Gazprom hält polnische Erdgas-Rücktransfers in die Ukraine für illegal. Auf dem Bild: Gazprom-Chef Alexej Miller (in der Mitte) vor den trilateralen Energie-Verhandlungen in Brüssel. Foto: Reuters
Der russische Gasmonopolist Gazprom sei der Aufforderung nach einer Erhöhung der Erdgaslieferungen nicht nachgekommen, meldet der polnische Energiekonzern PGNiG. Polen hätte deshalb 20 Prozent des bestellten Gases nicht erhalten. Gazprom bestreitet dies und behauptet, es würden wie bisher täglich 23 Millionen Kubikmeter geliefert. Eine Ausweitung der Lieferungen sei aufgrund der laufenden Auffüllung der Gasspeicher momentan nicht möglich. Aus diesem Grund sah sich Polen Mitte der Woche gezwungen, sogenannte Rücktransfers russischen Erdgases in die Ukraine zu stoppen. Zuvor hatte der polnische Energiekonzern PGNiG 4,2 Millionen Kubikmeter Gas an den ukrainischen Staatskonzern Naftogaz geliefert.
„Gazprom demonstriert einmal mehr Stärke. Die EU soll daran erinnert werden, dass die Ukraine-Krise so schnell wie möglich gelöst werden muss. Zudem soll den Ukrainern klargemacht werden, dass sie in einer realen Welt leben und auch Rücktransfers nicht den gesamten Bedarf der Ukraine an Gas decken können. Das ist gerade kurz vor Anbruch der kalten Jahreszeit eine sehr ernüchternde Botschaft", sagt der Chefanalyst der Investitionsgesellschaft UFS IC Ilja Balakirew. Es spreche nichts dagegen Überschüsse zu verkaufen, wenn man sie nicht braucht. Wenn man sie jedoch selbst benötige, dann ginge das eben nicht.
„Die Stabilisierung der Lieferungen nach Polen auf einem vertraglich festgelegten Mindestniveau ist ein durchaus legitimer Schritt vor dem Hintergrund der anhaltenden polnischen Erdgas-Rücktransfers in die Ukraine", ist Iwan Kapitonow, Experte für staatliche Regulierung bei der Russischen Akademie der Wissenschaften überzeugt. Seiner Auffassung nach nutzt die Ukraine gemeinsam mit ihren westlichen Partnern das Fehlen von klaren vertraglichen Regelungen zum Wiederverkauf des gelieferten Gases aus. „Mit dem Beginn der Heizungsperiode steigt auch der Gasverbrauch. Das russische Gas kann man bei einem gleichzeitigen Wachstum des Verbrauchs in der EU durch nichts ersetzen, weder heute, noch in der näheren Zukunft", analysiert Kapitonow. Unter diesen Bedingungen sei die Entscheidung von Gazprom, die Gaslieferungen zu minimieren, ein legitimer Schritt.
Nachdem Gazprom den Gaspreis für die ukrainische Naftogas von 268 auf 485 US-Dollar pro tausend Kubikmeter erhöht hat, nahm die Ukraine wiederholt die Rücktransferlieferungen aus Polen und Ungarn in Anspruch. Gazprom ist der Auffassung, dass eine derartige Praxis illegal sei. Denn das Gas werde bereits auf ukrainischem Boden weiterverkauft und gehe direkt an die ukrainischen Verbraucher. Der Rücktransfer sei deshalb de facto virtuell.
Ein physischer Rücktransfer in die Ukraine kann nach Meinung von Gazprom nur durch die unmittelbaren Nachbarn Polen und die Slowakei organisiert
werden. Die Mehrheit dieser Länder verzeichne jedoch selbst einen Gasmangel. Vakantes Gas gebe es nur im Norden Europas und in Deutschland, weiß Ilja Balakirew.
Parallel zu den Gaslieferungen nach Polen senkte Gazprom Anfang September auch die Lieferungen durch die Pipeline „Jamal-Europa" nach Deutschland. Nach Angaben der Gascade Gastransport GmbH wurden die Tageslieferungen vom 3. bis zum 10. September von 82 Millionen Kubikmeter auf 73 Millionen Kubikmeter reduziert. Auch die slowakische Gesellschaft „Slovenský Plynárenský Priemysel" stellte ein Absinken der Lieferungen um etwa zehn Prozent fest.
Die Lösung des Rücktransferproblems sei juristischer Natur, findet Dmitrij Baranow, Experte der UK Finam Management. Gazprom habe mehrfach gerichtliche Klagen angekündigt, falls ein Rücktransfer russischen Gases aus Europa stattfinden sollte. „Es gibt Verträge zwischen Gazprom und europäischen Staaten, in denen klar geregelt ist, in welchem Umfang, zu
welchem Preis und auch zu welchen Bedingungen Russland Gas nach Europa liefert. Und wenn in diesen Abkommen ein Erdgasrücktransfer nicht vorgesehen ist, dann ist es ein Grund, die Frage vor Gericht zu klären", meint Baranow. Die beste Lösung wäre ein Abkommen zwischen Russland, der Ukraine und der EU, das diese Frage klar regelt. „Das Erreichen eines solchen Abkommens ist meiner Ansicht nach durchaus möglich. Die Parteien müssen nur den Einfluss der Politik minimieren und sich auf die wirtschaftlichen Aspekte der Gaslieferungen konzentrieren", so Baranow abschließend.
Die Ukraine hat für Gaslieferungen von Gazprom mittlerweile einen Schuldenberg in Höhe von etwa 3,9 Milliarden Euro angehäuft.
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