Beim Weltwirtschaftsforum kann eine russische Charmeoffensive erwartet werden. Foto: Reuters
Die Weltwirtschaft befindet sich derzeit in einer Übergangsphase. Die Krise von 2008 bis 2010 ist überwunden, aber es herrscht noch keine Sicherheit, ob man wieder zu schnellem Wachstum zurückkehren kann. Die weltweit führenden Staaten sitzen zwischen den Stühlen – einerseits möchten sie die Weltwirtschaft auch weiterhin liberal gestalten, andererseits würden sie gerne Haushaltsmittel zur Stimulierung der Wirtschaft in ihren Ländern verwenden, und das oft zulasten der Nachbarstaaten. Das ist das Hauptproblem, um das es in den informellen Gesprächen 2014 in Davos geht. Daran teilnehmen werden mehr als 2 500 Personen, davon 40 Staats- und Regierungschefs.
Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nehmen zu
Bis zur Krise 2008 war alles denkbar einfach: Eine liberale Wirtschaftspolitik war gut für den mächtigsten Staat der Erde, die USA. Deshalb revanchierte sich Washington für den Verzicht anderer Staaten auf Protektionismus seinerseits mit der Öffnung des eigenen Marktes für Waren und Dienstleistungen der Partnerländer. Die USA förderten den Zufluss von Investitionen in diese Länder und halfen ihnen dabei, die nationalen Währungen zu stabilisieren. Heute aber funktioniert dieses Modell nicht mehr.
Viele Fachleute stellen den wirtschaftlichen Führungsanspruch der früheren Spitzenreiter USA, EU und Japan in Frage. Und diese verlassen sich ihrerseits nicht auf ein exportgestütztes Wachstum und den heimischen Binnenmarkt, sondern versuchen, die einheimischen Unternehmen im Lande zu bevorzugen, unverhältnismäßig großzügige Sozialprogramme aufzulegen und die Geldpolitik durch niedrige Zinssätze und Interventionen im Devisenmarkt zu entschärfen.
Viele amerikanische, französische und britische Konzerne entscheiden sich für die Schließung ihrer Produktionsstätten in Entwicklungsländern, um die Produktion zurück in die Heimat zu verlagern. Die De-Industrialisierung der Entwicklungsländer nimmt diesen die Chance auf direkte Investitionen und neuste Technologien und stellt eine große Gefahr für die globale wirtschaftliche Stabilität dar. Wir treten ein in eine Phase der verstärkten staatlichen Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft – nur wenige sind über diese Tendenz erfreut.
Die weltweit führenden Ökonomen überlegen derzeit fieberhaft, was sie statt des „trilateralen Modells" USA-Europa-Japan noch anbieten könnten. Wie lassen sich die BRICS-Staaten und vor allem China in das bisherige Modell einbeziehen? Und welchen Platz nimmt Russland in der neuen Weltwirtschaftsordnung ein?
Russlands eingeschlagener Weg zielt auf eine Beschleunigung der Integration im postsowjetischen Raum, die Stärkung der eigenen Stellung innerhalb des globalen politisch-ökonomischen Systems und die gleichberechtigte Teilnahme an der Diskussion aktueller globaler Probleme ab.
Werbung für Sotschi im Fokus
Die anderen Staatschefs würden von Russland gerne ein Bekenntnis zur liberalen Marktwirtschaft, Einhaltung der WTO-Normen und Reduzierung des staatlichen Sektors der russischen Wirtschaft hören. Entsprechende Erklärungen hat der erste Vize-Premier Igor Schuwalow in einem Interview mit der russischen Wochenzeitschrift „The New Times" bereits kurz vor dem Weltwirtschaftsforum abgegeben.
Aber der Rest der Welt weiß nur zu gut, dass Entscheidungen in Russland im Kreml getroffen werden, sodass man noch auf vergleichbare Erklärungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin wartet. Die Zusammensetzung der russischen Delegation in Davos 2014 – bestehend aus Vize-Premier Arkadi Dworkowitsch und dem Minister für wirtschaftliche Entwicklung Alexej Uljukajew – zeigt, dass diese Diskussion für Russland keine Priorität besitzt.
Was bleibt, ist die Aufgabe, dem Land ein besseres Image zu geben. Hierfür ist die Delegation bestens geeignet. Vize-Premier Dworkowitsch und
Minister Uljukajew sind als liberale und scharfe Kritiker der Unzulänglichkeiten des russischen Wirtschaftssystems bekannt. Und ich denke, sie werden dieser Lieblingsbeschäftigung auch in Davos weiter nachgehen. Und „so ganz nebenbei" werden sie noch die Werbetrommel für die Olympischen Spiele rühren, die in zwei Wochen in Sotschi eröffnet werden.
Für Russland sind die Spiele der Höhepunkt des Jahres, und zwar sowohl für das gesellschaftliche Leben des Landes als auch für seine internationale Politik. Deshalb bin ich überzeugt, dass alle Gespräche, an denen die russischen Vertreter teilnehmen, Sotschi und die Fähigkeit Russlands betreffen werden, würdige Olympische Spiele auszurichten.
Stanislaw Tkatschenko ist Doktor der Wirtschaftswissenschaften und Dozent der Fakultät für internationale Beziehungen der Staatlichen Universität Sankt Petersburg.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Russia Direct.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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