Foto: ITAR-TASS
Diesen Sommer soll ein Regulierungsgesetz die russische Industrie auf einen neuen Kurs bringen. Der Gesetzesentwurf „Über die Industriepolitik in der Russischen Föderation" wurde bereits fünf Mal überarbeitet und soll in Kürze dem Parlament zur Diskussion vorgelegt werden.
Bereits im Frühjahr, unmittelbar nach der Einführung der Sanktionen gegenüber Russland, ist der Förderung einer importunabhängigen Produktion eine hohe Priorität zugewiesen worden. Nach Einschätzung des Zentrums für Konjunkturforschung der Wirtschaftshochschule soll die Industrie – wenn diese Pläne umgesetzt werden sollten – um zehn bis 15 Prozentpunkte wachsen. Welchen Beitrag am Wachstum des Bruttoinlandprodukts die Importersatz-Produktion leisten wird, können Experten jedoch noch nicht einschätzen.
Flugzeugindustrie und Maschinenbau
Eine hohe Importabhängigkeit gibt es bei hochtechnologischen Wirtschaftszweigen, zu denen der Maschinenbau, die Petrochemie und die Flugzeugindustrie gehören. Diese sind sehr eng mit europäischen und US-amerikanischen Technologieanbietern und Erzeugnissen verwoben. „Das schwächste Projekt in dieser Beziehung ist der Suchoj SuperJet100", erklärt der Militäranalyst Dmitrij Litowkin. „Das Flugzeug wird im Rahmen
Das Triebwerk SaM-146 für den Suchoj SuperJet100 wurde von dem Unternehmen PowerJet, einem Gemeinschaftsbetrieb des französischen Unternehmens Snecma und der russischen Wissenschafts- und Produktionsvereinigung Saturn, entwickelt.
Die Avionik wird von der internationalen Industriegruppe Thales geliefert. Die Steuersysteme stammen von der Schweizer Firma Liebherr, die Hilfstriebwerke (APU) vom US-amerikanischen Konzern Honeywell, das Fahrwerk von der französischen Firma Messier Dowty und die Sicherheits- und Rettungsausrüstung vom US-amerikanischen Unternehmen Air Cruisers.
einer weit reichenden Kooperation mit weltweit führenden Zulieferern produziert, unter anderem unterstützt Boeing das Projekt mit Beratungsleistungen." Auch russische Betriebe sind in vielen Bereichen tätig, sie wirken vor allem an der Entwicklung und Fertigung einzelner Komponenten mit. „Aber in Russland ist an die Fertigung solcher Gerätetechnik in der nächsten Zeit überhaupt nicht zu denken", meint Litowkin. Dieser Meinung sind auch die russischen Kritiker des Luftfahrtprojekts – es sei viel zu importabhängig. „Selbst wenn in dem Flugzeug nur eine einzige Schraube aus US-amerikanischer Produktion stammt, kann Washington den Export des gesamten Flugzeuges nach Drittstaaten verbieten. Mit dieser Situation wurden bereits die Spanier konfrontiert, als sie eine militärtechnische Zusammenarbeit mit Venezuela planten."
Erste Maßnahmen, um die Abhängigkeit von anderen Produktionsländern zu reduzieren, wurden bereits unternommen. So hat das erste Ingenieurzentrum im Land eröffnet, das sich mit der Entwicklung von Systemen für Passagier- und Militärflugzeugen, die bislang importiert werden mussten, beschäftigen soll.
Metallurgie und Petrochemie
Wie die Flugzeugindustrie kann auch der Maschinenbau als importabhängig bezeichnet werden. Nach Einschätzung von Experten kann die einheimische Produktion höchstens fünf bis sieben Prozent des Bedarfs dieser für die gesamte Industrie essenziellen Wirtschaftszweige abdecken.
Zur Entwicklung eines autarken Maschinenbaus werden spezielle Werkzeugstahllegierungen und Seltene Erden benötigt. Die Betriebe kaufen diesen Stahl derzeit unter anderem in Deutschland und die Erden in China. Es ist vollkommen klar, dass die Aufrechterhaltung hochtechnologischer und militärischer Bereiche und Produktionsstätten der Luft- und Raumfahrt, des Funkwesens sowie der Atomindustrie ohne staatliche Hilfe schier unmöglich ist. Zur Versorgung dieser Wirtschaftszweige mit seltenen Erden und Metallen plant das Ministerium für Industrie und Handel, bis zum Jahr 2020 ungefähr 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. So sollen im Gebiet Swerdlowsk die Bestände an angereichertem Monazitsanden aufbereitet werden. Dieser Rohstoff wird für die Fertigung von Atomsprengköpfen benötigt.
Auch in der Petrochemie sollen Importe abgelöst werden. So plant die Gazprom Neftechim Salawat, ein Tochterunternehmen von Gazprom in der Republik Baschkortostan, eine Anlage zur Produktion von Propensäure und Acrylaten, die zur Herstellung von Hygieneartikeln wie Windeln verwendet werden. Gegenwärtig werden etwa 60 Prozent der Acrylate aus dem Ausland eingeführt.
Lebensmittel
„Russland wäre im Fall harter Sanktionen tatsächlich sehr schlecht aufgestellt", kommentiert Denis Kolokolnikow, Vorstandsvorsitzender des Beratungsunternehmens RRG. „Dennoch sind unsere eigenen Betriebe
durchaus in der Lage, das Land mit Lebensmitteln zu versorgen – natürlich müsste man auf viele Delikatessen und Produkte, die nur unter besonderen klimatischen Bedingungen gedeihen, verzichten."
Man könnte meinen, Russland decke seinen Bedarf an Getreide vollständig selbst, da das Land Exportnation Nummer zwei auf dem Weltmarkt ist. Aber im Wesentlichen baut Russland Weichweizensorten an, während der Weizenimport zu 95 Prozent aus Hartweizensorten besteht, die zum Beispiel zur Produktion von hochwertigen Teigwaren benötigt werden. Diese Hartweizensorten machen gegenwärtig noch einen Anteil von ungefähr 15 Prozentpunkten am Gesamtbruttoertrag aus, erklärt Kolokolnikow.
„Wir können uns auch allein mit Hühnerfleisch versorgen", fährt der Experte fort. Mit der Selbstversorgung von Rindfleisch, in dessen Produktion größere Summen investiert werden müssten, könnte es jedoch Probleme geben. Insgesamt sei die Lebensmittelversorgung in Russland aber nicht gefährdet, versichert Kolokolnikow.
Unterstützende Maßnahmen der Regierung
Die Regierung überarbeitet gegenwärtig ihre Finanz-, Förder- und Steuerpolitik zur Unterstützung der Industriebetriebe. Im Wesentlichen scheinen sie gut durchdacht und erinnern an die Mechanismen, die in der Europäischen Union wirken. Zum Beispiel können die durchschnittlichen effektiven Kreditzinssätze für die Betriebe der verarbeitenden Industrie von den heutigen zwölf Prozent auf bis zu 4,5 Prozent pro Jahr gesenkt werden. Finanzielle Unterstützung soll die Industrie durch eine speziell dafür geschaffene Stiftung erhalten. Das Gründungskapital dieser Stiftung soll bis zu einer Milliarde Euro betragen.
Die Politik der Importunabhängigkeit wurde nach der Rubelentwertung im Jahr 1998 eingeführt. Damals ging der Import nach Russland um 20 Prozent auf 55 Milliarden Euro, im Jahr darauf um weitere 28 Prozentpunkte auf 40 Milliarden Euro zurück.
Dabei konnte die nach der Krise ansteigende Nachfrage nach einheimischen Produkten sehr leicht aufgrund der nicht ausgelasteten Produktionskapazitäten im Inland befriedigt werden. Der durch die Abwertung des Rubels hervorgerufene Importrückgang ist zu einem der wichtigsten Faktoren des Wirtschaftswachstums geworden.
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