Russen müssen Beutel enger schnallen. Foto: Getty Images/Fotobank
Seit Beginn der Ukraine-Krise haben Russland und der Westen, allen voran die USA und die EU, gegenseitig Sanktionen verhängt. Der Westen zielte vor allem auf den russischen Finanz- und Technologiesektor ab, Russland antwortete mit einem Embargo gegen bestimmte Lebensmittel aus Ländern, die antirussische Sanktionen verhängt haben oder unterstützen. Die Sanktionen zeigten durchaus Wirkung. Der Rubel ist auf einem historischen Tiefstand, in Russland steigen die Preise, die Inflation droht.
So dramatisch, wie es einige westliche Medien darstellen, ist die Lage in Russland allerdings bei weitem nicht. Diesen Medienberichten zufolge hätte man glauben können, in Moskaus beliebtem Arbat-Viertel trieben sich halbverhungerte Kinder auf der Suche nach Essen herum.
Allerdings werden auch in Moskau nicht regelmäßig Spanferkel auf öffentlichen Plätzen als Patriotismus-Demonstration gegrillt, wie russische Medien behaupteten. Allerdings haben in der Tat die Niederländer mit einer Tomatenschlacht in Amsterdam ihren Unmut gegen das russische Einfuhrverbot zum Ausdruck gebracht und in Spanien verbrannten Bauern aus Protest gegen die EU-Sanktionspolitik nicht nur ihre Ernte, sondern auch EU-Flaggen.
Aber wie sieht es nun in Russland aus? Wie sehr machen die Sanktionen des Westens, aber auch die russischen Gegensanktionen, dem Durchschnittsbürger im Alltag zu schaffen? Zunächst einmal: Moskau ist nicht Russland. In Medienberichten steht stets die Hauptstadt im Fokus, doch dort leben lediglich zwölf Prozent der russischen Bevölkerung. Wie sieht es in den anderen Teilen des Landes aus?
Die Folgen der Krise sind im ganzen Land spürbar
Sergej Kostin ist 33 Jahre alt und Computerprogrammierer. Er lebt in Russlands Fernem Osten, in Wladiwostok am Japanischen Meer, weit entfernt von Europa. Leiden die Bewohner Wladiwostoks deshalb weniger unter dem Lebensmittel-Embargo? Der konjunkturelle Aufschwung der Region hat den Einheimischen längst den Zugang zu den Produkten des weit entfernten europäischen Marktes eröffnet. Viele haben sich an die Produkte von dort gewöhnt und wollen sie nicht mehr missen. Die Bärenjagd wäre im Notfall zwar eine Alternative zum Überleben, aber lieber essen die Wladiwostoker Pizza und Pasta. Die Zutaten dafür seien inzwischen schwieriger zu bekommen, berichtet Kostin: „Einige Käsesorten und andere europäische Lebensmittel gibt es nicht mehr zu kaufen", sagt er. Die Alternativen, Produkte aus China zum Beispiel, seien deutlich teurer
geworden. Teurer geworden sei auch das Reisen, weiß Kostin und fügt hinzu, dass er die Rubelschwäche schon zu spüren bekommen hätte: „Ich war kürzlich zu einem Englisch-Sprachkurs in Irland, genau wie im vergangenen Jahr. Ich habe aber dieses Mal viel mehr ausgeben müssen."
Kostin macht es zu schaffen, dass die Reallöhne spürbar sinken. „In einer solch internationalen Branche wie der IT vergleichst Du Dein Einkommen auf internationaler Ebene. Ich könnte in Irland oder Deutschland mehr verdienen", sagt Kostin und gibt zu, dass er schon übers Auswandern nachgedacht habe. „Ich habe schon lukrative Angebote bekommen", verrät er.
Auf der anderen Seite Russlands, in Sankt Petersburg, lebt Christina Sacharowa. Sie arbeitet beim Zoll. Sie kennt die offiziellen Zahlen: „Die Importe und Exporte sind deutlich zurückgegangen. Es gab bereits Insolvenzen von Unternehmen." Viele Händler verhielten sich zurzeit abwartend. Auch sie spürt die Folgen der Wirtschaftskrise im Portemonnaie. „Ich habe oft in ausländischen Onlineshops bestellt, das kann ich mir wegen des schwachen Rubels nicht mehr leisten. Auch Flugreisen sind viel teurer geworden." Mancher Artikel, den sie bisher zu kaufen pflegte, sei zudem aus den Regalen verschwunden.
Ludmilla Popowa, 28-jährige Unternehmerin aus Sankt Petersburg, kümmert die Inflation hingegen wenig, sie scheint es sich leisten zu können: „Ich achte nie besonders auf die Preise. Es kümmert mich nicht, ob Brot nun 100 statt 98 Rubel kostet. Ich kaufe es einfach. Ich weiß noch nicht einmal, was Benzin kostet." Popowa hat vor einer Weile einen größeren Geldbetrag in Euro umgetauscht, gleich zu Beginn der Ukraine-Krise. Davon profitiert sie
jetzt, denn die Pacht für ihre Geschäftsräume zahlt sie in Euro. „Ich habe mich damals von meinem Bauchgefühl leiten lassen und das hat mir gesagt, dass sich die Krise in der Ukraine zuspitzen und lange dauern werde."
Zurück nach Moskau: In der Hauptstadt arbeitet Christina Jermakowa. Sie ist 29 Jahre alt und Marketingexpertin. „Die Kunden haben ihre Budgets deutlich gekürzt. Marketing ist meist der erste Bereich, der dem Rotstift zum Opfer fällt, das ist ein Anzeichen einer Krise", sagt sie. Wegen des schwachen Rubels musste sie ihre Urlaubspläne für Neujahr ändern: „Ich hatte vor nach Europa zu reisen, aber das ist zu teuer geworden. Ich suche zurzeit nach Alternativen und fahre nun vielleicht in die Türkei oder nach Asien."
Walter Bisoffi, der 45jährige Chefkoch des italienischen-Nobelrestaurants Probka in Moskau hat ebenfalls gemerkt, dass das Embargo zu einem Preisanstieg sowohl bei den in Russland produzierten Lebensmitteln als auch bei den Importwaren geführt habe. Die Arbeit in der Küche sei nun herausfordernder. Bisoffi nimmt das mit Gelassenheit: „Alles ist teurer geworden. Es ist jeden Tag eine Kampf, aber das hält mich jung und das ist gut so", lacht er.
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