Russische Stahlkonzerne zieht es nach Asien

Quelle: Pressebild

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Russische Stahlkonzerne planen den Rückzug aus Europa und den USA. Damit fliehen sie vor neuen Sanktionen des Westens und sinkenden Preisen. In den westlichen Ländern sind Tausende Arbeitsplätze bedroht.

Im April 2014 hat die Metschel Holding, eines der größten russischen Bergbau- und Metallunternehmen, die Tätigkeit ihres Tochterunternehmens Metschel Bluestone im US-Bundesstaat West Virginia eingestellt. Auf ihrer offiziellen Webseite erklärte die Firma, diese Entscheidung sei vor dem Hintergrund sinkender Preise auf dem Kohlemarkt getroffen worden. Dadurch sei das Werk Bluestone zurzeit nicht profitabel. „Der Direktorenrat hat entschieden, sich auf die Aktiva zu konzentrieren, bei denen wir die größten Wettbewerbsvorteile haben, und diejenigen Unternehmen, die nicht zu unserem Kerngeschäft gehören, zu verkaufen“, erklärte ein Konzernvertreter gegenüber RBTH.

 

Kein Zusammenhang mit den Sanktionen?

Die Entscheidung habe nichts mit der aktuellen politischen Lage zu tun, behauptete der Vertreter. Man habe auch Werke in Rumänien, Großbritannien, Bulgarien und Kasachstan verkauft. Im Augenblick seien die Kokskohle-Lagerstätten in Elga in Südjakutien das wichtigste Investitionsprojekt. Von dort aus soll zukünftig der asiatische Markt bedient werden.

Andere russische Großunternehmen stehen dazu, dass eine Ausweitung der Sanktionen wohl Auswirkungen auf das Geschäft mit Europa und den USA haben wird. So beispielsweise der Stahlgigant Novolipetsk Steel, der sich im Besitz des russischen Milliardärs Wladimir Lisinu befindet. Lisinu liegt mit einem Vermögen von 16,6 Milliarden Dollar (etwa 11,9 Milliarden

Euro) auf Platz vier der russischen Forbes-Liste. Bereits im März hat sich Novolipetsk Steel mit einem Brief an die Europäische Kommission gewandt. Darin warnte das Unternehmen vor verheerenden Folgen für die Stahlindustrie in Europa, wenn die Europäische Union neue Sanktionen gegen Russland einleiten sollte. In diesem Fall, so drohte das Unternehmen, würde es mit einem Lieferstopp an europäische Unternehmen und sogar mit der Schließung aller Werke in Europa reagieren. Davon wären vor allem Unternehmen aus den Bereichen Bautechnik und Energietechnik sowie der Automobilindustrie betroffen. Wie Sergej Babitschenko, ein Vertreter von Novolipetsk Steel, gegenüber RBTH erklärte, produziert die Firma zum Beispiel das Walzgut, aus dem Windkraftwerke oder Schiffe in Nordeuropa hergestellt werden. Derzeit arbeiten in sechs europäischen Betrieben in Dänemark, Italien, Frankreich und Belgien 2 530 Angestellte. Darüber hinaus wären mehr als 10 000 Arbeitsplätze bei Zulieferern und in angrenzenden Industriezweigen betroffen. Erst im vergangenen Jahr hat Novolipetsk Steel 270 Millionen Euro in diese Unternehmen investiert. Der Stopp der Investitionen würde zum Bankrott vieler Unternehmen und einer Entlassungswelle führen.

 

Veränderte Marktlage 

Russische Stahl-Holdings gehören zu den wenigen russischen Unternehmen, die sich aktiv in den Märkten Europas und der USA einbringen. Ihre internationale Expansion begann bereits im Jahre 2003. „Das war eine Zeit, in der die Metallpreise sprunghaft gestiegen sind, Kredite sehr günstig waren und es ambitionierte Vorhaben gab“, erklärt Julia Gapon, Analystin der russischen UFS Investment Company. „Man hatte den Eindruck, dass unsere Stahlkonzerne alles aufkauften, was angeboten wurde“, erinnert sich die Expertin.

Dabei dominierten die russischen Konzerne Sewerstal und Evraz. Die größten Deals von Sewerstal waren der Kauf des Kohleunternehmens PBS Coals in Kanada für 1,3 Milliarden US-Dollar (etwa 935 Millionen Euro) und des Stahlunternehmens Esmark Incorporated für 800 Millionen US-Dollar (etwa 575 Millionen Euro). Evraz legte für die nordamerikanischen Unternehmen Oregon Steel Mills und Ipsco die Rekordsummen von 2,3 Milliarden US-Dollar (etwa 1,6 Milliarden Euro) und vier Milliarden US-Dollar (etwa 2,8 Milliarden Euro) auf den Tisch.

Mittlerweile hat sich die Marktlage jedoch verändert und die Stahlunternehmen haben mit Problemen zu kämpfen. „Viele von ihnen haben wegen der äußerst bescheidenen Marktlage und aggressiven Übernahmen in der Vergangenheit zu hohe Kreditbelastungen. Daher stehen einige Unternehmen, die in dieser Zeit gekauft wurden, jetzt wieder zum Verkauf“, so Julia Gapon. Der Expertin zufolge wirkt sich die Einführung von Sanktionen seitens der EU und den USA negativ auf Unternehmen aller Bereiche aus, und die finanzielle Situation der Stahlunternehmen würde noch ernster werden. Dimitrij Baranow, ein führender Experte des Finanzunternehmens Finam Management, beschreibt die Situation der russischen Stahlunternehmen während der bestehenden Sanktionen als „Schwebezustand“: „Das Pendel kann in jede Richtung ausschlagen“, betont er.

 

Konzentration auf den Binnenmarkt und Asien

Die Stahlunternehmen richten ihre Geschäfte nach eigenen Angaben daher nicht nur wegen der Sanktionen zunehmend auf den heimischen und asiatischen Markt aus. „In den letzten zwei Jahren haben russische Stahlunternehmen einen Teil ihres Verkaufs von den Exportmärkten auf die Verbraucher im Inland verlagert, die Sanktionen könnten diesen Prozess noch verstärken“, bestätigt Wladislaw Ginko, Wirtschaftswissenschaftler und Dozent am Institut für Wirtschaft und natürliche Monopole bei der Akademie für Volkswirtschaft und öffentlichen Dienst des Präsidenten der Russischen Föderation.

Die Exporte des Magnitogorsker Stahlkombinats sind im Jahr 2013 um 35

Prozent zurückgegangen. „Dies hängt in der Hauptsache mit der Strategie des Unternehmens zusammen, die Verkaufszahlen auf dem russischen Markt und in den GUS-Staaten zu erhöhen“, wie die Presseabteilung des Unternehmens gegenüber RBTH erläutert. Der größte Teil des Exports entfiel dabei mit 55 Prozent auf Staaten im Nahen Osten, in Europa dagegen wurden im vergangenen Jahr nur fünf Prozent der hergestellten Metallprodukte verkauft.

Die wichtigsten Handelspartner der Metschel Holding kommen nach eigenen Angaben ebenfalls hauptsächlich aus asiatischen Ländern. „Die Hauptabnehmer unserer Bergbauprodukte sind asiatische Länder und Länder im Pazifikraum“, sagt ein Vertreter des Unternehmens. „Innerhalb von neun Monaten im Jahr 2013 haben wir 40 Prozent des von uns hergestellten konzentrierten Kokses nach China verkauft, nach Europa gingen nur 14 Prozent.“ Wenn diese Tendenz anhalten sollte, wird die Stahlindustrie der erste russische Wirtschaftszweig sein, der sich aus Europa und den USA zurückzieht und sich auf asiatische Länder und den russischen Binnenmarkt konzentriert.

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