Der Fachkräftemangel in Russland hat seinen Höhepunkt erreicht. Das bekommen auch deutsche Unternehmen zu spüren. Foto: PhotoXPress
Über 6 000 deutsche Unternehmen sind heute in Russland tätig. Und fast alle haben ein Problem, das passende Personal zu finden. „Der russische Arbeitsmarkt ist für bestimmte Positionen einfach leergefegt", weiß Hannelore Schmidt, Geschäftsführerin des Consultinginstituts ITMO in Dresden. „Der Fachkräftemangel in Russland hat jetzt seinen Höhepunkt erreicht", bestätigt Ljudmila Chernjakowa von der russischen Personalagentur UNITY. „Das hat makroökonomische Gründe. Außerdem haben wir ein sogenanntes demografisches Loch."
Der Arbeitsmarkt in Russland wird von den deutschen Unternehmen oft falsch eingeschätzt. „Wer denkt, dass er in Russland an Löhnen und Gehältern sparen kann, liegt völlig falsch", so Hannelore Schmidt. In boomenden Regionen wie Moskau oder Samara beträgt die Arbeitslosigkeit für Fach- und Führungskräfte ein Prozent. „Die Bewerber sind hier in der Position sagen zu können: Was bietest du mir? Aber die Deutschen entgegnen: Ich bezahle für eine Buchhalterin nicht mal in Deutschland so viel." Doch genau im Rechnungswesen sind Gehälter sehr hoch. So verdient zum Beispiel ein Chefbuchhalter mit Fremdsprachenkenntnissen in Moskau um die 3 400 Euro im Monat. Richtige Kopfschmerzen haben deutsche Firmen auch bei der Suche nach guten Vertrieblern. „Jemanden zu finden, der technisches Verständnis und den Servicegedanken hat und darüber hinaus verkaufen kann, ist in Russland sehr schwierig", betont Schmidt.
Abseits der Ballungszentren wird es problematisch
Einen ernsthaften Engpass in Russland gibt es bei den Facharbeitern. Die deutsche AHK in Moskau hat zusammen mit VW und anderen Unternehmen bereits eine eigene Initiative entwickelt, um eine Berufsausbildung nach deutschem Muster nach Russland zu bringen. Im September startete VW Rus in Kaluga das erste duale Ausbildungsprogramm.
Die Bereitschaft der russischen Arbeitnehmer, wegen des Jobs den Wohnsitz zu wechseln, ist relativ gering. Man geht schon nach Moskau oder Sankt Petersburg, doch selten gehen die Großstädter in die Provinz. Denn viele Russen denken immer noch in Großfamilienstrukturen und wollen ihren Familien- und Freundeskreis nicht verlassen. „Allerdings ist es eher die Frage, wie man eine Stelle ‚verkauft'", ergänzt Ljudmila Chernjakowa. „Es gibt Menschen, die vor zehn Jahren aus den Regionen nach Moskau kamen und Karriere gemacht haben. Sie sind bereit, in die Regionen zurückzugehen. Oder junge Leute, die gerne mehr Verantwortung übernehmen wollen und dafür auch bereit sind, umzuziehen."
Nicht nur die Evaluierung des Personals stellt ein Problem dar. Die Mitarbeiter sind auch schwer zu halten. „Die wichtigste Aufgabe der Firmen
heute ist es, die Bindung der Mitarbeiter zu steigern. Die Menschen wollen ein gewisses Etwas. Es reicht ihnen nicht mehr, bei einem stabilen Unternehmen zu arbeiten. Vor allem die jungen Leute haben eine schwache Bindung zu ihrer Firma. Aber die kann man fördern, indem man ihnen attraktive Möglichkeiten bietet, zum Beispiel, internationale Erfahrungen zu sammeln. Sie wollen verstehen, wie ein westlicher Konzern funktioniert", sagt Chernjakowa, die auch für westliche Firmen Personal rekrutiert.
Kulturelle Sensibilität ist gefragt
Das Anwerben aus dem Ausland erweist sich oft als schwierig. „Es muss jemand sein, der das Gefühl für die Kultur, für das Land hat. Und natürlich sind gute Sprachkenntnisse wichtig", ist die Russland-Expertin Schmidt
überzeugt. Einige Unternehmen setzen auf Spätaussiedler. „Die Person muss von der russischen Belegschaft akzeptiert werden. Doch da gibt es auch Probleme, denn einige Russlanddeutsche verhalten sich in Russland nach dem Prinzip: Wir zeigen euch, wo der Hammer hängt. Das mögen die Russen überhaupt nicht."
Schmidt kritisiert, wie vorbelastet Russland in Deutschland durch Stereotypen sei: „Leider herrschen in deutschen Firmen oft klischeehafte Vorstellungen über Russland. ‚Hast du dir schon eine kugelsichere Weste gekauft?', werden Leute gefragt, die nach Russland gehen. Doch unsere Businesspartner sind keine Trinker oder sture Putin-Beamten. Vor allem die jüngere und mittlere Generation ist flexibel, erfolgreich und international gewandt. Sie wollen und sollen nicht mit solchen Stereotypen gleichgesetzt werden", fasst Hannelore Schmidt zusammen.
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