Ideal oder Utopie? Das YotaPhone im Test

Foto: Russland HEUTE

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Jekaterina Turyschewa, Redakteurin von Russland HEUTE, verbrachte eine Woche mit der Vorverkaufsversion des Geräts und bewertete alle Vor- und Nachteile des ersten Smartphones, das in Russland entwickelt wurde und mit zwei Bildschirmen große Erwartungen schürt.

Kaum wurde die erste Präsentation zum Verkaufsstart des YotaPhone gehalten, hatte Yota Devices schon über 10 000 Geräte über das Internet verkauft. Es musste die Onlinebestellungen in europäischen Ländern wegen Mangel an Geräten sogar vorübergehend stoppen. In der Woche

Yota Devices plant eine Amortisationszeit der Entwicklungskosten von zwei bis drei Jahren. Derzeit rechnet man mit etwa 500 000 verkauften Geräten, wovon die Hälfte voraussichtlich in Russland über den Ladentisch gehen wird.

vor Neujahr ist das erste russische Smartphone nun auch in den russischen Läden erhältlich. Aber sollte man sich in die Schlange stellen, um das neue Smartphone zu kaufen? Eine Woche mit dem YotaPhone in der Tasche hat gezeigt: Bis zu einer idealen Umsetzung hat es die russische Idee noch weit.

 

Anrufe und SMS

Bildschirmauflösung, Prozessorleistung, Speichergröße und Batterieleistung – in allen diesen Parametern steht das YotaPhone seinen Konkurrenten in der gleichen Preisklasse (400 bis 500 Euro) grundsätzlich in nichts nach. Doch beim Studieren von Vergleichstabellen vergisst man leicht, dass die erste und wichtigste Funktion eines jeden Smartphones nach wie vor die Anrufe und Textnachrichten sind. In diesem Gesichtspunkt zeigte sich das YotaPhone von seiner positiven Seite: Der Netzwerkempfang ist stabil und der Ton aus dem Lautsprecher sauber und laut – so laut, dass man die Lautstärke manchmal sogar drosseln muss. Nach Aussage von der anderen Seite der Leitung hört man den YotaPhone-Nutzer auch gut.

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Alle entgangenen Anrufe und SMS können auf dem zweiten, dem e-Ink-Display angezeigt werden. Dabei stellt das YotaPhone bestimmte Schlüsselwörter in den Nachrichten mit speziellen Icons über den Text bildlich dar, zum Beispiel durch einen Kater, ein Herz oder eine Torte. Ein interessantes Feature, aber auch nicht mehr als das – die meisten Nutzer werden kaum wollen, dass der Inhalt persönlicher Nachrichten für alle sichtbar ist. Daher lässt man das Telefon auch nur mit Unbehagen auf dem Tisch liegen. Diejenigen hingegen, die es gewohnt sind, das Handy in der Tasche zu tragen, werden die großen Abmessungen des YotaPhones wenig komfortabel finden: 134:67:10 Millimeter.

 

Fotos

Eine der ersten Fragen, die sich stellen, nachdem man das frisch ausgepackte Gerät in die Hand genommen hat, ist, warum man die Kamera ausgerechnet im unteren Teil des Handys anbringen musste. Sich darauf einzustellen ist nicht ganz einfach, und Fotos von der eigenen Handfläche sind in der ersten Zeit schlicht unumgänglich.

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Dieser Nachteil ist auf den erwähnten zweiten Bildschirm zurückzuführen: Die Entwickler erklären, dass die Wölbung des oberen Teils der Rückseite den Nutzer des YotaPhones dazu verleite, das Handy automatisch mit dem aktiven Display nach oben zu legen. Daher falle der obere Teil des Gehäuses wesentlich dünner aus und somit konnte dort keine Kamera eingebaut werden. Außerdem hätte man bei einer Kamera im oberen Gehäuseteil auch die Sensorzonen der beiden Displays dort einbauen müssen. Man kann sagen, dass Yota Devices in dieser Situation also das kleinere Übel gewählt hat.

 

Unterhaltung und Spiele

Auch die grafisch anspruchsvollsten Anwendungen des YotaPhones werden schnell ausgeführt, zumindest habe ich keine großen Aufhänger festgestellt. Spiele lassen sich auf dem großen 4,3-Zoll-LCD-Display bequem spielen: Der Bildschirm reagiert sensibel auf alle Bewegungen. Das kann man allerdings nicht von den Sensorzonen auf den beiden Seiten des

Geräts, die Knöpfe ersetzen sollen, sagen. Sich an diese recht eigenwillige Steuerung zu gewöhnen, ist nicht leicht, und anfangs muss man die Handbewegungen mehrfach wiederholen.

Doch den größten Unterhaltungswert bietet das YotaPhone damit, die Kollegen erraten zu lassen, wo die Sim-Karte eingesteckt wird. Die Entscheidung, den Einsteckschlitz unter den Einschaltknopf zu platzieren, ist wohl nicht perfekt gewesen: Die Konstruktion ist relativ fragil geworden und wenn man nicht sehr aufpasst, läuft man Gefahr, das ganze Gerät zu zerstören, denn ohne den Einschaltknopf kann man das Hauptdisplay nicht anmachen und ohne dieses wiederum ist das zusätzliche e-Ink-Display völlig unnütz.

Übrigens gibt es keine weiteren beweglichen Elemente am Gerät: Man kann weder den Akku entfernen noch eine microSD-Karte einstecken. Was allerdings das Letztere betrifft, so reichen die eingebauten 32 Gigabyte, wenn man nicht gerade alle Episoden seiner Lieblingsserie oder sämtliche Platten aller Lieblingssänger auf dem Handy speichern will, auch für Spielsüchtige vollkommen aus.

 

Lesen

Theoretisch kann man auf dem e-Ink-Display jegliche Information speichern, die man will, indem man einfach mit zwei Fingern von oben nach unten über das Display fährt. Das Problem liegt darin, dass man dann mit dieser Information nichts anfangen kann.

Unter diesem Gesichtspunkt funktioniert das Akkusparen in der Praxis nicht: Man muss das Hauptdisplay ständig angeschaltet lassen. Der Akku ist übrigens mit 1 800 Milliamperestunden recht groß, aber Wunder sollte man hier nicht erwarten. Auch bei einer wenig aktiven Benutzung erinnert das Gerät einen abends daran, es aufzuladen.

Die anderen Vorteile des zweiten Displays mit der e-Ink-Technologie haben sich in der Realität ebenfalls als recht zweifelhaft herausgestellt. Nachrichtentitel und Tweets lassen sich auf ihm wirklich gut lesen, aber jede weitere Aktion erfordert die Nutzung des Hauptdisplays. Um beispielsweise einen Facebook-Status zu liken oder einen Kommentar zu hinterlassen, wird man den Hauptbildschirm anmachen, die App öffnen und noch einmal die nötige Seite suchen müssen.


Das E-Ink-Display. Foto: Russland HEUTE

Wie komfortabel das Lesen von E-Books ist, ist ebenfalls strittig. 4,3 Zoll sind auch im Vergleich zu Billigreadern wenig. Als PDF oder im A4-Format erstellte Dokumente sind auf diesem Bildschirm überhaupt nicht lesbar: Die Anwendung „Bookmate" erkennt diese Formate erst gar nicht, und andere Apps zum Lesen für Android können noch nicht mit einem solchen Display interagieren. Wer entsprechende Erwartungen an den Nutzungskomfort stellt, für den ist das zweite Display überflüssig. Das Maximum, was man dem e-Ink-Display ständig abverlangen kann, ist, die Zeit, das Wetter, und den Akkustand anzuzeigen.

 

Das Ideal liegt noch in der Zukunft

Insgesamt ist das Produkt von Yota Devices noch weit vom Idealzustand entfernt und wird bei Weitem nicht alle zufriedenstellen: Manchen passen

die Ausmaße nicht, andere empfinden die Leistung als zu schwach, weitere brauchen das zweite Display nicht und wieder anderen wird die Akkuleistung nicht reichen. Und für knapp 500 Euro gibt es bessere Alternativen.

Man sollte jedoch anmerken, dass die Probleme mit dem größten Trumpf des Geräts, dem e-Ink-Display, hauptsächlich mit der nicht vollständig durchdachten Programmunterstützung zusammenhängen. Wenn mehr Programme entwickelt würden, die sein Potenzial in vollem Umfang entfalten können, würde das YotaPhone vermutlich zu einem interessanten und nützlichen Gerät werden.

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