Die hohen Arbeitslöhne der Angestellten in der Erdölindustrie rufen sowohl Anerkennung als auch Neid hervor. Foto: Michail Mordassow
Das Moskauer Pub „Bobby Dazzler“ hat aus verschiedensten Gründen Berühmtheit erlangt. Zum einen ist es ein Treffpunkt für Fans des Fußballvereins Manchester Unitedund muss seine Gäste allein schon deshalb mit englischen Würstchen und ausgezeichnetem Ale bewirten – das entspricht auch vollkommen dem Image der Kneipe. Aber es sind auch ganz andere Besucher anzutreffen.
Einerseits findet man hier muskulöse, junge Männer, denen man ihren Beruf auf den ersten Blick nicht ansieht. Sie trinken Bier und essen Würstchen dazu und wenn sie die Rechnung bezahlt haben, zählen sie sorgfältig das Wechselgeld nach. Andererseits sitzen hier ebenfalls junge Leute, die allerdings wesentlich eleganter, mit teuren Anzügen, hellblauen Hemden und noblen Krawatten, gekleidet sind. Das Wechselgeld zählen sie prinzipiell nicht nach. Die anderen Gäste schauen misstrauisch, aber auch mit gewissem Neid, auf sie. Die Arbeiter haben sehr gemischte Gefühle für die Mitarbeiter des Unternehmens Lukoil, eines der größten Erdölkonzerne Russlands.
Die hohen Arbeitslöhne der Angestellten in dieser Branche rufen sowohl Anerkennung als auch Neid hervor. Wenn sich Eltern Gedanken über die Zukunft ihrer Kinder machen, träumen viele davon, dass ihre Sprösslinge den Führungsposten in einem Förderunternehmen übernehmen werden, um später ihnen und nahen Verwandten einen sorgenfreien Lebensabend gewährleisten zu können.
Wer allerdings nicht zu dieser Gruppe gehört, verspürt keine große Sympathie für die Erdölarbeiter. In der Gesellschaft ist die Meinung weit verbreitet, dass die Erdölunternehmen sich den Großteil der Erlöse aus dem Verkauf der Rohstoffe aneignen, die nach sowjetischen Vorstellungen Eigentum des gesamten Volkes sind. Und während das Volk sich darüber echauffiert, pumpen die Erdölarbeiter fleißig weiter das schwarze Gold aus dem Boden.
Die Geschichte des Erdöls in Russland
Die erste Erwähnung des Erdöls in der russischen Geschichte geht zurück bis in das 16. Jahrhundert. Aber damals wusste man mit dieser schwarzen, stinkenden Flüssigkeit noch nichts anzufangen: Essen konnte man diese Kohlenwasserstoffe nicht und zum Befeuern des Ofens war Holz wesentlich komfortabler.
Die tatsächliche Bedeutung des unterirdischen Reichtums erkannte die Führung des Landes erst am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die ersten größeren Lagerstätten wurden im Kaukasus entdeckt, in der Region, die heutzutage als Tschetschenien bekannt ist. Aus unterschiedlichsten Gründen kam es dort zum Krieg, der mit kürzeren Unterbrechungen de facto bis heute anhält. Die Soldaten schossen mit für heutige Begriffe
primitiven Gewehren aufeinander, die Kosaken und die Bergbewohner hieben mit Säbeln aufeinander ein, während findige Unternehmer in der Gegend von Mosdok (Tschetschenien) und Baku (Aserbaidschan) nach dem ersten Erdöl bohrten und die Wissenschaftler nach einer Verwendung für das „Kohleöl“ suchten.
Diese Verwendung kam zusammen mit den ersten Petroleumlampen. Das Erdöl, idealer Brennstoff und Rohstoff für die chemische Industrie sowie Grundlage der heutigen globalen Energiewirtschaft, wurde plötzlich von allen begehrt.
1863 eröffnete in der Gegend von Baku das erste Werk zur Produktion von Kerosin, bis 1880 führten die ersten Erdölpipelines aus der Region und Tankschiffe transportierten das schwarze Gold in weiter entfernt liegende Gebiete. Das russische Imperium und später die Sowjetunion setzten die Erdölförderung fort. Und allmählich war das, was man im Kaukasus aus dem Boden holen konnte, für das Land zu wenig, sodass die Geologen sich auf die Suche nach anderen Lagerstätten begaben – zuerst im Ural, später dann in Sibirien.
Mehr als nur ein Industriezweig
Heutzutage ist die Erdölförderung in Russland nicht einfach nur ein Wirtschaftszweig, sondern hat eine wesentlich größere Bedeutung. Das Erdöl macht wertmäßig mit knapp einem Drittel den Großteil der russischen Exporte aus, dem Umfang des geförderten Erdöls nach belegt das Land
den zweiten Platz in der Welt. Vom Preisniveau des schwarzen Golds hängen die Preise für Erdgas und Benzin ab, und das wirkt sich konsequenterweise auch auf die Kosten nahezu aller Konsumgüter aus. Bei der Berechnung des Staatshaushaltes des Landes stellt der prognostizierte Erdölpreis eines der Hauptkriterien dar. Im Jahre 2012 exportierte Russland nahezu 240 Millionen Tonnen Rohöl in einem Wert von 134 Milliarden Euro. Das Gesamtvolumen des geförderten Erdöls mit Erdgaskondensat betrug 540 Millionen Tonnen.
Bekommen denn die Bürger des Landes eigentlich von diesen Einnahmen etwas zu sehen? Eindeutig ja – es genügt, sich den sogenannten „Glücksindex“ anzusehen, der auf Grundlage von Meinungsumfragen des Unternehmens NewsEffector unter der Bevölkerung erstellt wird. Die Rangliste wird mitnichten von Moskau oder Sankt Petersburg angeführt, sondern von solchen Städten wie Surgut, Tjumen und Nischnewartowsk. In der letztgenannten Stadt klettert das Thermometer nur selten über den Wert von +20 Grad Celsius, und die durchschnittliche Temperatur im Winter beträgt -15 Grad – der Durchschnittslohn ist hier jedoch doppelt so hoch wie im restlichen Russland.
Zum Geldverdienen nach Sibirien
Die Mehrzahl der Erdöllagerstätten, über die Russland verfügt, befindet sich in schwer zugänglichen Regionen mit extremen Klimabedingungen, vor allem im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen und der Jamal-Nenzen, im Gebiet Sachalin und in der Region Krasnojarsk. Die Bohrinseln im Schelfgebiet zeichnen sich, wie man sich unschwer vorstellen kann, auch nicht gerade durch ein karibisches Klima aus. Die einzige Ausnahme bilden die Lagerstätten im Kaspischen Meer und in der Republik Tatarstan.
Der Arbeitstag eines normalen Arbeiters auf einer Erdölplattform kann nicht gerade als abwechslungsreich bezeichnet werden. Die Arbeiter werden mit dem Hubschrauber zur Förderstelle geflogen. Selbst wenn eine Straße dorthin führt, kann man diese doch bestenfalls zwei Monate im Jahr benutzen – das sibirische Klima ist erbarmungslos. Die Arbeit an den
Bohrlöchern erfolgt im Schichtbetrieb. Eine Schicht ist zwei Wochen am Stück im Einsatz. Die Stimmung dort gleich der in einem Militärobjekt. Der Tagesablauf ist streng geregelt: zwölf Stunden Dienst auf dem Turm, essen, schlafen, aufstehen, waschen und wieder zwölf Stunden an der Anlage. Auf dem gesamten Gelände muss eine spezielle Arbeitskleidung getragen werden. Die Freizeitgestaltung beschränkt sich im Wesentlichen auf das Anschauen von Filmen und dem Hören von Musik, eine Internetanbindung existiert hier nicht. Das Badezimmer ist so komfortabel wie die Duschkabine auf einem Campingplatz. Die Hubschrauber kommen einmal die Woche mit Lebensmitteln, frischen Zeitungen und Zeitschriften, sowie allen möglichen Kleinigkeiten für den täglichen Bedarf hierher geflogen. Jede Helikopterbesatzung wird von den Erdölarbeitern wie Ehrengäste empfangen.
Der wichtigste Mann auf dem Bohrturm ist der Bohrmeister. In der maßlosen Einsamkeit der Taiga ist er „Gott und König“ in einer Person. Die robusten sibirischen Männer, besonders jene, die ihren Wehrdienst in der Armee abgeleistet haben, gewöhnen sich ohne Probleme an diesen Rhythmus. Für die anderen ist es wie ein Sprung ins kalte Wasser, und sie müssen das Schwimmen schnell erlernen, um nicht unterzugehen – egal wie hoch der Lohn auch sein mag. Die Erdölarbeiter erzählen, dass ein einfacher Arbeiter der Bohr-Crew umgerechnet 15 000 bis 23 000 Euro verdienen kann, ein Schichtleiter und sonstige Vorgesetzte bekommen ein Vielfaches dessen. Für die weit von der „Zivilisation“ entfernten Städte Sibiriens, aber auch für viele Regionen im europäischen Teil des Landes ist das sehr viel Geld.
Der Weg zum Geld
Die Top-Manager der Erdölunternehmen jonglieren allerdings mit Summen in ganz anderen Größenordnungen. Gazprom, Lukoil, Rosneft, Surgutneftegas, TNK-ВР und Tatneft erzeugen jährlich einen Umsatz im elfstelligen Bereich, beschäftigen Zehn-, wenn nicht sogar Hunderttausende Mitarbeiter, fördern hunderttausend Barrel Erdöl täglich. Es verwundert deshalb nicht, dass die Chefs, aber auch die Manager der mittleren Führungsebene dieser Unternehmen mitnichten das Leben eines Normalsterblichen führen.
Der Präsident des Staatsunternehmens Rosneft, Igor Setschin, gilt inoffiziell als der wohlhabendste Bürger Russlands. Die Zeitschrift „Forbes“ bezeichnete ihn als „nach Putin zweiteinflussreichsten Menschen im Land“. April 2013 war Setschin der einzige Russe, der in der Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt in der Kategorie „Titanen“ der Zeitschrift „Time“ aufgeführt war.
Praktisch jede Erdölstadt Russlands verfügt über eine entsprechende Hochschule, die die zukünftigen Ingenieure und Büroangestellten ausbildet. Eine dieser Bildungseinrichtung sticht jedoch unter den anderen hervor: die in Moskau angesiedelte Russische Staatliche Gubkin-Universität für Erdöl und Erdgas.
Die Studenten und Dozenten verpassten ihrer Universität den Spitznamen „Petroleumkocher“, aber dieser volkstümliche Name sollte keinen falschen
Eindruck erwecken und niemanden täuschen. Heutzutage ist die Gubkin-Universität die Kaderschmiede für die zukünftigen Manager der Erdölindustrie, und die Studenten erwerben hier nicht nur das notwendige Wissen, sondern vor allem auch das wichtige Netzwerk. Nahezu die Hälfe der Studenten des „Petroleumkochers“ sind Kinder von Erdölarbeitern aus den Fördergebieten, die in die Hauptstadt kommen, um die entsprechende Fachausbildung zu erhalten, hilfreiche Kontakte zu knüpfen, um dann nach dem Studium mit der Aussicht nach Hause zurückzukehren, irgendwann später einmal am Steuer des Erdölkonzerns zu stehen.
Da es sich bei der Bildungseinrichtung um eine staatliche Universität handelt, erhalten jedes Jahr ungefähr 1 000 Abiturienten einen der Studienplätze, die staatlich finanziert sind. Die Ausbildung ist für diese zwar kostenlos, aber es ist verständlicherweise nicht ganz so einfach, in die Schar der Glücklichen aufgenommen zu werden. In den begehrtesten Fachrichtungen entfallen in etwa 30 bis 40 Bewerber auf einen Studienplatz, aber tatsächlich ist die Konkurrenz viel größer, denn einige Plätze werden an talentierte junge Sportler in den Regionen vergeben und weitere Plätze sind für die Kinder einflussreicher Eltern reserviert.
Aber es existiert ja auch noch die Möglichkeit, das Studium selbst zu finanzieren oder von den Eltern finanzieren zu lassen. Die Semestergebühren betragen im günstigsten Fall 1 500 Euro bei einer Gesamtstudiendauer von fünf Jahren. Eigentlich kein sehr hoher Preis, um es in die Rohstoff-Elite des Landes zu schaffen. Die Chancen, das investierte Geld später durch ein entsprechend hohes Gehalt herauszuwirtschaften, stehen ziemlich gut: Im Durchschnitt verdienen die Angestellten der Erdölindustrie doppelt so viel wie ihre Landsleute in den anderen Branchen.
Eine Investition, die sich auszahlt
Wenn man sich die Jahresberichte der staatlichen Erdölunternehmen anschaut, wird man feststellen, dass der durchschnittliche Monatslohn zwischen 2 300 und 3 000 Euro liegt. Das ist selbstverständlich nur ein Durchschnittswert, der sowohl die Millionengehälter der Top-Manager berücksichtigt als auch die recht bescheidenen Arbeitslöhne der Reinigungskräfte in den Kantinen der Förderanlagen.
Nach Angaben der Headhunter waren die Erdöl- und Erdgasfirmen in den vergangenen Jahren bereit, Betriebs- und Leitungspersonal für einen Durchschnittslohn von umgerechnet 1 800 bis 2 200 Euro einzustellen. Ein Abteilungsleiter konnte mit 5 100 Euro rechnen, ein Direktor für Bohrarbeiten ohne Scham 15 000 Euro fordern.
Es versteht sich von selbst, dass das Sahnehäubchen dieser Torte die Chefs bekommen. Die Gehälter und Boni der Top-Manager der großen Erdölunternehmen sind ein Geheimnis mit sieben Siegeln, aber ein paar Informationen zu diesem Thema gelangen doch ab und zu in die Presse.
So erhielt einer der freien ТНК-ВР-Direktoren im Jahre 2010 ungefähr 74 000 Euro, das Grundgehalt des Gazprom-Chefs beträgt nach unterschiedlichen Quellen ungefähr 440 000 bis 520 000 Euro pro Jahr. Aber das große Geld wird mit den Dividenden aus den Aktien der Erdölunternehmen verdient: In vielen Unternehmen der Branche bilden die Top-Manager gleichzeitig auch den Grundstock der Aktionäre. Und für die Zahlung der Dividende geben die großen Erdölunternehmen jährlich über eine Milliarde Euro aus.
In der Presse taucht regelmäßig das Gerücht auf, dass das Erdöl buchstäblich morgen schon zur Neige gehen werde, und der Durchschnittsrusse stellt sich ängstlich die Frage: „Wie soll es denn dann weitergehen?“ Aber dieser Fall wird in den nächsten Jahrzehnten wohl kaum eintreten, und deshalb stellt ein Platz am Erdölzapfhahn auch zukünftig den Traum vieler Russen dar.
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