Quo vadis, russische Wirtschaft?

Alexej Kudrin, ehemaliger russischer Finanzminister, erklärt, warum das russische Wirtschaftsmodell zu sehr vom Ölpreis abhängt. Seiner Ansicht nach fehlt es der russischen Regierung derzeit an koordiniertem Handeln, so dass keine Kursänderungen zu erwarten sind.

Alexej Kudrin: Unser Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr. Foto: RIA Novosti

Der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin sieht die russische Wirtschaft mit ihrem öllastigen Geschäftsmodell in Schwierigkeiten. „Damit das bisherige Geschäftsmodell auch weiterhin funktioniert, benötigen wir einen jährlichen Anstieg der Weltmarktpreise für Öl um 20 bis 30 US-Dollar", erklärt er dem Reporter der Zeitung Moskowski Komsomolez. Seiner Ansicht ist es problematisch, den Haushalt aus den Petrodollars zu finanzieren, da es einige damit einhergehende Schwierigkeiten gebe. „Das Wirtschaftswachstum im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war unter anderem auch der steigenden Binnennachfrage nach Konsumgütern zu verdanken. Und wie kam diese steigende Nachfrage zustande? Teilweise durch die Ausweitung der Ölförderung. Der Hauptgrund jedoch lag nicht in der gestiegenen Förderung, sondern im höheren Ölpreis. Und als die Ölpreise stagnierten, hatte auch der Anstieg der russischen Binnennachfrage ein Ende. Dementsprechend hörte auch die Produktion auf zu wachsen. Unser Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr", so der Experte.

Diese Art von Wirtschaftswachstum habe keine erhöhte Arbeitsproduktivität zur Folge und ersticke alle Anreize zur Einführung neuer Technologien und zur Erhöhung der Produktqualität im Keim, erklärt Kudrin. „Und finden die Produkte mit ihrer Qualität und ihrem technologischen Stand von gestern Abnehmer? Durchaus. Eine Zeit lang entsteht die Illusion, dass alles bestens ist. Ein Wachstum von sieben Prozent – was will man mehr?", so der Ex-Minister. „Und dann kommt das große Erwachen. Das alte Modell generiert kein Wachstum mehr, und plötzlich wird klar: Man geht mit veralteten Produktionstechnologien und rudimentären Marktinstitutionen in eine schwierigere wirtschaftliche Phase."

Für Russland sei dieser „Moment der Wahrheit" längst gekommen. „Und jetzt haben sich bei der Regierung Berater eingefunden, deren Vorschlag lautet: Lasst uns doch einfach das gleiche, was früher dem steigenden Ölpreis zu verdanken war, mit der Druckerpresse erledigen. Eine gewisse Weile hat das dieselbe Wirkung. Jedoch geht die Hälfte der aufgeblasenen Geldmenge aufgrund der unzureichenden Ausstattung Russlands mit vollwertigen marktwirtschaftlichen Institutionen unmittelbar in den Import", führt der Experte aus. Der Import verbillige sich. Und statt russischer Produkte würden Importwaren gekauft. „Ein Viertel fällt der Inflation zum Opfer. Und lediglich das verbliebene Viertel kurbelt die Binnenproduktion an. Der Gesamteffekt ist negativ."

Nach Meinung von Kudrin ist die derzeitige Regierung nicht sonderlich reformfreudig und „die letzten eineinhalb Jahre sehen wir unter der neuen Regierung ein ständiges Verschieben der wichtigsten Entscheidungen auf später."

 

Kudrin fordert neue Technologien und Innovation

Nach Aussage des Experten ist die massive Einführung neuer Technologien für die russische Wirtschaft überlebenswichtig: 80 Prozent der Technologien, die wir brauchen, existierten bereits. Die restlichen 20 Prozent seien neue Technologien, die erst noch erfunden werden müssten. Auch der Abbau der bürokratischen Hindernisse sei von großer Bedeutung.

„Die Rüstungsausgaben erdrücken alle anderen Investitionen förmlich. Und nachdem das Gesamtvolumen der verfügbaren Mittel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ansteigen wird, müssen wir uns entscheiden, in welche Bereiche wir investieren", erklärt der ehemalige Minister.

„Und diese Entscheidung ist im Prinzip schon gefallen. Gemäß dem von der Regierung kürzlich vorgelegten Dreijahresplan werden die Ausgaben für Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur dem prozentualen Anteil am Bruttoinlandsprodukt nach gekürzt. In absoluten Zahlen werden sie freilich erhöht, aber das Wirtschaftsvolumen wächst und mit ihm die Aufgaben, denen die Wirtschaft gegenübersteht. Für die Lösung dieser Aufgaben werden prozentual gesehen weniger Gelder zur Verfügung gestellt."

Kudrin merkt an, das er derzeit nicht vorhabe, in die Regierung zurückzukehren. Er habe diese aufgrund von Differenzen bezüglich des weiteren Entwicklungskurses verlassen und seitdem sei kein Umdenken festzustellen. „Meine Rückkehr ist nur bei einer Änderung der Politik denkbar", lässt er wissen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Moskowskij Komsomoljez.

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