Der russische Markt für Neuwagen schwächelt. Foto: Alexej Danitschew/RIA Novosti
Die Russen fragen immer mehr Gebrauchtwagen nach. Laut Brancheninformationsdienst Awtostat stiegen die Verkaufszahlen bei Gebrauchtwagen im ersten Halbjahr 2014 um zwölf Prozent. In einigen Regionen Russlands, zum Beispiel im Fernen Osten, gab es sogar vereinzelt Zuwächse von 94 Prozent. Umgekehrt musste der Markt für Neuwagen Verluste von neun Prozent bei den Verkaufszahlen hinnehmen. Russische Experten begründen die sinkende Nachfrage nach Neuwagen mit der allgemein schwächelnden Wirtschaft in Russland.
„Die Entwicklung am Automarkt ist beunruhigend, denn sie ist exemplarisch für die gesamte russische Wirtschaft", findet Ilja Balakirew, Chefanalyst bei UFS IC. Sinkende Realeinkommen der Bevölkerung und eine allgemeine Preiserhöhung bei Automobilen, die die Inflationsrate deutlich übersteige, begründen für ihn ebenso die Entscheidung für einen Gebrauchtwagen wie die massive Anhebung von Versicherungsbeiträgen in der Vergangenheit. Nach Ansicht Balakirews sei die prekäre Lage am Neuwagenmarkt auch auf immer schlechter werdende Bedingungen für Kreditnehmer zurückzuführen. „Abgesehen davon wird der Besitz eines Autos immer weniger attraktiv für die Menschen", fügt Balakirew hinzu. Steigende Benzinpreise, knapper kostenloser Parkraum vor allem in Städten wie Moskau und immer höhere Geldstrafen bei Verkehrsverstößen seien Gründe, vom Autokauf ganz abzusehen.
Dmitrij Baranow, führender Analyst der Consulting- und Investment-Firma Finam Management, bestätigt, dass der Automobilmarkt traditionell ein exzellenter Indikator für den Zustand der gesamten russischen Wirtschaft sei. Sinkende Verkaufszahlen am Neuwagenmarkt seien oft ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft stagniere oder sogar auf dem Weg in die Krise sei. Steigende Verkaufszahlen seien ein Hinweis darauf, dass sich die Wirtschaft insgesamt wieder erhole. Privat- und Geschäftskunden wären bei guten Aussichten für die Wirtschaft eher bereit, in die Anschaffung von Langzeitgütern wie Autos zu investieren.
Verluste in der Automobilbranche
Der schwächelnde Neuwagenmarkt hat Auswirkungen auf die Halbjahresbilanzen der größten russischen Automobilhersteller, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurden. Die GAZ Group verzeichnete demnach einen Verlust von 1,3 Milliarden Rubel (umgerechnet etwa 26,4
Millionen Euro), während das Unternehmen im gleichen Zeitraum des Vorjahres einen Gewinn von 195,8 Millionen Rubel (etwa vier Millionen Euro) erzielen konnte. KamAZ hingegen machte einen Verlust von 1,5 Milliarden Rubel (30,5 Millionen Euro), während der Automobilhersteller noch im Vorjahr ein dickes Plus von 2,6 Milliarden Rubel (52,9 Millionen Euro) berichten konnte. Die Verkaufszahlen von KamAZ sind innerhalb eines halben Jahres um 17,3 Prozent gesunken. Dmitrij Baranow sieht eine ähnliche Entwicklung auf den Gebrauchtwagenmarkt zukommen, nämlich dann, wenn die Wirtschaftskrise sich infolge der politischen Lage verschärft.
Der Neuwagenmarkt könnte hingegen schon bald wieder von aktuellen politischen Entscheidungen profitieren. In Russland wurde die Wiedereinführung der Eintauschprämie für Altautos durch das Ministerium für Industrie und Handel am 1. September 2014 beschlossen. Fahrzeugbesitzer, die ihr altes Auto abschaffen, können dafür eine Prämie von bis zu 40 000 Rubel (etwa 813 Euro) bekommen. Bei LKW werden bis zu 350 000 Rubel (etwa 7 115 Euro) gezahlt. War das Auto älter als sechs Jahre, gibt es zudem beim Händler einen Rabatt beim Kauf eines Neuwagens. „Die Prämie hat damals den Verkauf von PKW der unteren
Preisklasse stark gefördert und die Wiedereinführung könnte die Marktsituation beruhigen", meint Ilja Balakirew. Allerdings sei damit zu rechnen, dass der Effekt beim zweiten Anlauf geringer ausfalle. Viele hätten jetzt bereits einen Neuwagen.
Trotz der Verluste in der Automobilwirtschaft werden in Russland weiter neue Projekte im Bereich der Automobilfertigung vorangetrieben. Am 29. August 2014 nahm in der Sonderwirtschaftszone Alabuga in Tatarstan (etwa 1 000 Kilometer östlich von Moskau) ein großes Investitionsprojekt zur Fertigung von Karosserieteilen den Betrieb auf. Ford Sollers und das türkische Unternehmen Coskunoz betreiben das Projekt gemeinschaftlich. Ebenfalls im August wurde bekannt gegeben, dass im Fernen Osten eine neue Sonderwirtschaftszone für die Automobilfertigung eingerichtet wird. Die japanische Sumitomo Group und die russische Sollers Group planen dort in einem Joint Venture die Produktion von Autos der Marke Mazda. Zudem hoffen die lokalen Behörden auf weitere Investoren, etwa aus Korea.
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