Aus Krim-Reserven wird jährlich sieben Milliarden Kubikmeter Erdgas gewonnen. Foto: AP
In die überarbeitete Sanktionsliste der Europäischen Union wurden 13 weitere Personen aufgenommen, darunter hochrangige Beamte der Krimregierung, Anhänger einer föderalen Ukraine sowie zwei Unternehmen der Krim – die Firmen Tschernomorneftegas und Feodosia. Erstmals hat die Europäische Union Sanktionen gegenüber konkreten juristischen Personen ausgesprochen. Ein solches Vorgehen war zuvor nur von der US-Regierung bekannt.
Dem Unternehmen Tschernomorneftegas gehören alle Lagerstätten für Erdöl und Erdgas auf der Krim. Die Firma versorgt gegenwärtig die Bewohner der Krim mit Erdgas. Dazu wurden 2013 1,65 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert. In den letzten sechs Monaten stieg die Produktion um 23 Prozent an – wobei die gesamte Erdgasfördermenge ausschließlich für die Bedarfsdeckung der Krim-Bewohner verwendet wurde.
Das Unternehmen Feodosia, das offiziell „Betrieb zur Versorgung mit Erdölprodukten Feodosia" heißt, sollte nach Überlegungen der russischen Regierung zum Hauptversorger der Krim mit Erdölprodukten aufsteigen. Momentan fungiert Feodosia bereits als Umschlagplatz für Erdölprodukte des russischen Unternehmens Lukoil. Wie der belgische Außenminister Didier Reynders gegenüber Journalisten erklärte, haben „diese zwei Energiebetriebe einen Vorteil aus der Angliederung der Krim an Russland gezogen".
Die Beratungsfirma Transenergoconsulting hat berechnet, dass allein durch die Erschließung von zwei neuen Lagerstätten auf der Krim die Fördermenge bis zum Jahr 2015 auf bis zu drei Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr gesteigert werden könnte. Der eigentliche Wert von Tschernomorneftegas besteht jedoch in den bereits kultivierten Reserven: Aus diesen wird jährlich sieben Milliarden Kubikmeter Erdgas gewonnen. Konkret heißt das, dass Tschernomorneftegas bis zu fünf Milliarden Kubikmeter Gas ins Ausland verkaufen könnte –in erster Linie an die Ukraine.
Bei einem gegenwärtigen Erdgaspreis in der Ukraine von 354 Euro für tausend Kubikmeter könnte Tschernomorneftegas so Gas in Wert von 1,75 Milliarden US-Dollar (1,3 Milliarden Euro) pro Jahr ins Nachbarland exportieren. Demgegenüber steht auf der Krim ein Defizit des Staatshaushalts in Höhe von 730 Millionen Euro im Jahr 2013 zu Buche. Das heißt, die Region könnte sich vollständig selbst versorgen, ohne Zuschüsse aus dem russischen Föderationsetat beziehen zu müssen.
„Tschernomorneftegas war der einzige Betrieb der Ukraine, der in der Lage war und ist, komplexe Projekte zur Erschließung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten im Schelf zu realisieren und in Zukunft den Energiebedarf nicht nur der Krim, sondern auch der Südukraine zu decken", erläutert Iwan Kapitonow, Dozent am Lehrstuhl für staatliche Wirtschaftsregulierung an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Verwaltungsdienste beim Präsidenten der Russischen Föderation.
Gazprom auf dem Rückzug
Wie der Pressesprecher von Tschernomorneftegas gegenüber RBTH erklärte, wirkten sich die EU-Sanktionen nicht auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens aus, da es momentan nicht auf dem internationalen Markt aktiv sei. „Das mag für die nahe Zukunft zwar gelten, langfristig
allerdings ist nicht auszuschließen, dass das Unternehmen sich doch an irgendwelche ausländische Organisationen wenden muss. In diesem Fall könnten die Sanktionen tatsächlich Wirkung zeigen", bemerkt Dmitrij Baranow, Analyst bei Finam Management. Die größten Auswirkungen hätten die EU-Sanktionen auf potenzielle Geschäftspartner – in erster Linie auf Gazprom. Der russische Erdgasmonopolist ist bereits seit Längerem als potenzieller Käufer von Tschernomorneftegas im Gespräch.
„Gazprom galt früher noch als wahrscheinlichster Anwärter für den Kauf von Tschernomorneftegas, aber nun wird das Unternehmen wohl von einem Staatsunternehmen, demgegenüber Sanktionen vollkommen wirkungslos sind, übernommen werden. Oder aber es erfolgt überhaupt gar kein Eigentümerwechsel", meint Grigorij Birgs, Mitgeschäftsführer der Analyseabteilung von Investcafé. Eine solche Entwicklung stellt seiner Ansicht nach für Gazprom ein eher positives Szenario dar. Das Unternehmen müsse gegenwärtig die Folgen möglicher Sanktionen vonseiten der Europäischen Union und der USA berücksichtigen. Gazprom-Chef Alexej Miller gehört momentan noch zu den wenigen Chefs russischer Großunternehmen, die von den Sanktionen verschont geblieben sind. Nach Angaben einer Quelle der Zeitung Wedomosti haben sich hochgestellte europäische Wirtschaftsvertreter für den Chef des russischen Gasmonopolisten eingesetzt. Grund dafür ist sicherlich der Fakt, dass Gazprom gegenwärtig der wichtigste Lieferant von Erdgas nach Europa ist. Um nicht in einen Konflikt mit seinen europäischen Partnern zu geraten, wird das Unternehmen wohl nicht das Risiko eingehen und sich auf der Krim engagieren.
Der Wert der Erdgas- und Erdöllagerstätten auf der Krim wird von verschiedenen Institutionen ganz unterschiedlich eingeschätzt. Laut einer
Untersuchung der Stiftung „Institut für Energiewirtschaft und Finanzen" betragen die Reserven an fossilen Energieträgern fantastische 435,1 Millionen Tonnen Erdöl und 1,97 Billionen Kubikmeter Erdgas. Allerdings sind diese Angaben bisher noch nicht verifiziert worden. Die New York Times schätzt den möglichen Gewinn auf „mehrere Billionen US-Dollar", wobei auch hier der Verweis auf eine konkrete Quelle fehlte. Nach Einschätzung der Zeitung muss die Angliederung der Krim an Russlands allerdings auch unter dem Gesichtspunkt der Erschließung von Erdöl- und Erdgasreserven bewertet werden. Das Ministerium für Energie- und Kohlewirtschaft der Ukraine seinerseits beziffert den Wert eines Gasfeldes im Krim-Schelf auf knapp 30 Milliarden Euro.
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