", sagte der Präsident der Union der Öl- und Gasproduzenten Russlands Gennadij Schmal gegenüber dem „Echo Moskwy".
Außerdem sollte man den Vertrag zwischen Gazprom und der Ukraine, der 2009 von der damaligen Premierministerin Julia Timoschenko ausgehandelt wurde, berücksichtigen. Nach Vereinbarungen des Vertrags verpflichtet sich die Ukraine gegenüber Moskau, mindestens 41 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr zu kaufen, und muss bei einer Senkung der Bezugsmenge Vertragsstrafen zahlen. In der gegebenen Situation könnten die Forderungen 7,5 Milliarden Euro übersteigen. In diesem Fall kann Gazprom Naftogas vor einer der internationalen Instanzen des Vertragsbruchs anklagen.
Inoffizielles Treffen zwischen Putin und Janukowitsch
Der Stopp der Bezüge von Gazprom-Gas ereignete sich am Vortag des
Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu Gesprächen mit dem russischen Staatsoberhaupt Wladimir Putin in Moskau. Es war ein inoffizieller Besuch, über den nur wenige informiert waren, und das Treffen der beiden Staatsoberhäupter wurde nicht von den Medien aufgegriffen.
Nach dem Bekanntwerden stieß der Besuch in Kiew auf großes Interesse. Nachträglich hatte der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, bekannt gegeben, dass sich die Gespräche um die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern gedreht hätten. Trotzdem verlangte der Führer der Oppositionsfraktion Batkiwschina (ukrainisch: „Vaterland") im Parlament, dass die Details des „geheimen" Treffens der Präsidenten aufgeklärt werden sollten, berichtet „RIA Novosti".
Der Text ist nach Materialien der Zeitung „Kommersant" und „NEWSRU.com" zusammengestellt.
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