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Die Europäische Union hat ein neues, nunmehr viertes, Sanktionspaket gegen Russland in Kraft gesetzt. Ein entsprechendes Dokument wurde im offiziellen EU-Bulletin publiziert. Die USA haben bereits ähnliche Maßnahmen angekündigt. Die neuen Beschränkungen betreffen staatliche Ölgesellschaften, große Banken, Unternehmen des Rüstungssektors sowie eine erweiterte Liste an Personen. Damit werden die bereits bestehenden Sanktionen weiter verschärft. Die russischen Börsen reagierten mit einem moderaten Fall der Aktienkurse. Die Investoren warten nun auf die Antwort aus Moskau.
Der Zugang der großen russischen Banken mit staatlicher Beteiligung, Sberbank, VTB, Gazprombank, VEB und Rosselchosbank zu Krediten wurde mit dem neuen Sanktionspaket weiter eingeschränkt. Die bereits Ende Juli beschlossene Frist für Anleihen in der EU und den USA wurde von 90 Tage auf 30 Tage verkürzt. Experten sind jedoch der Auffassung, dass eine solche Maßnahme keinen spürbaren Effekt mit sich bringt. „Bereits jetzt haben sich die Banken auf den schwierigeren Zugang zum Kapitalmarkt eingestellt. Außerdem ist die kurzfristige Finanzierung in westlichen Märkten nicht besonders verbreitet“, kommentiert der Analyst des Investcafés Michail Kusmin.
Dem pflichtet Kira Juchtenko, Analystin bei der Firma FBS bei. „Die westlichen Finanzinstitutionen hatten noch im Juli, beim ersten
„Sanktionsschuss“ versucht, die Zusammenarbeit mit russischen Banken so weit wie möglich zu minimieren und die Limits für Operationen weitestgehend begrenzt. Einen Mangel an Kapital in Rubeln haben die staatlichen Banken heute nicht, und für die Deckung des Bedarfs an Dollar werden sie ihre Präsenz auf den asiatischen Umschlagplätzen erhöhen“, meint die Expertin.
Schwierigkeiten könnten allerdings die Sberbank- und die VTB-Tochterfirmen in Österreich, Zypern und der Türkei bekommen. Sie funktionieren dort als selbstständige juristische Personen mit eigenen Finanzierungsquellen und könnten theoretisch unter die Begrenzungen auf dem europäischen Markt der Kreditvergabe zwischen Banken fallen, bemerkt Alexandr Abramow, leitender Forschungsmitarbeiter im Zentrum für Finanzsystemanalyse an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Der Zugang zu ausländischem Kapital wurde auch bei den staatlichen Ölgesellschaften Rosneft, Transneft und Gazpromneft mit einem Gesamtumsatz von 26,7 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 20,6 Milliarden Euro) begrenzt. Neben der finanziellen Seite wird der Technologie- und Dienstleistungsaustausch des Ölsektors darunter leiden. Weiterhin hat die EU eine Beschränkung der Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation im Bereich der Erschließung von schwerzugänglichem Öl eingeführt. Transneft und Gazpromneft werden unter diesen Sanktionen am wenigsten leiden. „Diese Unternehmen haben keine großen Kreditschulden bei westlichen Banken, es gibt hier auch keine gigantischen Projekte, die eine langfristige Ausstattung mit Krediten aus dem Ausland erforderlich machen würden“, kommentierte Michail Krutichin, Partner bei der Consulting-Gesellschaft RusEnergy, gegenüber dem Radiosender Kommersant FM.
Effekte treten mit Verzögerung ein
Krutichin zufolge werde am meisten Rosneft die Sanktionen zu spüren bekommen. Denn diese Gesellschaft habe ein gigantisches Investitionsprogramm aufgelegt und Projekte angestoßen, die auf die Erkundung und Erschließung von Öl und Gas auf dem Festlandsockel insbesondere unter arktischen Bedingungen ausgerichtet seien. Doch auch in diesem Fall werde sich der negative Effekt nicht sofort zeigen. „Eine unmittelbar negative Wirkung sollte man von diesen Beschränkungen nicht erwarten“, sagt der Analyst des Investcafés Grigorij Birg. „Solche Verbote wirken eher in die Perspektive. Deshalb ist es eher relevant, wie lange die Sanktionen andauern“, erklärt der Experte.
Die Sanktionen gegen den Rüstungssektor wurden ebenfalls erweitert. Es wurde ein Verbot für europäische Gesellschaften eingeführt, Waren mit
doppelter Verwendungsmöglichkeit an neun russische Unternehmen zu liefern, darunter auch an den Kalaschnikow-Konzern und die Waffenfabrik Tula, die gelenkte Panzerabwehrraketen und Handfeuerwaffen herstellt. Auch befinden sich in der Sanktionsliste das Unternehmen Maschinenbautechnologien, das Munition herstellt, der bereits in der Liste der individuellen Sanktionen der EU auftretende Rüstungskonzern Almas-Antei, die Forschungs- und Produktionsvereinigung zur Munitionsherstellung Basalt und die Forschungs- und Produktionsgesellschaft Uralwagonsawod, die Militärtechnik, Straßenbaugeräte und Eisenbahnwaggons herstellt.
„Bislang sehe ich keine Probleme irgendwelcher Art für sie“, erläutert Alexandr Abramow mit Blick auf die drei staatlichen Ölgesellschaften und die drei Rüstungskonzerne. „Laut Geschäftsbericht von Rosneft beträgt die Verschuldung des Unternehmens etwa 190 Millionen US-Dollar (146 Millionen Euro), was nur fünf bis sieben Prozent der Gesamtverschuldung bedeutet. Auch Transneft und die Rüstungsgesellschaften hatten nicht sehr aktiv am europäischen Kapitalmarkt geliehen. Die Einwirkung wird hier indirekt sein“, so Alexandr Abramows Fazit.
Investoren warten auf russische Antwort
Die EU hat mit der Einführung der Sanktionen lange gewartet. Das Paket der Maßnahmen wurde bereits am 5. September vereinbart. Doch aufgrund des Strebens nach einem Konsens hat sich die finale Phase in die Länge gezogen. „Einzelne Länder hatten gebeten, ihnen mehr Zeit zu gewähren“, sagte die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Unter Verweis auf Diplomatenkreise hatten europäische Medien berichtet, dass Italien, Österreich, Finnland, Tschechien und Ungarn gegen die Sanktionen gewesen seien. Eines ihrer Argumente war, dass man die instabile Lage nicht weiter zuspitzen und Moskau nicht provozieren solle, solange der am 5. September verkündete Waffenstillstand im Donezbecken halte.
Der fast einwöchige Aufschub hatte russischen Investoren die Möglichkeit gegeben, sich vorzubereiten. Am 11. September, als die inoffizielle
Information aufkam, die EU würde die Sanktionen einführen, sind die russischen Aktienkurse um ein bis drei Prozent gefallen. Die Analysten werten das als eine mäßig negative Reaktion. Am 12. September hatten die Märkte keine große Negativtendenz gezeigt. Die Analysten von Investcafé gehen davon aus, dass die Antwort Russlands einen größeren Effekt zeigen werde.
Bereits am 7. August hatte Premierminister Dmitrij Medwedew über eine potentielle Bereitschaft zu Schutzmaßnahmen in der Automobilbranche, in der Luftfahrttechnik und beim Schiffbau gewarnt. Der Präsidentenberater Andrej Belousow sagte gegenüber „RIA Nowosti“ am 11. September, dass Russland den Import von Autos und einigen Waren aus der Leicht- und Bekleidungsindustrie begrenzen könnte.
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