Generaldirektor von Russia Consulting Ulf Schneider. Foto: DPA/Vostock Photo
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Generaldirektor von Russia Consulting Ulf Schneider. Foto: Pressebild |
Wie haben sich die bisher durchgeführten Sanktionen der USA und der Europäischen Union auf die russisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen ausgewirkt?
Ulf Schneider: Auf die Geschäfte der Unternehmen aus Deutschland und den meisten anderen Ländern der Europäischen Union haben die Sanktionen sich bislang überhaupt nicht ausgewirkt. Bisher ist das nur ein rein formaler Akt, so ist zumindest der allgemeine Eindruck. Von Bedeutung ist auch, dass ich bisher noch keinen einzigen Geschäftsmann getroffen habe, der gesagt hätte: „Ich bin für Sanktionen!" Alle sprechen sich gegen Sanktionen aus, und nicht nur, weil sie negative Auswirkungen auf die eigenen Geschäfte haben, sondern auch, weil sie keinerlei Sinn haben. Verschiedenste westliche Verbände, darunter zum Beispiel die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, in der ich Vorstandsmitglied bin, hatten schon unmittelbar nach dem Beginn des Konflikts beschlossen, dass sie gegen Sanktionen sind.
Werden die Sanktionen denn irgendwelche langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen haben?
Unmittelbare Folgen werden diese Sanktionen wahrscheinlich nicht haben, aber indirekte Auswirkungen wird es wohl geben und diese sind bereits jetzt zu spüren. Zum Beispiel ist es gegenwärtig schon deutlich schwieriger, Lieferungen aus Deutschland nach Russland zu finanzieren. Das Klima für russische Unternehmen, die in Deutschland investieren, hat sich merklich verschlechtert – und das steigert die Kosten. Deutsche Banken sind derzeit gezwungen, das erhöhte Risiko bei den Kreditkosten zu berücksichtigen. Aber andererseits verstehen alle Geschäftsleute, dass gerade während der Krise der Dialog zwischen den russischen und deutschen Geschäftsleuten noch wichtiger ist, und ich bemerke, dass das gegenseitige Interesse auf der Geschäftsebene gestiegen ist.
Die wirtschaftliche Situation in Russland ist gegenwärtig äußerst angespannt. Was erwartet die deutsche Geschäftswelt vom russischen Markt selbst?
Das Wirtschaftswachstum betrug im vergangenen Jahr nur etwas mehr als ein Prozent. Für ein Land wie Russland ist das eine Stagnation und kein Wachstum. Es bedarf besonderer Anstrengungen zur Modernisierung der Wirtschaft. Diese Aufgabe wurde zwar früher schon thematisiert, aber im Großen und Ganzen hat die Diskussion sich seitdem keinen Schritt von der Stelle bewegt. Dabei ist das Thema nach dem Beitritt zur WTO für Russland noch viel aktueller geworden, da das wirtschaftliche Überleben mit den alten Produktionsanlagen noch schwerer geworden ist. Russland selbst wird es sehr schwer fallen, einen Modernisierungskurs einzuschlagen – weshalb wir doch zum Thema einer Modernisierungspartnerschaft zwischen Russland und Deutschland zurückkehren sollten. Eine solche Diskussion gab es bereits einmal, sie kam aber auch kaum von der Stelle, jetzt könnte es allerdings ein günstiger Augenblick sein, um sie wieder zu entfachen. Russland und Deutschland sind zwei sehr unterschiedliche Länder, die sich aber vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet äußerst gut ergänzen können. Was in Deutschland fehlt, gibt es in Russland. Was in Russland fehlt, ist in Deutschland zu finden. Wir sind die idealen Partner, um gemeinsam unsere Volkswirtschaften zu entwickeln. Nur müssen wir an die Sache etwas anders herangehen als noch vor fünf, sechs Jahren.
Was sollte anders gemacht werden?
Erstens darf die Partnerschaft sich nicht nur in einer, sondern muss sich in beide Richtungen entwickeln. Deutschland sollte größere Anstrengungen
unternehmen, um die russischen Handlungen besser zu verstehen. Denn die russische Geschäftswelt hat durchaus auch umfangreiche Erfahrungen, die nicht ignoriert werden sollten. Als Beispiel könnte man die Visaregelung nennen. Ich persönlich trete beispielsweise für die Abschaffung der Visaregelung zwischen den Ländern des Schengener Raums und Russland ein. Und die Erörterung dieses Themas könnte im Übrigen auch ein gutes Mittel sein, um die derzeitige Krise zu überwinden. Zweitens ist es wichtig, nicht nur von dem einfachen Verkauf von Gütern aus Deutschland oder anderen Ländern nach Russland zu reden – als ob wir nur Hightech-Produkte nach Russland liefern und dort noch mehr Erdöl und Erdgas dafür kaufen sollten. Die Qualität und die Breite des Handels zwischen unseren beiden Ländern muss verbessert werden.
Sie arbeiten seit zwölf Jahren in Russland, das ist praktisch eine ganze Epoche. Wie stark hat sich Russland Ihrer Meinung nach in diesem Zeitraum verändert?
Sehr stark, aber im Westen versteht man leider nicht, wie sehr die Situation in Russland sich geändert hat. Als ich hierher kam, war das größte Problem die Korruption. Inzwischen hat die Situation sich hinsichtlich der Korruption und der Bürokratie erheblich in positiver Hinsicht verändert. Sehr gut zu erkennen ist das am Beispiel der Arbeit von den Zollbehörden. Natürlich gibt es auch gegenwärtig noch Probleme, aber ich würde nicht sagen, dass sie so groß sind wie noch vor zehn bis fünfzehn Jahren. Die aktuellen Schwierigkeiten sind von vollkommen anderer Natur. Zum Beispiel ist es inzwischen sehr schwer, gute neue Mitarbeiter zu finden. Insofern ähneln die russischen Probleme immer mehr den Problemen im Westen.
Und wie haben sich die Investitionen der russischen Unternehmen nach Europa und nach Deutschland in den letzten Jahren verändert?
Die Struktur der russischen Investitionen nach Deutschland sah einige Jahre folgendermaßen aus: Es gab sehr große Unternehmen, wie zum Beispiel Gazprom und Lukoil, und daneben recht kleine Projekte, wie das eines russischen Restaurants in Frankfurt. Und dazwischen gab es nichts. Aber in der letzten Zeit sind immer mehr mittelgroße Projekte entstanden,
auch wenn es nicht so viele sind, wie man sich wünschen würde. Ein interessantes Beispiel ist das Kirow-Werk. Deren Geschäftsmodell besteht darin, vor der Insolvenz stehende kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland mit interessanten Technologien aufzukaufen. Dieser Ansatz ist durchaus reizvoll für beide Länder. Er bietet den russischen Unternehmen einen großen Vorteil, weil sie dadurch Zugang zu lukrativen Technologien erlangen, die sie in Russland anwenden können. Andererseits haben auch die deutschen Unternehmen einen Vorteil, weil sie dadurch gerettet werden und zudem noch einen neuen Markt in Russland gewinnen. Das Kirow-Werk zum Beispiel hat vor ungefähr einem Jahr in Deutschland einen Betrieb gekauft, der Busse produziert. Nun hoffen wir, dass diese Busse auch bald auf den Straßen Moskaus, Sankt Petersburgs, Nischni Nowgorods und Jekaterinburg fahren werden. Insgesamt haben in Russland etwa 6 000 deutsche Unternehmen investiert, während lediglich 1 500 russische Unternehmen in Deutschland investiert haben. Das ist nur ein Viertel, aber das Ungleichgewicht wird geringer.
Dieser Beitrag erschienzuerst bei der Zeitschrift "Expert".
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