Russland solle die Zeit der Sanktionen nutzen, mahnt Putin. Foto: ITAR-TASS
Solange die Sanktionen gelten, solle Russland die Zeit nutzen, seine Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen, sagte der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin vor Kurzem auf einer Sitzung des russischen Staatsrats. „In den anstehenden anderthalb bis zwei Jahren müssen wir einen echten Durchbruch in der Steigerung der Konkurrenzfähigkeit des Realsektors erreichen – also das vollbringen, wofür wir früher vielleicht sogar Jahre gebraucht hätten“, betonte Putin. Alle Bemühungen der föderalen und regionalen Regierungsorgane sollten darauf abzielen, den Realsektor zu fördern, insbesondere sollten erschwingliche Kredite und generell neue konkurrenzfähige Bedingungen der Geschäftsfinanzierung zu wesentlichen Instrumenten werden, so der Präsident.
Die Situation erfordert einen stärkeren Binnenmarkt
Hauptsächlich planen die russischen Behörden, für die Entwicklung des Realsektors den heimischen Markt auszubauen. „Die Konkurrenzfähigkeit der russischen Betriebe wird direkt damit zusammenhängen, ob sie in der Lage sein werden, genügend Mengen zu produzieren, die den ausländischen in Preis und Qualität in nichts nachstehen“, erklärte Putin. Man müsse „den wichtigsten Vorteil der Konkurrenzfähigkeit des Landes nutzen: den großen Binnenmarkt“. Diesen gelte es, mit qualitativen, vom Realsektor produzierten Waren zu füllen, und dabei die Stabilität und Ausgeglichenheit der Wirtschaft zu wahren, sagte der Staatschef.
Einige Experten sehen die Worte des Präsidenten kritisch. „Gespräche über günstige Kredite werden seit dem Zerfall der Sowjetunion geführt, aber die Geschäftswelt hat diese nie zu Gesicht bekommen“, merkt Anton Soroko, Analyst der Investitionsholding Finam, an. „Mehr noch, die Situation mit der Ukraine hat die Kreditzinsen noch weiter in die Höhe schießen lassen“, stellt er fest und fügt hinzu, dass aufgrund der Intransparenz des Systems praktisch jeder Geldmittelzufluss in die Wirtschaft verpuffe.
Dem widerspricht Alexej Koslow, Chefanalyst von UFS IC. „Die Vorschläge des Staatsrats, die eine forcierte Entwicklung der russischen Wirtschaft zum Ziel haben, sind durchaus realistisch“, sagt er. Zwar seien die gestellten Ziele sehr hochgegriffen, doch wenn man keine so hohen Maßstäbe setze, erreiche man eben auch keine radikal positiven Veränderungen in der russischen Wirtschaft, ist der Experte überzeugt. „Generell wird schon sehr lange davon gesprochen, dass man die Rohstoffabhängigkeit der russischen Wirtschaft reduzieren müsse. Die gegebenen Umstände machen diese Aufgabe nun aktueller und auch umfangreicher“, bemerkt Koslow und fügt hinzu: „In der gegenwärtigen Situation haben wir auch keine andere Wahl.“
Der Staat treibt den Markt an
Die russischen Industrieunternehmen verkünden indes kontinuierlich positive Meldungen. Nach Angaben des Gajdar-Instituts für Wirtschaftspolitik, das vor Kurzem seine Septemberumfragen durchgeführt hat, rechnet die Industrie kurzfristig mit hohen Investitionen – dieser Umfragewert ist auf
einem Rekordhoch wie zuletzt im Jahr 2012. Mehr noch, der vom Institut errechnete „Index für Industrieoptimismus“ war im September 2014 so hoch wie seit drei Jahren nicht mehr. Das Institut geht davon aus, dass im September ein Wachstum der Produktionsmengen verzeichnet werden wird.
Im ersten Halbjahr betrug das Wachstum der Industrieproduktion 1,5 Prozent gegenüber dem entsprechenden Zeitraum von 2013, das BIP wuchs dabei um die Hälfte weniger, um 0,8 Prozent. Laut einer Studie der Moskauer Higher School of Economics konnte man dies das letzte Mal in den Jahren 2010/2011 beobachten, als Reserven angehäuft wurden. Doch das Bemerkenswerte dabei ist, dass das Wachstum komplett von staatlichen Aufträgen abhängt.
Denn derzeit wächst nach Angaben von Experten nicht die ganze Wirtschaft, sondern allein der Transportsektor wie etwa die Herstellung von Schiffen, Flug- oder Weltraumgeräten und sonstiger Transportmittel. Zu diesem
Industriezweig zählt auch die Produktion von Eisenbahnwaggons, Flugzeugen, Hubschraubern, U-Booten, also ein wesentlicher Teil der Transportmittel, die vom Staat und von Staatsbetrieben abgekauft werden; auch Militärtechnik gehört dazu.
Das Wachstum dieser Branche ist seit Mitte 2013 zu beobachten, im Jahr 2014 stieg es sprunghaft an. Wenn nach den Ergebnissen von 2013 der direkte Anteil dieser Unterbranche nur ca. 0,1 Prozentpunkte am Wachstum des Industrieproduktionsindex ausmachte (von 0,4 Prozent Wachstum), so sind es von Januar bis August 2014 bereits 0,7 Prozentpunkte von insgesamt 1,3 Prozent, also mehr als die Hälfte. Wie auch die Higher School of Economics feststellt, ist das Wachstum der Industrie in diesem Jahr also fast vollständig durch die Nachfrage des Staates bedingt.
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