Russisches Gas für den Donbass – humanitäre Hilfe auf Kosten Kiews?

„Humanitäre Hilfe auf kommerzieller Basis“ nennt Gazprom die Lieferungen  in die selbsternannten Volksrepubliken.  Foto: Alexej Filippow/TASS

„Humanitäre Hilfe auf kommerzieller Basis“ nennt Gazprom die Lieferungen in die selbsternannten Volksrepubliken. Foto: Alexej Filippow/TASS

Gazprom liefert Gas in die selbsternannten Volksrepubliken im ukrainischen Südosten. Dafür bezahlen soll Kiew, doch dort stößt das Vorhaben auf Widerstand. RBTH hat Experten gefragt, ob der Vorstoß von Gazprom eine neue Runde im Gasstreit einläute und ob dem Energieriesen nun US-Sanktionen drohten.

Seit letztem Donnerstag liefert das russische Energieunternehmen Gazprom Erdgas in die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk im Südosten der Ukraine. Zuvor hatte der ukrainische Energieversoger Naftogas eine Havarie an einer Pipeline in die Ukraine gemeldet. Die Schäden sollen inzwischen behoben sein. „Humanitäre Hilfe auf kommerzieller Basis" nennt Gazprom die Lieferungen. Bezahlt werden solle das Gas von der Ukraine. Dies könnte zu neuen Unstimmigkeiten zwischen Kiew und Moskau führen. Julia Galujewa, Justiziarin beim Nationalen Juristischen Dienst, sprach in der russischen Wirtschaftszeitung „Kommersant" auch die Möglichkeit von US-amerikanischen Sanktionen gegen Gazprom an. Bislang steht nur das Tochterunternehmen Gazpromneft auf der Sanktionsliste des Westens, nicht aber der russische Energieriese selbst. RBTH sprach mit den Experten Sergei Pinkin, Leiter des Entwicklungsfonds für die Energiewirtschaft, und Dmitri Absalow, Präsident des Zentrums für strategische Kommunikation, über die aktuellen Entwicklungen.

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Sergei Pinkin: Sanktionen gegen humanitäre Hilfe sind unlogisch

„Die russischen Gaslieferungen in den Donbass haben bereits eine neue Konfliktsituation ausgelöst. Es handelt sich dabei natürlich nicht ausschließlich um humanitäre Hilfe. Gazprom betrachtet die Lieferungen in den Donbass als Bestandteil des Gasvertrages mit der Ukraine. Einfach ist die Situation nicht. Es gäbe keinen Konflikt, wenn die Lieferungen in westliche Richtung in die Ukraine fortgesetzt würden. Aber in dieser Richtung gibt es seit gestern eine Unterbrechung.

Kiew und Naftogas haben für russische Gaslieferungen in die Ukraine eine Vorauszahlung geleistet. Gazprom wird diese Vorauszahlung nun jedoch mit den Lieferungen in den Donbass verrechnen. Im Vertrag ist allerdings eine bestimmte Abnahmestelle vorgesehen und die liegt eindeutig nicht im Donbass. Darauf beruft sich nun Kiew: Das Gas werde zwar in die Ukraine geliefert, jedoch nicht gemäß den Vertragsbestimmungen an den vereinbarten Ort.

Was mögliche Sanktionen gegen Gazprom durch die USA betrifft, stellt sich die Frage, womit diese begründet werden sollten. Gazprom hilft durch die Gaslieferungen der ukrainischen Bevölkerung. Ich glaube nicht, dass dies ein Grund sein kann, das Unternehmen auf die schwarze Liste zu setzen. Das wäre unlogisch. Wenn die USA wollten, könnten sie ohnehin jederzeit die Sanktionen ausweiten, ob Gazprom nun liefert oder nicht."

 

Dmitri Absalow: Die Ukraine hat sich in eine Sackgasse manövriert

„Die Beanstandungen aus Kiew sind unbegründet. Gazprom verstößt mit den Gaslieferungen in den Donbass nicht gegen das Abkommen von Minsk. Der Konzern hat mit Prochorowka und Platowo lediglich zwei neue, bislang ungenutzte Abnahmestellen aktiviert. Die Unterbrechung von Gaslieferungen, die die ukrainische Seite aus informellen Gründen veranlasst hat, ist hingegen als ernsthafter Verstoß gegen das zweite Minsker Abkommen zu werten. Demnach ist die Ukraine nämlich verpflichtet, die soziale und wirtschaftliche Integration der Region zu fördern. Ukrtransgas hat die Unterbrechung mit angeblichen Rissen in der Pipeline begründet, doch schon gestern funktionierte der Gastransit wieder. Das spricht doch dafür, dass es tatsächlich gar keine Störung gab.

Naftogas erklärte die Unterbrechung mit einer Havarie. Das stärkt die Position von Gazprom. Das Unternehmen erscheint nun als Retter. Ukrtransgas kann nicht offiziell zugeben, dass die Gaslieferungen unterbrochen wurden, um Druck auf die Aufständischen wegen des Kampfes um Debalzewe auszuüben und kann daher nichts gegen die Lieferungen einwenden.

Gazprom deklariert die Lieferungen als humanitäre Hilfe, das ist nichts Ungewöhnliches und entsprechende Präzedenzfälle hat es zuvor weltweit

gegeben. In diesem Fall besteht die humanitäre Hilfe darin, die Lieferungen umzuleiten. Die Lieferungen selbst sind weiter Bestandteil des Vertrages mit Naftogas.

Dies ist eine Sackgasse für die ukrainische Führung. Nach den Manövern von Gazprom wird Kiew höchstwahrscheinlich versuchen, die Tragweite des Streites möglichst zu begrenzen. Nach neuesten Angaben hat die Ukraine die Gaslieferungen in die Regionen Donezk und Lugansk wieder aufgenommen. Allem Anschein nach stehen auch keine neuen Unterbrechungen bevor. Die Ukraine ist nicht daran interessiert, dass russisches Gas direkt in die Regionen Lugansk und Donezk geliefert wird und dass die Vorauszahlungen von Naftogas damit verrechnet werden. Dies wird langwierige Verhandlungen nach sich ziehen.

Sanktionen gegen Gazprom durch die USA sind eher unwahrscheinlich. Gazprom ist auf dem US-amerikanischen Markt nicht präsent. Die USA könnten jedoch auf die Europäer Druck ausüben. Aber die Europäische Union wird wohl kaum Sanktionen gegen Gazprom einleiten. Von dieser Idee hat man in Brüssel bereits in der letzten Woche Abstand genommen."

 

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