Kiew verspricht sich von der Klage gegen den Gastransit Milliarden. Foto: Reuters
Der ukrainische Gaskonzern Naftogas hat beim Internationalen Schiedsgericht in Stockholm eine weitere Klage eingereicht, wobei er diesmal den 2009 abgeschlossenen Transitvertrag anfechtet. Der Gaskonzern ersucht das Gericht um eine Anpassung dieses Transitvertrages an das Dritte Energiepaket der Europäischen Union. Juri Witrenko, Leiter der Abteilung für Unternehmensreformen bei Naftogas, sagte, der Gaskonzern bestehe auf einer Änderung der Grundsätze für die Tarifbildung. Außerdem will er eine Ausgleichszahlung für ein geringeres Transitvolumen in den vergangenen Jahren von Gazprom verlangen.
Naftogas fordert 3,9 Milliarden Euro Abfindung
„Das minimale Transitvolumen beträgt gemäß Vertrag 110 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich", erklärte Witrenko. „Die Verluste werden für den Zeitraum von 2009 bis zum Zeitpunkt, da der Klageantrag eingereicht worden ist, berechnet."
Tatsächlich heißt es im Vertrag, dass Gazprom mindestens 110 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich über die Ukraine zu liefern hat. Allerdings wurde dies noch nie eingehalten, und nach 2011 schrumpfte der Transit rasant wegen einer geringeren Nachfrage nach Erdgas in Europa und später durch die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream. Die Zeitung „Kommersant" hat Berechnungen angestellt, nach denen Naftogas, ausgehend vom Transitvolumen, eine Ausgleichszahlung von ca. 2,5 Milliarden Euro für die Jahre 2009 bis 2013 und weitere 1,4 Milliarden Euro für den Zeitraum Januar bis August 2014 verlangen kann, insgesamt also 3,9 Milliarden Euro.
Im russisch-ukrainischen Transitvertrag sind für den Fall, dass der Lieferumfang nicht eingehalten wird, keinerlei Konventionalstrafen vorgesehen. „Er enthält keine Klausel ‚pumpen oder zahlen', sodass die Verpflichtung von Gazprom, mindestens 110 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich zu transportieren, rein deklarativ ist", bemerkt Konstantin Simonow, Leiter des Fonds für nationale Energiesicherheit (FNES), und fügt hinzu: „Naftogas hat keinerlei Chancen, dass ihrer Klage stattgegeben wird."
Eine weitere wichtige Forderung ist eine Reform der Tarifbildung. Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat bereits Mitte Juni den Auftrag erteilt, wirtschaftlich begründete Tarife für den Transit festzulegen.
Seit 2010 ist der Tarifsatz für die Erdgastransporte durch die Ukraine variabel und wird nach einer Formel bestimmt, welche die Brennstoffpreise und die Inflationsrate in Europa berücksichtigt. Seit Anfang 2014 liegt der Tarif bei 2,13 Euro für 1 000 Kubikmeter pro 100 Kilometer, das sind zehn Prozent unter dem Satz im vierten Quartal 2013. Wenn man davon ausgeht, dass die Transportstrecke für das russische Erdgas von der russisch-ukrainischen Grenze bis zur Grenze zwischen der Ukraine und den EU-Ländern etwa 1 160 Kilometer lang ist, verdient Kiew am Transport von 1 000 Kubikmetern etwa 25 Euro. Nach Angaben von Naftogas wird der Tarif für den Transport von russischem Erdgas durch die Ukraine um 40 Prozent steigen, wenn das Stockholmer Schiedsgericht der Klage stattgibt. In diesem Fall würde der Betrag, den die ukrainische Seite erhält, auf ungefähr 35 Euro pro 1 000 Kubikmeter ansteigen.
Leitungsnetz für den Gasexport aus Russland nach Europa
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Gazprom sieht sich im Recht
Ferner will die ukrainische Regierung erreichen, dass Gazprom technisch notwendiges Gas für die Gewährleistung des Transits selbstständig liefert. Derzeit ist dazu Naftogas verpflichtet. Ausgehend von den Daten für das Vorjahr und gemessen an den durchschnittlichen Exportpreisen von Gazprom für Europa würde dies kostenlose Lieferungen von 2,8 Milliarden Kubikmetern Erdgas in einem Wert von etwa 750 Millionen Euro in die Ukraine bedeuten. Dieses Modell könnte die Einnahmen der Ukraine aus Erdgastransiten um ungefähr ein Viertel erhöhen.
„Indem Naftogas die Verantwortlichkeit für das technische Gas auf Gazprom überträgt, will sich der Konzern von der Verantwortung für den Erdgastransit entbinden", meint Witali Krjukow, Direktor von АК Small Letters. Er erklärt, dass Naftogas derzeit gezwungen sei, Gas für die Gewährleistung des Transits zu verbrauchen, obwohl es dem Konzern in der Heizsaison daran mangeln werde. Krjukow merkt weiter an, die ukrainische Seite könne vor Gericht beantragen, dass eine vorübergehende Entscheidung zur Klage
getroffen wird, obwohl so eine Entwicklung in der aktuellen Situation kaum zu erwarten sei. Stattdessen könne die neue Klage als Instrument dienen, um bei der nächsten Verhandlungsrunde, die für den kommenden Dienstag angesetzt ist, auf Gazprom Druck auszuüben.
Gazprom hat zwischenzeitlich erklärt, sich den neuen Plänen aus Kiew zu stellen. „Wir werden an den Gerichtsverhandlungen teilnehmen", sagte Sergej Kuprijanow, offizieller Vertreter von Gazprom, gegenüber der Onlinezeitung Gazeta.ru: „Wir sind uns sicher, dass wir im Recht sind." Darüber hinaus können gegen die Ukraine Gegenansprüche geltend gemacht werden. Im Vertrag, nach dem das russische Erdgas für den Eigenbedarf der Ukraine geliefert wird, ist nämlich eine Take-or-Pay-Klausel enthalten, wobei für die Unterschreitung der Mindestabnahme Konventionalstrafen vorgesehen sind. Kiew hat gegen diese Klausel seit 2009 regelmäßig verstoßen. „Die Konventionalstrafe, die Gazprom aufgrund des Vertrages zu Recht verlangen kann, liegt bei über neun Milliarden Euro", sagt Konstantin Simonow von der FNES. „Dabei ist das Jahr 2014 noch nicht einmal inbegriffen. Man kann sagen, dass die Ukraine Gazprom mit ihrer Klage eher helfen wird."
Zusammengestellt aus Materialen von Kommersant und Gazeta.ru
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