Vertreter der EU-Kommission wollen die Vereinbarungen zur South-Stream-Pipeline mit Gazprom und den beteiligten Mitgliedsländern nachverhandeln. Foto: Pressebild
Die EU-Kommission hat erstmals dem russischen Projekt „South Stream" offen den Kampf angesagt: Sie beschuldigt den russischen Gaskonzern Gazprom, mit diesem Projekt gegen geltendes EU-Recht zu verstoßen. Dem Gaskonzern könnte nun untersagt werden, die Gaspipeline zu nutzen. Experten meinen, dass die Forderungen vonseiten der EU ein Nachklang zum Konflikt mit der Ukraine seien, welcher den Assoziierungsvertrag zwischen der EU und der Ukraine auf Eis legte.
EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der bisweilen dem zwischen Russland und Europa entstehenden Zukunftsprojekt „South Stream" Unterstützung garantierte und Zugeständnisse machte, startete nun einen
Der South Stream ist eine Erdgas-Pipeline, die auf dem Grund des Schwarzen Meeres verläuft und über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Slowenien nach Italien führen soll.
Die Kosten dafür werden auf etwa 16,5 Milliarden Euro geschätzt, von denen für jene Teile, die auf dem Meeresgrund verlaufen werden, etwa zehn Milliarden vorgesehen sind.
Die Inbetriebnahme der Pipeline, deren Durchlaufkapazität zunächst 15,75 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen wird, ist für 2015 geplant. Die Sollleistung mit etwa 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas soll erst 2018 erreicht werden.
offenen Konflikt mit dem ambitionierten Pipeline-Projekt. Laut Angaben von Marlene Holzner, Sprecherin des EU-Energiekommissars, seien die bilateralen Abkommen zwischen Russland und jenen Ländern, durch die die Pipeline und ihre Nebenstränge verlaufen sollen, wie Bulgarien, Serbien, Ungarn, Slowenien, Österreich, Kroatien und Griechenland, nicht konform mit dem EU-Recht und bedürfen deswegen Nachverhandlungen. In diesem Zusammenhang sandte die EU-Kommission vor wenigen Tagen einen Brief mit der Bitte um Nachverhandlungen der Abkommen an das russische Energieministerium. Dort wurde nun bestätigt, dass man den Brief erhalten habe.
Als Stein des Anstoßes dienen der EU-Kommission drei in den Verträgen enthaltene Bedingungen, die dem Dritten Energiepaket der EU widersprechen. Erstens sei laut den Abkommen der Gaskonzern Gazprom der Hauptbesitzer der Pipeline und des transportierten Gases, was einer Aufteilung der Zuständigkeiten unter den Eigentümern der Pipeline widerspricht. In zweiter Linie sei der Zugang für andere Gaskonzerne zum Pipelinenetz durch eine Reihe von Abkommen nicht gewährleistet. Und drittens liege die Preisgestaltung derzeit in den Händen von Gazprom, wobei laut dem Dritten Energiepaket jede Pipeline einen unabhängigen Netzbetreiber haben muss, der die Tarife auf Basis der Wirtschaftlichkeit vorschlagen und vom Regulator bestätigen lassen muss. Laut EU-Recht dürfe nicht nur ein Unternehmen die Pipeline besitzen, das Gas importieren und die Tarife bestimmen.
Die Rolle der Banken und der EU-Kommissare
„Das Projekt ‚South Stream' hängt zudem von Banken ab, die sehr aufmerksam den Aspekt der Rechtssicherheit betrachten. Die Finanzinstitute können so unter Umständen eine Finanzierung ablehnen oder zusätzliche Garantien verlangen", erklärt Marlene Holzner weiter. Gazprom müsse außerdem noch zusätzliche Investitionen in Höhe von 3,7 Milliarden Euro für jenen Teil der Pipeline beschaffen, der über Land verläuft. Zum Vergleich: Gazprom investierte allein in die Modernisierung des russischen South-Stream-Pipelinesystems mit 18 Milliarden Euro bereits das Fünffache dieses Betrags.
Bei Gazprom äußert man indes Zweifel darüber, dass sich die kritische Haltung der EU-Kommission auf die Beschaffung der Finanzmittel
auswirken werde. Den Quellen in der Firma zufolge seien die bilateralen Abkommen gerade deswegen getroffen worden, um sich im Falle eines Disputs mit der EU-Kommission, die sich in der South-Stream-Frage uneinheitlich präsentiert, auf diese stützen zu können. So hat Gazprom am Mittwoch vergangener Woche auch seine Verhandlungen mit Joaquín Almunia, EU-Kommissar im Ressort Wettbewerb, viel ruhiger geführt: Aleksandr Medwedew, Vizechef von Gazprom, habe sogar versprochen, demnächst Vorschläge einzubringen, die dazu führen sollen, dass die Ermittlungen wegen einer möglichen Monopolstellung des russischen Gasriesen eingestellt werden.
Verschiedene Rechtsauffassungen und erste Lösungsansätze
Was die Haltung Russlands hinsichtlich des South Stream anbelangt, so hat am Mittwoch letzter Woche Anatolij Janowskij, Vizeminister für Energie, der ebenfalls an den Verhandlungen teilgenommen hatte, diese näher erläutert: Seinen Angaben nach sei man in Moskau mit den Forderungen, die Brüssel stellt, nicht einverstanden. Zudem glaube man in Moskau, dass die bilateralen Abkommen eine höhere Priorität als die europäischen Gesetze hätten. „Die europäischen Gesetze sind keine nationalen Gesetze. Doch das höchste Prinzip hier lautet: der Vertrag muss eingehalten werden", erklärt Dmitrij Krupyschew von Legal Capital Partners, eine russische Rechtsberatungsfirma, und meint des Weiteren: „Jene Abkommen, die getroffen wurden, haben damals zur Gänze dem europäischen Recht entsprochen. Und jetzt, nachdem das Dritte Energiepaket in Kraft getreten ist (im März 2011 – Anm. d. Red.), versucht man, sie zu überarbeiten."
Laut Michail Kortschemkin, Chef von East European Gas Analysis, könnte Gazprom mit Leichtigkeit die Bedingungen, die Brüssel stellt, erfüllen – und zwar, indem die Hälfte des Gases bereits in der bulgarischen Hafenstadt Varna, das heißt an der Schnittstelle zum europäischen Teil des South Stream, verkauft werden würde. Auf diese Weise würde das gelieferte Gas seinen Besitzer wechseln und die von Brüssel gestellten Bedingungen wären somit erfüllt.
Das eigentliche Ziel des Projekts „South Stream" bestand für Gazprom darin, unabhängig vom Gastransit durch die Ukraine zu werden. Doch die
aktuelle Verschärfung der Gasbeziehungen zwischen Russland und der EU könnte – zumindest teilweise – mit der Ukraine selbst zusammenhängen. Denn die EU-Kommission kritisierte vor Kurzem, dass sich Kiew gegen die Assoziierungsvereinbarung mit der EU und für ein Bündnis mit Moskau ausgesprochen hatte. Dabei soll Russland die Ukraine in ihrer Entscheidungsfindung aktiv mit der Drohung unter Druck gesetzt haben, Gaslieferungen auszusetzen. Walerij Borowik, Vorstandschef der Allianz „Neue Energie der Ukraine", ist der Meinung, dass die EU-Kommission jetzt versuche, die These zu bestreiten, dass das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nur Probleme einbringen würde und deswegen dazu jetzt das für Kiew wichtigste Thema verwende: den Bau der die Ukraine umgehenden South-Stream-Pipeline.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant.
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