Raus aus der Komfortzone

„Insgesamt sind die Trainings in Russland emotionaler. Im Westen sind sie wesentlich methodischer“, meinen Experten. Foto: DPA/Vostockphoto

„Insgesamt sind die Trainings in Russland emotionaler. Im Westen sind sie wesentlich methodischer“, meinen Experten. Foto: DPA/Vostockphoto

Trainings für Geschäftsleute haben in Russland keine Tradition und kamen aus dem Westen. Mittlerweile haben sie jedoch eine Eigendynamik entwickelt und folgen eigenen Regeln.

Jekaterina Wilenkina will ihren Kunden das Augenlicht rauben. Zumindest vorübergehend. Dazu sperrt sie eine Gruppe von Managern und Unternehmern in einen vollständig abgedunkelten Raum, wo sie unter Anleitung blinder Trainer die unterschiedlichsten Aufgaben erledigen - von der gemeinsamen Zubereitung des Abendessens bis hin zum Zusammensetzen von Matroschkas. „Für unsere Ziele ist es besser, dass die Teilnehmer so wenig wie möglich sehen“, erklärt Wilenkina, Leiterin des Moskauer Büros des Projektes „Dialog im Dunkeln“. Diese Business-Trainings entwickelte der soziale Unternehmer Andreas Heinecke und führte sie erstmals 1998 in Deutschland durch. Nach Russland kamen sie vor zwei Jahren. 

Die ersten Trainings für Persönlichkeitsentwicklung in Russland kamen aus den Vereinigten Staaten Mitte der neunziger Jahre, als viele russische Unternehmer ihre Geschäftstätigkeit praktisch aus dem Nichts aufbauten. Westliche Fachleute arbeiteten damals detaillierte Empfehlungen für die persönliche Entwicklung von Mitarbeitern aus. „Inzwischen ist in Russland der Bedarf an Trainings zur Entwicklung allgemeiner Fähigkeiten nicht mehr

ganz so groß wie vor zwanzig Jahren, und das Interesse ist mehr auf die innere Transformation der Persönlichkeit gerichtet“, erklärt Natalja Dolina, Generaldirektorin des Europäischen Zentrums für Business-Coaching. „Anstatt Hammer und Nägel auszuteilen und zu erklären, wie man damit richtig umgeht, kann man eine Art Trigger im Inneren der entsprechenden Person aktivieren und sie wird derart inspiriert, dass sie selbst zum Werkzeug greift und bereits weiß, wie sie mit ihm umgehen muss“, fügt sie hinzu. Softskills seien nicht weniger wichtig als Hardskills.


Dialog im Dunkeln

„Die Dunkelheit ist lediglich ein Instrument, um auf die Verfassung einer Person einzuwirken“, sagt Jekaterina Wilenkina. Zwischen 70% und 90% der Information nimmt der Mensch mithilfe seines Sehvermögens auf. Wird er dieser Möglichkeit beraubt, befindet er sich deshalb in einer Extremsituation. Dieser Ansatz hilft dabei, die inneren Reserven zu aktivieren und wird häufig auch in anderen Seminaren verwendet. 

Die Kommunikation mit einem blinden Trainer beim „Dialog im Dunkeln“ trägt unter anderem auch dazu bei, die soziale Toleranz der Mitarbeiter zu verbessern. „In Russland ist diese im Vergleich zu anderen Ländern sehr schlecht ausgeprägt, weshalb die sozial ausgerichteten Trainings hier noch nicht so gefragt sind wie andere Angebote unseres Unternehmens“, bekennen die Organisatoren.

„Insgesamt sind die Trainings in Russland emotionaler. Im Westen sind sie wesentlich methodischer“, sagt Dolina. Während in Europa und den USA der Trainer in der Regel weiß, zu welchem Resultat er den Kunden führen muss, richtet sich das russische Consulting während des Trainings mehr an den Wünschen des Kunden aus.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die russischen Business-Trainer in letzter Zeit verstärkt den Frauen. Einerseits sind sie von Natur aus flexibler und in der Lage, ihre Softskills schneller weiterzuentwickeln. Andererseits sind die Rollen zwischen Mann und Frau in Russland so verteilt, dass er

mehr als Macher angesehen wird, sie dagegen mehr im Hintergrund bleibt und als Fachmann bzw. als Fachfrau kaum akzeptiert wird. Damit eine Frau als Vorgesetzte bei Geschäftsverhandlungen auf Augenhöhe auftreten kann und die Meinung weiblicher Manager im Kollegenkreis angehört wird, buchen viele Unternehmen Trainings zur Entwicklung von Führungsqualitäten. Diese Praxis existiert sogar in internationalen Unternehmen, die über ein Office in Moskau verfügen. Dolinas Worten nach lernen Frauen bei solchen Trainings, ihre Gefühle zu kontrollieren, Kollegen zuzuhören sowie ihren Standpunkt konstruktiv und selbstsicher zu vertreten. 


Die Hürde im Inneren

Die Komfortzone zu verlassen, bedeutet für Führungskräfte, wichtige Unternehmensentscheidungen zu treffen, ohne auf die vorhanden persönlichen Erfahrungen zurückzugreifen. Damit beschäftigt man sich in der Filiale des deutschen Beratungsunternehmens Büro Akzent in Moskau, das nach der Methode des deutschen Business-Trainers Otto Scharmers arbeitet. Dessen „Theorie U“ ist darauf ausgelegt, Führungskräften dabei zu helfen, ihre Arbeitsmethode zu verändern. Seiner Meinung nach hat ein Unternehmen die Chance, die Erfordernisse der Zukunft zu erkennen und darauf zu regieren, wenn es die gewohnten Gleise verlässt.


„Für Russen ist Training wie Wettkampf"

 

Über die Besonderheiten der Kooperation in interkulturellen Teams spricht Tachir Bazarow, Gründer des Zentrums für Personaltechnologie im XXI. Jahrhundert und Professor an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität. 

 

Tachir Bazarow, Gründer des Zentrums für

Personaltechnologie im XXI. Jahrhundert.

Foto aus dem persönlichen Archiv. 

Welchen Herausforderungen sehen sich interkulturelle Teams gegenüber?

Sprachliche und kommunikative Barrieren gibt es auch in Teams ohne internationalen Background. Insofern sind die Schwierigkeiten bei allen etwa gleich. Entscheidend ist, ob die Geschäftsleitung eine ganzheitliche Unternehmenskultur hervorbringen kann.

Welche Hindernisse müssen eingeladene Führungskräfte überwinden, wenn 90% ihrer Belegschaft Russen sind?

Am Anfang ist es für die deutschen Geschäftsführer schwer zu akzeptieren, dass in Russland die gleichen Worte mehrmals wiederholt werden müssen. Sie versuchen, ihr Anliegen schriftlich zu kommunizieren. Und erleben dann die Überraschung, dass unsere Leute dennoch eine persönliche Anweisung brauchen.

Wenn der Chef auf seinen russischen Mitarbeiter zugeht und ihm persönlich eine Aufgabe gibt, versteht dieser, wie wichtig die Anforderung ist, und versucht, sie pünktlich zu erledigen. Unternehmensführer, denen man das erklärt hat, stellen sich mit der Zeit auf diese Art des Miteinanders ein. Sie werden gesprächiger. So wird das internationale Team zu einer effektiven Ressource.

Welches Training ist gut für so ein Unternehmen?

Sie brauchen eine andere Vorbereitung. Je nach Unternehmen gibt es Unterschiede zwischen den Trainingsteilnehmern. Und diese Unterschiede kann man gewissermaßen auch geografisch festmachen. Je östlicher, desto emotionaler und engagierter die Geschäftsbeziehungen, desto schwieriger ist die Akzeptanz rationaler Veränderungen. Davon müssen die Methoden ausgehen.

Russen begreifen Training oft als Wettkampf. Ihnen ist es wichtiger, auf eine Frage zuerst zu antworten, egal ob die Antwort richtig ist. Daher muss in homogenen Teams der Schwerpunkt mehr auf Qualifikationsmaßnahmen liegen, wogegen in internationalen Teams die Angleichung von Engagement wichtiger ist. 

Wie kann man die Effektivität eines Trainings messen?

Einerseits wird von einer Maßnahme ein konkretes Ergebnis erwartet. Andererseits sind auch ein positiver emotionaler Effekt und der Wunsch, weiter zusammenzuarbeiten, nicht zu unterschätzen. Unmittelbar nach dem Training wird man nur die Emotionen wahrnehmen können. Nach zwei Wochen sollten die Mitarbeiter noch einmal nach ihren Eindrücken befragt werden. Das ist genug Zeit, damit sie die ersten Veränderungen in ihrem Verhalten entwickeln. Nach einem Monat sollte die endgültige Evaluation durchgeführt werden. Nach dieser Zeit können Mitarbeiter ihre Erfahrungen reflektieren und Verbesserungsvorschläge machen. An diesem Punkt wird deutlich, wie hoch die Rendite dieser Investition sein wird. 

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