Rubelkrise treibt Russen in die Wechselstuben und verunsichert internationale Investoren. Foto: AP
Ein solches Ausmaß haben nicht einmal die Experten vorhergesehen. 151 Milliarden US-Dollar an Kapital flossen laut Zentralbank im vergangenen Jahr aus Russland ab. Zum Vergleich: 2013 waren es 61 Milliarden und selbst 2008 war der Betrag mit 133,6 Milliarden geringer. Das Finanzministerium hatte lediglich 90 bis 100 Milliarden prognostiziert, die Zentralbank 128 Milliarden US-Dollar.
Nach Angaben der Währungshüter geht die Kapitalausfuhr auf höhere Einlagen in US-Dollar und die Tilgung äußerer Verpflichtungen durch den russischen Privatsektor zurück. Gleichzeitig sind die Refinanzierungsmöglichkeiten wegen geltender Sanktionen eingeschränkt.
Der größte Faktor beim Kapitalabfluss sind die Russen selbst. Im Jahr 2014 kaufte die Bevölkerung rekordverdächtige 34 Milliarden US-Dollar, den Großteil davon im letzten Quartal. Im Krisenjahr 2008 lag der Wert noch bei 24 Milliarden US-Dollar. „In den letzten Jahren sind die Einkommen der Bevölkerung gestiegen, wobei der Rubel weiterhin für Währungsschwankungen empfindlich blieb. Daher ist es folgerichtig, dass Menschen beim Verfall des Rubels fremde Währung aufkaufen", erläutert Maxim Petronewitsch, stellvertretender Leiter des Zentrums für Wirtschaftsprognose bei der Gazprombank. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass diese Beträge praktisch im Inland geblieben sind. Verändert hat sich nur die Struktur privater Ersparnisse", betont Alexander Abramow vom Zentrum für Systemforschung bei der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung.
Für 2015 prognostiziert die Zentralbank eine Kapitalausfuhr in Höhe von 118 Milliarden US-Dollar. Nach Einschätzung von Experten hängt die weitere Entwicklung von der Sanktionspolitik, dem Ölpreis und der Stabilität der Landeswährung ab.
„Sehr wahrscheinlich kehrt der Ölpreis nicht auf 100 Dollar pro Barrel zurück, was einen leichten Zufluss an Devisen bedeuten würde. Hinzu kommt eine deutliche Verschlechterung der russischen Wirtschaft. Wir sehen auch für dieses Jahr einen Kapitalabfluss in Höhe von mehr als 100 Milliarden Dollar", sagt Elizaweta Belugina, Leiterin der Analysten-Abteilung beim Wertpapierhändler FBS. „Das Weiterbestehen der Sanktionen, die mögliche weitere Abwertung des Rubels, das Risiko der Herabsetzung des Raitings auf Ramsch-Niveau werden weiteren Kapitalabfluss fördern", fügt Abramow hinzu.
Das Zentrum für Wirtschaftsprognose der Gazprombank sagt für 2015 einen Abfluss von 100 bis 130 Milliarden Dollar voraus, wovon 50 bis 80 Milliarden für den Schuldendienst im Ausland bestimmt sind.
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Während die Kapitalflucht zunimmt, versiegen die ausländischen Investitionen in Russland nahezu vollständig. In den ersten drei Quartalen 2014 betrug das Minus bei den Investitionen nach Angaben der Moskauer Währungshüter 21,7 Milliarden US-Dollar. Vom Abfluss ausländischer Mittel sind ausnahmslos alle Branchen betroffen: die Öl- und Gasindustrie, die Metallerzeugung, der Handel, die Agrarwirtschaft, Immobilien. „Aktuell wirken direkte und indirekte Verbote auf Investitionen in Russland. Westliche Investoren entwickeln ein Misstrauen gegenüber großen Projekten in
unserem Land", erläutert Alexander Abramow vom Zentrum für Systemforschung bei der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung.
So führte die Abkühlung im deutsch-russischen Verhältnis zu einer Absenkung von Investitionen in den russischen Maschinenbau und die Pharmaindustrie. „Viele deutsche Unternehmen sagen die Teilnahme an Projekten in Russland ab, 41 % der Unternehmen fahren den Umfang der Investitionen zurück", sagt Elizaweta Belugina vom FBS. „Außerdem leidet die Energiebranche unter den Sanktionen. Ebenfalls auf das Konto von Sanktionen geht der im Dezember 2014 geplatzte Aktientausch zwischen Gazprom und dem deutschen Konzern BASF", fügt Belugina hinzu.
„Das Schwinden direkter Investitionen ist unter den Umständen politischer Instabilität eine normale Erscheinung", meint Maxim Petronewitsch. Allerdings hat sich, seiner Einschätzung nach, an den Grundvoraussetzungen in Russland nichts geändert. „Der Markt ist nach wie vor groß, wegen des Kursverhältnisses ist die Arbeitskraft nun billiger geworden als in China, die Stromversorgung ist nach wie vor günstig. Daher bestehen alle Anreize, um in Russland zu produzieren", betont er.
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