Gaslieferungen: EU zwingt Ukraine und Gazprom an Verhandlungstisch

Gazprom sieht in den Rücklieferungen einen Verstoß gegen die Vertragsbedingungen. Foto: AP

Gazprom sieht in den Rücklieferungen einen Verstoß gegen die Vertragsbedingungen. Foto: AP

Die europäischen Staaten haben ihre Erdgas-Rücklieferungen in die Ukraine gekürzt. So wird der ukrainische Energiekonzern Naftogaz nach Einschätzung von Experten erneut mit Gazprom über die Begleichung seiner Schulden ins Gespräch kommen müssen.

Die Gas-Rücklieferungen aus der Europäischen Union in die Ukraine sind innerhalb der vergangenen zwei Wochen auf sieben Millionen Kubikmeter pro Tag reduziert worden, es wären indes Kapazitäten für 18 Millionen Kubikmeter verfügbar, erklärte der ukrainische Energieminister Juri Prodan. „Wir gehen davon aus, dass das mit bestimmten Maßnahmen von Gazprom zusammenhängt", zitiert die Nachrichtenagentur Interfax den Minister. Es sei nicht auszuschließen, dass die Lieferungen sogar ganz eingestellt werden. „Keiner unserer europäischen Handelspartner ist derzeit bereit, uns Gas zu verkaufen", so ein Sprecher des ukrainischen Energieministeriums gegenüber der Wirtschaftszeitung „Kommersant".

Die Einschränkung der Lieferungen könnte nach Meinung russischer Experten aber auch auf saisonale Schwankungen zurückzuführen sein. „Die europäischen Gaslieferungen in die Ukraine sind auch deshalb zurückgegangen, weil zum Beispiel Ungarn derzeit vermehrt Gas in seinen Untergrundspeichern einlagert. Dort beginnt man, sich auf die Winterperiode vorzubereiten, zugleich sind die ungarischen Gasvorräte im europäischem Vergleich sehr gering", erklärt Wassili Ucharski, Analyst für Makroökonomie bei der Investmentgesellschaft UFS. Die ungarischen Speicher seien zu etwa 42 Prozent gefüllt, während das Niveau in anderen europäischen Ländern bei 77 Prozent liege. Nach Angaben von Michail Kortschemkin, dem Geschäftsführer des Consultingunternehmens East European Gas Analysis, sind seit dem 1. Juli 2014 die Erdgas-Rücklieferungen aus Ungarn auf ein Drittel von neun auf drei Millionen Kubikmeter pro Tag gefallen, die Lieferungen aus Polen dagegen blieben auf dem früheren Niveau von vier Millionen Kubikmetern täglich. „Wie immer gelten ab dem ersten Tag des neuen Quartals für alle Abnehmer russischen Gases neue Preise. Die Kürzung der Lieferungen aus Ungarn kann auch mit den Preisänderungen zusammenhängen", erklärt Kortschemkin.

 

Gas-Rücklieferungen verstoßen gegen Vertragsbedingungen

Die Rücklieferungen sind umstritten. Alexei Miller, Vorstandsvorsitzender von Gazprom, äußerte den Verdacht, dass das Gas zuvor in der Ukraine entnommen werde. Denn bei einer Rücklieferung müssten Verteilstationen umprogrammiert und die Pipelines im sogenannten Reverse-Flow-Modus betrieben werden. „Physisch ist das kaum möglich", so Miller. Daher gebe es nur noch die Möglichkeit eines virtuellen Reverse-Flow-Modus, bei dem das für Europa bestimmte Gas bereits in der Ukraine entnommen und lediglich als Rücklieferung virtuell verbucht werde. Das sei rechtlich umstritten und verstoße gegen die Vertragsbedingungen, heißt es bei Gazprom. Bis zur Abnahme durch den Endkunden bleibe das Gas Eigentum von Gazprom.

Klicken Sie das Bild an, um es näher anzusehen. Bild: Natalia Michajlenko

Kiew verfüge somit rechtswidrig über russisches Gas, das für europäische Kunden bestimmt sei. „Transitländer haben kein Recht, über das Gas zu verfügen. Gazprom wird in jedem Fall gegenüber seinen Vertragspartnern auf einer Einstellung dieser Lieferungen bestehen, weil diese gegen die langfristigen Verträge verstoßen", meint Weniamin Wutjanow, Dozent an der Fakultät für staatliche Wirtschaftsregulierung an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst. Die europäischen Partner lassen diese Auffassung allerdings nicht gelten. Die Rücklieferungen werden über Ungarn und Polen abgewickelt. 2013 beliefen sich diese Lieferungen auf 2,1 Milliarden Kubikmeter.

 

Neue Verhandlungsrunde im August

Die ukrainische Seite beziehe darüber hinaus weiterhin von Gazprom Gas, ohne ihren Vertragsverpflichtungen nachzukommen, erklärt Weniamin Wutjanow weiter. Nach Auskunft von Gazprom importierte die Ukraine im Juni 1,7 Milliarden Kubikmeter Gas für 838 Millionen US-Dollar (etwa 622,35 Millionen Euro). Die Schulden des Landes bei Gazprom liegen mittlerweile bei insgesamt 5,296 Milliarden US-Dollar (etwa 3,93 Milliarden Euro). Dieses Volumen entspricht, wie das Unternehmen meldet, den jährlichen Gaslieferungen nach Polen. Das restliche Gas erhält die Ukraine ausschließlich auf dem Wege europäischer Rücklieferungen.

„Der Umfang der Rücklieferungen nimmt weiter ab. Die europäischen Länder und die Erdgas-Lieferanten wissen, dass der Winter naht und sie ihre Gasspeicher füllen müssen", sagt Wutjanow. Der Preis für das zurückgelieferte Gas bewegt sich mit 380 bis 390 US-Dollar pro 1 000 Kubikmeter zudem auf dem gleichen Niveau wie das Angebot von

Gazprom an die Ukraine. Zum Vergleich: Das vertragsgemäß von Gas de France über Ungarn gelieferte Gas kostet die Ukraine 385 US-Dollar je 1 000 Kubikmeter. Angaben der Zeitung „Kommersant" zufolge unterbreitete Gazprom jedoch während der Verhandlungen zwischen der EU, der Ukraine und Russland im Juni einen Preis von weniger als 380 US-Dollar je 1 000 Kubikmeter Gas.

Sollten europäische Unternehmen ihre Erdgas-Rücklieferungen in die Ukraine einstellen, wird der ukrainische Energiekonzern Naftogaz nach Meinung von Experten dazu gezwungen sein, erneut mit Gazprom zu verhandeln. „Gazprom ist ein flexibler und zuverlässiger Vertragspartner, die ukrainische Seite aber wird in jedem Fall ihre Schulden begleichen müssen", so Weniamin Wutjanow. Der Ukraine bleibe keine Wahl: „Sie muss sich mit Gazprom an einen Tisch setzen und über die Rückzahlung ihrer Schulden und neue Vertragsbedingungen verhandeln", sagt der Experte. Nach Angaben von Wassili Ucharski sind die nächsten trilateralen Gasverhandlungen zwischen Russland, der EU und der Ukraine für August geplant.

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